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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Geh, bleib’ sitzen, das pressiert net gar so arg. Z’erst muß i ich das Geld da überzählen!“ Ohne sich weiter um Mathes zu kümmern, begann Purtscheller die Banknoten abzublättern und die Geldstücke zu sortieren. Diese ihm sichtlich angenehme Beschäftigung unterbrach er mit der Frage: „Was meinst, wie viel daliegt am Tisch?“

„Aufs Geldschätzen versteh’ ich mich net!“ sagte Mathes trocken.

„Ganze zehntausend Mark! Ja, mein Lieber, so was kannst öfters bei mir sehen! Und mehr auch noch! Erst gestern hab’ ich in der Stadt drin dem Schloßbräu fufzigtausend, die an Neujahr erst fällig g’wesen wären, blank auf’n Tisch hin g’strichen! Der hat Augen g’macht! … Aber beim nächsten Rennen soll er noch ganz anders dreinschauen! Der!“ Purtscheller legte die Cigarre nieder, und während er ein Liedchen vor sich hinpfiff, zählte er: „dreihundert, vierhundert, fünfe, sechse, sieben, achte, neune … viertausend!“

Draußen im Treppenflur ließ sich ein leichter Schritt und das Geplauder einer milden Frauenstimme vernehmen. Dünne Röte glitt über Mathes’ Züge, und fester schlossen sich seine Hände um die Mütze.

Karlin’ trat ein. Noch auf der Schwelle nahm sie ihrem Bübchen, das sie an der Hand führte, die pelzbesetzte Mütze ab und löste das wollene Tuch, das dem Kinde um das Hälschen geschlungen war. „So, Schatzerl! Schau nur, wie schön warm daherin wieder is im Stüberl! Und jetzt geh’ hin und sag’ dem Vaterl schön Grüßgott!“ Als sie sich aufrichtete, sah sie das Geld auf dem Tisch, und ihre Lippen zitterten.

Mathes erhob sich.

Und jetzt erst gewahrte ihn Karlin’. „Mathes!“ Die Freude leuchtete aus ihren Augen – aber als hätte sie nicht den Mut, dieser Freude zu glauben, so blickte sie fragend von Mathes auf ihren Mann.

„Ja, der Mathes steht ein bei uns!“ sagte Purtscheller und zählte weiter: „Sechse, sieben, achte, neune … fünftausend!“

In wortloser Bewegung ging Karlin’ auf Mathes zu, und aufatmend, als wäre ihr eine drückende Sorge vom Herzen genommen, streckte sie ihm die beiden Hände hin.

Mathes nahm sie und sagte: „Grüß Gott, Frau Purtschellerin!“

Sie lächelte. „Aber Mathes! Frau Purtschellerin? Was fallt Dir denn ein! So geh und sag’ doch: Linerl! Ich bin’s ja seit meiner Kindheit gar net anders g’wöhnt von Dir!“

Mathes schüttelte den Kopf. „Das sind andere Zeiten g’wesen, Frau Purtschellerin!“

Sie sah ihn verwundert an. „Aber geh, was hast denn?“

„Recht hat er!“ fiel Purtscheller ein. „Der Knecht muß Respekt haben vor der Frau im Haus! Sieben, achte, neune … sechstausend!“

Karlin’ stand schweigend, strich die losen Härchen hinters Ohr und blickte in Gedanken auf ihren Knaben nieder. Tonerl schien seine Verpflichtung, den Vater zu grüßen, beim Anblick der himmelblauen Soldatenhose völlig vergessen zu haben. Mit flinken Schrittlein wackelte das kleine Kerlchen auf Mathes zu und griff nach dem roten Hosenstreif. Da bückte sich Mathes, hob den Knaben auf seinen Arm, betrachtete ihn lange, und während er ihn herzlich an sich drückte, sagte er leis: „Ganz die Ihrigen Augen hat er, Frau Purtschellerin!“

„Aber geh,“ schmollte Karlin’, „jetzt thust gar noch Sie sagen zu mir! … Gelt, Toni, das muß doch net sein?“

„Achte, neune, siebentausend!“ brummte Purtscheller. „Das kann er halten, wie er mag, der Mathes. Aber lieber is mir’s schon, er sagt Sie … wegen die andern Dienstboten.“

Mathes schien nicht zu hören, was Purtscheller sagte. Er hatte sich auf die Bank gesetzt und den Knaben auf den Schoß genommen. Mit scheuer Hand scheitelte er ihm die dünnen Härchen und fragte: „Geh, Büberl, weißt denn auch schon wie D’ heißen thust?“

„Tonele Putsella,“ antwortete das Bürschlein zutraulich und streckte die Hände nach der Soldatenmütze.

„So? ’s Kapperl willst haben? No schau …“ Mathes setzte dem Knaben die blaue Mütze auf, die ihm bis über die Ohren fiel, „jetzt bist ein kleins Soldaterl! Und so ein schöns! Du! Da hätt’ der Herr General sein’ Freud’ ’dran, wenn er Dich sehen möcht’!“

Das Bürschlein zog mit beiden Händen an der Mütze und jauchzte der Mutter zu: „Tonele Soldati, Mammi! Schöne Soldati!“

Die Freude des Kindes verscheuchte die drückende Stimmung, von welcher Karlin’ befallen schien. Lächelnd setzte sie sich neben Mathes auf die Bank und sagte: „Schau nur … sonst is er allweil so viel scheu gegen fremde Leut’ … und mit Dir is er gleich so schön zutraulich, als ob er Dich lang’ schon kennen thät’!“

„No ja, ich bin halt g’wöhnt mit Kinderln umz’gehen. Droben hab’ ich unsere zwei Hascherln … und wo ich die fünf Jahr’ her im Dienst g’wesen bin, da waren drei Kinder da, die den ganzen Tag allweil um mich ’rum g’wesen sind … eins grad’ so im Alter wie’s Tonerl!“

„Neuntausend neunhundert achtzig!“ Mit dieser Ziffer schloß Purtscheller seine Zählarbeit und erhob sich, um das Geld in einen Wandschrank einzuschließen. „So, Mathes, jetzt komm! Jetzt will ich Dich ’rumführen im Hof und will Dich mit unsere Ehhalten bekannt machen!“ Er zog den Sammetflaus an und setzte den Hut auf.

Mathes küßte dem Knaben die Wange und hob ihn auf den Schoß der Mutter.

„Aber gelt,“ sagte Karlin’, „wenn Dich jetzt eing’wöhnt hast bei uns, mußt mir einmal ganz g’nau erzählen, wie’s Dir denn eigentlich in der Fremd’ allweil ’gangen is die ganzen langen fünf Jahr her!“

„Ja, gern … wenn ich Zeit hab’, einmal,“ erwiderte Mathes, den Blick der jungen Frau vermeidend, und ging zur Thüre. „B’hüt Gott für jetzt!“

Sie sah ihn mit großen Augen an und nickte.

Purtscheller kam hinter dem Ofen hervor und knöpfte den Sammetflaus zu. „B’hüt Gott, Linerl! Und sei so gut und richt’ mir mein Jagdzeug her, ich möcht’ heut’ noch ein bißl ’naufschauen auf ein’ Gamsbock … die Brunft is im besten Gang … und der Schnee hat die Gams g’hörig ’runterdruckt, da brauch’ ich net hoch steigen. Gelt, sei so gut und richt’ mir alles her!“ Er wollte sie gnädig in die Wange kneifen.

Aber sie bog den Kopf zurück und wehrte mit dem Arm.

„No no no no? Was hast denn schon wieder?“ fuhr er geärgert auf und trat zurück. „Meiner Seel’, jetzt möcht’ ich schon bald wissen, was seit ein paar Wochen denn eigentlich los is mit Dir? Du mußt Dich ja rein verkühlt haben selbigsmal beim Feuer! Froschblut hast eh’ schon allweil g’habt … und jetzt, scheint mir, hast Dich ganz in ein’ Eiszapfen verwandelt! Paß auf, Du, solche G’schichten vertrag’ ich net!“

Brennende Röte schlug über Karlin’s Züge, und mit erschrockenem Blick suchte sie die Thüre. Aber Mathes hatte die Stube schon verlassen. Aufatmend erhob sie sich, und ohne ein Wort zu sagen, trug sie ihren Knaben in die Kammer hinaus.

Verblüfft sah ihr Purtscheller nach. „Ah, da hört sich aber doch alles auf!“ Mit zornigem Gelächter verließ er die Stube und warf hinter sich die Thüre zu, daß es durch das ganze Haus dröhnte.

„Da nimm Dir ein Beispiel d’ran!“ schalt er, als er im Flur mit Mathes zusammentraf. „Und schlag’ Dir nur ’s Heiraten aus’m Kopf! Nix wie G’frett und Aerger hat man mit die Frauenzimmer. Und die meinig’ is die reine Sulz … so kalt und langweilig … und wo man s’ anrührt, zittert s’!“

„Ich muß bitten, Herr Purtscheller,“ sagte Mathes mit heiserer Stimme, „reden S’ zu mir von solche Sachen net! Was Sie mit Ihrer Frau haben, geht kein’ andern was an! Und ’s Ehglück is was Heilig’s, mein’ ich. Da sollt’ man doch in anderer Weis’ d’rüber reden!“

Purtscheller schien nicht recht zu wissen, wie er diese von bebendem Ernst erfüllten Worte aufnehmen sollte. „Geh, Du Narr, Du!“ brummte er und stieg die Treppe hinunter.

Als sie nach einem raschen Gang durch die ebenerdigen Räume des Hauses den Wirtschaftshof betraten, hatte Purtscheller seine behagliche Laune schon wieder gefunden. Die Cigarre im Mund und die eine Hand in der Flaustasche, deutete er mit der anderen auf die verschneite Brandruine. „Den Stadel bauen wir im Frühjahr wieder auf. Aber nimmer aus Holz! Da dank ich schon, für so was! Sondern aus feste Mauern!“ Dann ließ er die Knechte und Mägde zusammenrufen und sagte: „Da schauts her! Das is der Simmerauer-Mathes! Der steht jetzt als Maier bei mir in der Wirtschaft ein! Und wenn ich net daheim bin, gilt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0644.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)