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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Pülverl“ im Herzen des Daxen-Schorschl bedenklich zu rumoren begann. Denn im taktmäßigen „Klingeling kling“ dieses Hammertrios tönte der Nachschlag, den der Hammer des jungen Meisters führte, so laut und ungestüm, daß neben diesem schmetternden Klang die Hammerschläge der Gesellen kaum zur Geltung kamen.


13.

Mit den letzten Tagen des März war der Schnee im Thal so weit geschwunden, daß man die Arbeit auf den Feldern und den Bau des Hafers beginnen konnte.

Die Lenden mit der weißen Samenschürze umgürtet, schritt Mathes einen Tag um den anderen vom Morgen bis zum Abend durch die frischgebrochenen Ackerfurchen und streute den Samen in Purtschellers Erde.

Das Säen ist eine Kunst – und manch ein Bauer wird alt, ohne diese Kunst so recht zu erlernen. Es gehört eine ruhige und achtsame Hand dazu, um für jeden Wurf das richtige Quantum Körner aus der Schürze zu fassen, nicht zu groß und nicht zu klein bemessen. Und gleichmäßig muß der gestreute Same über die lockere Krume fallen, nicht zu spärlich, da sonst die Ernte leidet, und nicht zu dicht, da sonst die Halme sich im Wachstum drücken und magere Aehren treiben.

Mathes verstand sich auf diese Kunst. Häufig hielten die Bauern, welche auf den Nachbarfeldern die Körner warfen, in der Arbeit inne, um dem jungen Sämann nachzuschauen, wie ruhig er einen Schritt vor den anderen setzte, und wie schön zerteilt von seiner streuenden Hand der Same rieselte.

Als er wieder einmal das Ende des langen Feldes erreichte, nickte ihm ein altes Bäuerlein freundlich zu und sagte: „Heuer wird er lachen können, der Herr Purtscheller, wenn er im Sommer seine Felder anschaut!“

Mathes atmete schwer. Aus dem großen Sack, der am Rain des Ackers stand, füllte er die leer gewordene Schürze.

Zog das Gewicht des Samens an seinen Schultern? Denn er ging gebeugt durch die lange Furche hin. Aber sein Körper richtete sich auch nicht auf, als die Schürze wieder leicht und leer wurde.

Wenn er an das Ende einer Furche kam, blieb er eine kleine Weile stehen und blickte über die Felder nach dem Dach des Purtschellerhofes oder über das Gehäng des laufenden Berges hinauf zur Simmerau.

Doppelte Sorge bedrückte ihn.

Wohl lagen die Halden der Simmerau noch halb im Schnee, aber der gefrorene Boden begann schon aufzutauen, das rieselnde Schneewasser verschwand in allen Schrunden des zerklüfteten Berghanges, und deutlich konnte Mathes das Rauschen der aus dem Innern des Berges hervorströmenden Bäche hören, deren Wassermenge mit jedem Tage wuchs.

Vor drei Tagen, am letzten Sonntag, als Mathes für die gewohnte Plauderstunde zu den Seinen in die Simmerau hinaufgestiegen war, hatte der Vater ihn hinters Haus geführt und mit banger, erstickter Stimme zu ihm gesagt: „Bub! Er fangt schon wieder an, der Berg! Heut’ in der Nacht … d’ Mutter hat g’schlafen, Gott sei Dank! … aber heut’ in der Nacht hab’ ich’s g’spürt, wie’s ganze Häusl ’zittert hat … weißt, wie der Tisch zittert, wenn einer dranstößt mit ’m Ellbogen.“

Sie waren durch Hof und Garten gegangen, hatten die Böschung, den Balkenrost und allen Grund genau untersucht, doch nirgends eine Veränderung wahrgenommen.

„Thu Dich net sorgen, Vaterl!“ hatte Mathes in seiner stillen, ruhigen Art gesagt. „Die G’fahr is noch weit! Und in drei Tag’ bin ich drunt’ mit ’m Haberbau fertig. Da laß ich mir freigeben vom Herrn Purtscheller und komm, daß ich Dir helfen kann.“

„Ja, Bub! Und Vergeltsgott! … Und meinst denn, daß wir’s Häusl durchreißen?“

„Ja, Vater, ich mein’ schon!“

Der alte Simmerauer hatte tief geseufzt. „So viel Angst hab’ ich vor’m Frühjahr! So viel Angst! … Schaffen wollen wir fest! Gelt, Bub? … Aber weißt, ’s Wasser sollt’ halt wieder in d’ Höh’ steigen aus die untrischen Gäng’! Eh’ kriegen wir kein’ Fried’ net! Das hat die Kammissoni g’sagt: daß ’s Wasser wieder steigen müßt’! ’s Wasser, weißt! … Und gelt, thu Dich halt bei der Saat ein bißl tummeln.“

„Das geht net, Vater! Richtige Saat braucht ihr Zeit!“

„Ja, ja! Das is wahr! So laß Dir halt Zeit! … Aber meinst net, daß D’ länger brauchst als drei Tag?“

„Na, Vater!“

„Gott sei Lob und Dank!“ –

Nun waren diese drei Tage vergangen, und Mathes streute den Samen über das letzte Feld.

Als die Elfuhrglocke läutete, gingen die Bauern und Knechte, die auf den anderen Aeckern bei der Arbeit waren, zur Mahlzeit nach Hause. Nur Mathes blieb. Wenn er diese Stunde verlor, konnte er bis zum Abend mit der Saat nicht fertig werden.

Mit sinnenden Blicken sah er, während er durch die Furche schritt und den Samen warf, dem lautlosen Fall der Körner zu.

Für wen würden wohl aus dieser Saat die Halme wachsen? Für wen die Ernte reifen?

Daß er auf diese Frage keine Antwort fand, das war die andere Sorge, die ihn drückte.

Er hatte sich krumm gearbeitet in diesem Winter, und was half es! Wohl nahm jetzt die Wirtschaft ihren geregelten Gang und die Einkünfte wuchsen mit jedem Monat; aber was Mathes mühsam mit kleinen Steinen aufbaute – Purtschellers Leichtsinn warf alles wieder über den Haufen und grub noch Löcher in die Erde. Man wußte schon im ganzen Dorfe von dem Geschäft, das Purtscheller im November abgeschlossen hatte: die alte Hypothek war getilgt worden, zehntausend hatte er bar auf die Hand bekommen – und dafür lag jetzt eine Hypothek von achtzigtausend auf dem Purtschellerhof. Und jene zehntausend, von denen Zäzil die ersten zwanzig Mark davongetragen hatte? Fast die Hälfte war für den Ankauf des neuen Trabers draufgegangen, und der Rest war flink und lustig durch Purtschellers offene Hände gerollt. Seit dem Fasching war er schon wieder in der Klemme, ließ sich Vorschüsse von den Händlern geben und suchte auf allen Seiten Geld aufzutreiben. Daß ihm diese Bohrversuche nicht immer gelangen, das steigerte seine jähzornige Reizbarkeit in solchem Grade, daß Karlin’ und die Leute im Haus kaum mehr ein Auskommen mit ihm fanden. Wer die junge Frau betrachtete, dem mußte der Anblick ihres abgehärmten Gesichtes ins Herz schneiden. Ihre schlimmste Zeit war jene Woche gewesen, in welcher Purtscheller mit verbundenem Kopf und verpflasterten Gliedern das Zimmer hatte hüten müssen – bei einer Trainingfahrt hatte „Lüftikus“ den Gig mitsamt dem Trainer über die hohe Straßenböschung in den Bach hinuntergeworfen. Und Purtscheller war, wenn es um seinen kostbaren Leib ging, gar wehleidiger Natur. Das ganze Haus atmete auf, als er den ersten Ausgang machte. Nun hatte auch Karlin’ wieder ruhigere Tage; denn vom Morgen bis zum Abend war Purtscheller unsichtbar; freilich, wenn er in später Nacht bekneipt nach Hause kam, weckten seine jähzornige Stimme und die Scenen, die er droben in der Stube aufführte, alle Schläfer im Haus. Nur bei einem war das Wecken überflüssig – denn der schlief nicht! Und als die junge Frau nach solch einer Nacht am Morgen in den Hof kam, sah Mathes ein bläuliches Mal an ihrer Schläfe.

Er wurde bleich. „Karlin’!“ Zum erstenmal hatte er die förmliche Anrede vergessen, doch nur für einen Augenblick. Dann fragte er: „Is Ihnen was passiert, Frau Purtschellerin?“

Brennende Röte huschte über ihre vergrämten Züge; doch sie schüttelte den Kopf. „Ein bißl ang’stoßen hab’ ich mich … am Kasten … in der Finsternis halt!“ Noch während sie sprach, hatte sie sich abgewandt und war ins Haus getreten, um vor Mathes die Thränen zu verbergen, die ihr in die Augen stiegen.

Nach ein paar Tagen war dieses häßliche Zeichen vergangen. Aber wenn Mathes die junge Frau mit ihrem Knaben droben in der Stube am Fenster gewahrte, oder wenn sie im Hof an ihm vorüberging, mußte er immer nach ihrer Schläfe sehen – und immer wieder sah er diesen bläulichen Schatten, der doch seit Tagen schon verschwunden war. Und wenn er bei der Arbeit an sie dachte, konnte er sich ihr Gesicht gar nicht mehr anders vorstellen als immer mit diesem häßlichen Mal.

So sah er sie auch jetzt, während er durch die Furche schritt und sich bei jedem Samenwurf mit einem sorgenden Gedanken fragte: Was soll aus ihr werden? Aus ihr und ihrem Kind, wenn kommt, was kommen muß – Purtschellers Ruin und die Gant seines Hofes?

Er ging gebeugt und atmete schwer.

Da wehte von Süden ein linder Hauch über die kahlen Samenfelder, warm und befruchtend. Mathes fühlte ihn und blickte auf,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0666.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)