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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Bügelraum mit den großen Rahmen und Kissen zum Spannen und Nadeln, die Glanzplätten etc., alles in schönster Ordnung und Vollkommenheit. In den obern Stockwerken folgen die Nähsäle, in denen zuerst alle Art von Handnähen der Leibwäsche, Flicken und Stopfen erlernt werden muß, ehe das Maschinennähen an die Reihe kommt. Gründlichste Unterweisung im Maßnehmen und Musterzeichnen begleitet diesen Unterricht; die Lehrerinnen kommen sämtlich aus der Praxis und bleiben in Verbindung mit dem Geschäftsleben. Was hier an schöner und zweckmäßiger Ausführung der schwierigsten Arbeiten geleistet wird, das erregt jeweils bei den Schulausstellungen die einstimmige Bewunderung der Münchner Frauenwelt: man sieht bei solchen Gelegenheiten, welcher erstaunlichen Vielseitigkeit unsere einfache Hausfreundin, die Nähmaschine, fähig ist! Eine eigene große Abteilung bilden dann die Schneidersäle. Auch hier führt der Unterricht, wie beim Weißnähen, von Stufe zu Stufe, vom einfachen Schnür- und Knopfloch bis zum kunstgerechten Volant und Plissé, dann folgt ein langer praktischer Kurs im Schnittzeichnen, Maßnehmen und Kleidermachen, bis zur vollen Freiheit und eigenen Erwerbsfähigkeit. Den halbtägigen Putzmacherinkurs leitet eine praktische Modistin, welche stets nebenbei für Kunden arbeitet und, wie die Schneiderlehrerin, sich alljährlich ihre Modelle aus Paris oder Berlin holt. Hierdurch ist die Schule vor dem Veralten geschützt. In anderen Sälen giebt es Strick- und Häkelarbeit, sowie wundervolle Kunststickereien, in eigenen Nachmittagskursen Freihand- und Ornamentzeichnen, beides nach den Prinzipien der Kunstgewerbeschule und im Anschluß an dieselbe gelehrt. Das Verdienst der vortrefflichen Organisation der Arbeitsschule gebührt dem derzeitigen Direktor Kriegbaum, der sie in langjähriger Thätigkeit zu so hoher Stufe emporgebracht hat. Er gründete auch die Schulsparkasse, wo die kleinen Pfennigeinlagen im Lauf einiger Jahre sich zum Kapital für den Ankauf einer Nähmaschine sammeln, welche dann die Schülerin beim Austritt als Basis ihres Erwerbes mitbekommt. So ist diese Frauenarbeitsschule zur Musteranstalt geworden und kann mit ihren Einrichtungen und Leistungen überall dort, wo man Aehnliches anstrebt, als Vorbild dienen. Br.     

Die Katastrophe bei Kienholz: Einzelbild aus der Zerstörung.

Ein Ball im Manöver. (Zu dem Bilde S. 640 und 641.) „Morgen rückt das Militär ein!“ geht es als neueste Kunde durch das Städtchen. Es hat keine Garnison, nur ein Bezirkskommando, bekommt aber fast alljährlich während der Manöver auf längere oder kürzere Zeit Einquartierung. Diesmal erwartet man dasselbe Bataillon, das auch im vorigen Jahre schon hier war, nebst dem Regimentsstabe. Es wird morgen nach beendeter Uebung einrücken und auch den folgenden Ruhetag in dem dadurch in förmliche Aufregung versetzten Städtchen bleiben. – Zwei junge Damen begegnen einander auf dem Marktplatz: „Weißt Du es schon, Anna?“ ruft die eine der Freundin ganz erregt entgegen. – „Ja, natürlich weiß ich’s, und sogar noch mehr,“ lautet die Antwort. „Soeben war Vorstandssitzuug in der ‚Harmonie‘. Sie haben beschlossen, daß morgen abend im Harmoniegarten italienische Nacht nebst Ball im Freien sein soll.“ – „Jst’s wahr? O, das ist ja herrlich!“ – Und es wurde in der That so herrlich, wie nur das ahnungsvolle Gemüt eines tanzlustigen Mägdeleins es sich im voraus ausmalen konnte. Der große Garten der „Harmonie“ – so heißt die Gesellschaft der Honoratioren – strahlt in dem magischen Glanze der Lampions und zu Guirlanden aneinandergereihten Papierlaternen, und von dem erhöhten Podium läßt die Regimentskapelle ihre verlockenden Weisen erschallen. Der Ball im Freien ist im vollen Gange. Zuerst natürlich Polonaise durch den Garten, eröffnet von dem Herrn Oberst und der Frau Bürgermeisterin. Dann drehen sich die Paare im frohen Reigen, oder man lustwandelt in den Pausen unter den Bäumen in der köstlich milden Abendluft, wobei die schneidigen Offiziere ihre ganze Liebenswürdigkeit zu entfalten bestrebt sind und als geborene Taktiker den „Angriff unter normalen Verhältnissen“ gegenüber jungen Damenherzen praktisch zu erproben suchen. Alte Bekanntschaften werden wieder angeknüpft, neue geschlossen, überall herrscht ungezwungene Heiterkeit und frohe Laune. Nicht minder lustig geht es an den Tischen zu, wo man sich niederläßt, um zu plaudern oder sich an dem zu erlaben, was Küche und Keller der „Harmonie“ zu bieten vermögen. Das große Ereignis des Tages hat natürlich auch zahlreiche Neugierige aus dem Städtchen herbeigelockt, die nicht den Vorzug genießen, zu den Honoratioren zu gehören. Sie suchen wenigstens über den Zaun zu blicken; manche haben sogar unter irgend einem Vorwande in den Garten zu dringen gewußt und schauen nun, in respektvoller Entfernung stehend, bewundernd dem lebhaften farbenreichen Bilde zu. Der heutige Abend wird noch auf geraume Zeit hinaus den Stoff für die Unterhaltung der Einwohner liefern, zumal die nächste Nummer des im Städtchen erscheinenden Blattes unter den Familiennachrichten zwei interessante, aber nicht unerwartet kommende Neuigkeiten brachte: das Töchterlein des Bürgermeisters und der Regimentsadjutant, sowie eine Tochter des in der Nähe begüterten früheren Obersten des Regiments und dessen jüngster Lieutenant empfahlen sich darin als Verlobte. Ja, es ist doch etwas Schönes um so einen Ball im Manöver! F. R.     

Der Stolz des Hauses. (Zu dem Bilde S. 645.) Das Haus, dessen Stolz der kleine Stammhalter ist, den wir hier auf dem Schoß seiner Mutter sehen, ist zwar nur ein Gärtnerhäuschen auf dem Lande. Aber stolzer als diese auf ihn kann auch nicht die feine Signora in der herrschaftlichen Villa, zu der es gehört, auf ihren Bambino sein, den sie in diesem Sommer zum erstenmal mit aufs Land hinaus gebracht hat. Wie Mutterliebe und Freude an Kindern die Herzen nähern und Standesunterschiede freundlich auszugleichen verstehen, zeigt das Bild des Italieners Torrini in gar liebenswürdiger Weise. Die Freude am eigenen Kind hat in der Dame das Interesse für die Ankunft des kleinen Burschen im Gärtnerhause geweckt, und sie hat ihren Mann und die bei ihr weilenden Eltern veranlaßt, mit ihr dort einen Besuch abzustatten. Dem verräucherten Wohnraum der armen Leute ist solche Ehre bisher noch nicht widerfahren, und mit gesteigertem Stolz blicken die Eltern und die alte Großmutter auf den kleinen Prachtkerl, der, kaum ein paar Wochen alt, schon solche Wunder bewirkt. l.     



Inhalt: Die Geschwister. Roman von Philipp Wengerhoff. S. 629. – Erster Versuch. Bild. S. 629. – Die neue Berliner „Urania“. Von Franz Bendt. S. 632. Mit Abbildungen S. 632, 634, 635, 636 und 637. – Der Tod des Brunelleschi. Bild. S. 633. – Fritz Reuters Briefe an seine Braut, nach den Originalen im Nachlaß der Witwe. Erläutert von Johannes Proelß (Schluß). S. 638. – Ein Ball im Manöver. Bild. S. 640 und 641. – Der laufende Berg. Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer (14. Fortsetzung). S. 643. – Der Stolz des Hauses. Bild. S. 645. – Blätter und Blüten: Der Ansbruch des Lammbaches bei Kienholz. S. 647. Mit Abbildungen S. 647 und 648. – Der Tod des Brunelleschi. S. 647. (Zu dem Bilde S. 633.) – Die Münchner Frauenarbeitsschule. S. 647. – Ein Ball im Manöver. S. 648. (Zu dem Bilde S. 640 und 641.) – Der Stolz des Hauses. S. 648. (Zu dem Bilde S. 645.)


Nicht zu übersehen! Mit der nächsten Nummer schließt das dritte Quartal dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“; wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellung auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders darauf aufmerksam, daß der Abonnementspreis von 1 Mark 75 Pf bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs bei der Post aufgegeben werden, sich um 10 Pfennig erhöht.

Einzeln gewünschte Nummern der „Gartenlaube“ liefert auf Verlangen gegen Einsendung von 50 Pfennig in Briefmarken direkt franko die Verlagshandlung: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. 


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0648.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)