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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Vorzüglich erhaltene Wandgemälde aus dem Jahre 1516 stellen mit künstlerischer Naivetät antike Vorgänge im Kostüm der damaligen Zeit dar. „Völlig im Geiste des Humanismus,“ führt Prof. Vetter in seiner Schrift „Das St. Georgenkloster zu Stein am Rhein“ aus, „sind hier je drei Bilder aus der karthagischen und römischen Geschichte zu einem historischen Parallelcyklus verbunden, wie das Mittelalter dergleichen aus dem Alten und Neuen Testamente zusammenzustellen liebte. Die Gründung Karthagos und Roms, der Schwur Hannibals und Scipios, die Eroberung von Sagunt und Karthago sind als malerische Vorwürfe behandelt. Ein weiterer Cyklus, aus Einzelfiguren bestehend, führt eine Reihe von Helden und Heldinnen Roms, Griechenlands und des Orients vor; als Gegenstück zu den Geschichtsbildern ist eine große Volksscene aus der Gegenwart, die dem Abte wohl als Jugenderinnerung vertraute Zurzacher Messe, aufzufassen, welcher als Uebergang zwei Bilder des Todes und des üppigen Lebens voranstehen; ein kapellenartiger Erker, der gleichfalls die Aussicht nach dem Rheine eröffnet, ist den Gründern und Heiligen des Klosters gewidmet. Das ist offenbar die Welt, in welcher Abt David lebte! Seinen Geist erfüllten neben den alten religiösen vor allem die neuen wissenschaftlichen und künstlerischen Ideale.“ Unsere obige Abbildung zeigt nebeneinander die Gründung Roms (Streit zwischen Romulus und Remus), den Schwur Scipios, die Eroberung von Sagunt.

Der Festsaal.

So befinden wir uns in dem Festsaale in einem echten Künstlerheime, welches nun zum Zwecke der Ausstellung mit gotischen und Renaissancemöbeln, mit Tischen, Truhen, Schränken, Büchern und allerlei Kleingeräten eine ebenso sorgfältig ausgesuchte wie kostbare Ausstattung erfuhr. Dazu zieren wahre Prachtexemplare von alten Glasgemälden die Fenster. Eine von Putten gehaltene Tafel über dem Haupteingang dürfte mit ihrem Zeichen T. S. 1516 auf den Maler der alten Bilder hinweisen.

Und aus dem prunkenden Saale geleitet uns der Pförtner in ein schlichtes Kämmerlein. Blumen ranken am Fenster empor, die Herbstsonne lacht so freundlich herein, und aus den Augen des guten Alten mit seinen Silberhaaren leuchtet auf einmal ein ganz feierlicher Zug von Glück und innerlichem Stolze. „Nun seh’n Sie, Herr,“ beginnt er mit seiner milden Stimme, „hier darf ich wohnen: der Hausrat will zwar nichts bedeuten, aber, Herr, der Ulrich Zwingli hat einst hier gewohnt!“ Ja – „die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht“. Der schweizerische Reformator, der einst mitten unter seinem freien, wehrhaften Volke im Getümmel der Schlacht für seine innere Ueberzeugung eintrat, war übrigens mehrmals in Stein am Rhein. Im Jahre 1521 besuchte er das Kloster, vorn Abte David noch freundlich willkommen geheißen, während er 1529 zu Stein predigend der neuen Lehre nachhaltigen Eingang zu verschaffen bestrebt war. Das laut dem Katalog von ihm bewohnte Zimmer ist indes nicht mit altem, sondern mit modernem Pförtnerhausrat ausgestattet, „der nichts bedeuten will“.

Viel bedeuten dagegen will die Einrichtung des nächsten Gelasses, der „Wohnstube des Abtes David“, nach den alten Freiheitsbriefen, oder auch vom Asylrecht des Klosters, von den Steinern nur „Freiheitsstube“ genannt. Mit reichem Schnitzwerk geziert sind Wand und Decke, zwei Nischen laden zu behaglicher Ruhe und rufen den Eindruck einer anheimelnden Häuslichkeit hervor. Hier ließ sich ohne Zweifel gemütlich Hausen, und schenken wir den reichgeschnitzten Buffets mit ihren Schüsseln, Kannen, Platten, Zinntellern, Schalen, Dosen, Brotkörbchen, kurz dem mannigfachen Tisch- und Küchengeräte unsere Aufmerksamkeit, so glauben wir eher in einem einladenden „Speisesalon“ als in einem äbtlichen Wohngemache zu verweilen. Es braucht nur Bruder Küchenmeister mit den Erzeugnissen seiner Kunst zu erscheinen, und spendet dazu noch der Klosterkeller vom echten „roten Steiner“,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0659.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)