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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

fest, trotz aller Sommerhitze. Nun plötzlich, ohne sichtbaren Grund diese Aenderung – ich meine, da hat man doch Ursache zur Empfindlichkeit und zum Nachdenken!“

Hermine war aufgestanden, näherte sich der Mutter und schlang ihre Arme um sie, mit ihrer fast überschlanken Gestalt die kleine, rundliche Frau beinahe um Haupteslänge überragend. Diese seufzte. „Ich hätte nie einwilligen sollen in diese Verabredung,“ sprach sie im Tone des Selbstvorwurfs.

„Aber, Mama! Sind Dir diese Freitagabende nicht auch lieb geworden? Waren wir nicht froher und lustiger hier als in jedem Konzertgarten, und freutest Du Dich nicht auch schon immer vorher auf die Plauderstündchen bei Tische?“

„Nun ja, das will ich ja gern zugeben, er ist ein amüsanter und interessanter Gesellschafter, und - - “

„Und ein lieber Mensch, Mutti, nicht wahr, ein lieber Mensch!“ sie drückte den Kopf der Mutter fest an ihre Brust, wobei sie vermied, ihr ins Antlitz zu sehen.

Diese seufzte laut und entwand sich der Umarmung.

„Das ist’s eben, da liegt’s!“ sagte sie, mit Anstrengung einen harten Ton annehmend. „Warum mußte er hier eindringen und unseren Frieden stören? Es fiel mir wie eine Ahnung kommenden Unheils aufs Herz, als Du mir damals im Mai aus Ilmenau von dieser Bekanntschaft schriebst. Und wie ganz anders war dort Deine Meinung von ihm! Schriebst Du mir nicht als das allgemeine Urteil seiner Berliner Bekannten, er sei berüchtigt durch sein gewissenloses Spiel gerade mit ernsteren, schwer zugänglichen Mädchen, die er mit allen Mitteln für sich zu interessieren verstehe, um dann, wenn wieder eine Eroberung geglückt ist, mit klingendem Spiel zu einer anderen Fahne überzugehen. Und dieser gewissenlose Roué - -“

„Aber, Mama, dieses böse Wort habe ich doch wohl nicht gebraucht! Ueberhaupt hätte ich Dir nichts davon schreiben sollen, wenn ich auch zunächst den Mitteilungen der Berliner Damen Glauben schenkte. Denn als ich ihn selbst kennenlernte, wußte ich sofort, wie ungerecht ihr Urteil war. Dieser ernste, zurückhaltende Mann, der nur seiner Kur lebte, trotzdem gerade der große Kreis junger und hübscher Damen im Hause viel Geselligkeit bot, ein Mädchenjäger – wie lächerlich! Erst als wir einmal an einem Konzertabend eine längere Unterhaltung über Richard Wagner gehabt, schloß er sich dem musikalischen Teil der Gesellschaft mehr an und ergötzte uns nun oft durch sein herrliches Spiel.“

„Und dann musiziertet ihr täglich zusammen, er wurde Dein Begleiter auf allen Spaziergängen, und als in jener Zeit seine Versetzung von Berlin verfügt wurde und ihm die Wahl zwischen zwei Städten blieb, entschied er sich für Deinen Wohnort.“

„Aber doch nicht um meinetwillen, Mama – ich bitte Dich!

Er pries allerdings den freundlichen Zufall, der es ihm nun gönnte, wie er sagte, die gemeinschaftliche Ausübung der geliebten Kunst und“ – um ihre bleichen Lippen spielte ein glückliches Lächeln –„die angenehme Bekanntschaft fortzusetzen; aber er hat doch wahrlich nichts gesagt, was mir irgendwie Berechtigung gab, mehr anzunehmen.“

„Nein, sicher – gesagt nicht, wohl aber gethan.“

„Besinne Dich nur, Mutti, wie schnell Dein Urteil über ihn sich wandelte, als Du ihn kennenlerntest. Wie freundlich schon bei seinem ersten Besuch Du ihn empfingst!“

„Ja, was blieb mir denn anderes übrig, nach den vielen Aufmerksamkeiten, die er für Dich gehabt, nach der Art, wie er Dich auf der Reise umsorgt hatte! Nach meinem Wunsche waren wahrlich diese regelmäßigen musikalischen Abende nicht – ich denke, Hermine, das weißt Du noch?“

„Und Du hattest doch hernach auch so viel Freude und Interesse daran!“

„Ja, freilich. Nachdem er es so lebhaft zeigte, wie wertvoll sie ihm waren, wie er jede, auch die lockendste Aufforderung ablehnte, um sie nicht zu versäumen, wie er um jede Minute geizte, die er länger bleiben durfte – da vergaß ich leider jene Warnung.“

„Ach – Mutter - - “

„Ich sah ja auch, wie es um Dich stand – wie Du nur in dem Gedanken an ihn, nur für diese Stunden des Beisammenseins lebtest, und wie die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft Dein ganzes Wesen erfüllte. Konnte ich da noch zwischen euch treten, konnte ich da noch den Versuch machen, Dein Herz von ihm zu lösen?“

Hermine war auf einen Stuhl gesunken und barg ihren Kopf zwischen den Händen.

„Ich habe ihm auch geglaubt,“ fuhr die Mutter fort, „ich gestehe es, ich habe mich trotz allem und allem durch sein Thun täuschen lassen. Er schien so glücklich hier, war so unermüdlich in jenen zarten Galanterien, die mehr Liebe verraten als alle Worte, und er sah es doch, wie Du dabei fühltest – konnte ich denken, daß ein Mann in seinen Jahren ein solch’ frivoles Spiel mit dem Herzen eines Mädchens treiben würde?“

Das leise Zittern, das Herminens Körper überflog, verriet es, daß sie weinte, aber obwohl das Mitleid, mit dem der Blick der Mutter auf ihrem Kinde ruhte, sich vertiefte, fuhr sie, ihrer Stimme Festigkeit gebend, fort: „Freilich hat mir immer zu denken gegeben, daß er es stets vermied, öffentlich mit uns zusammen zu sein. In den Konzertgärten, auf der Promenade wurde uns immer nur ein Gruß, nie ein Wort zu teil. Aber, was man hofft, glaubt man so leicht; ich dachte, gerade weil er es ernst mit Dir meinte, wollte er Dich vor etwaigem Gerede schützen. Aber es war nur die Vorsicht des herzlosen Egoisten!“

„Wie hart bist Du, Mutter,“ schluchzte das Mädchen leise.

In dem Augenblick ertönte im Flur die Glocke; Hermine sprang auf und machte eine Bewegung, als wollte sie dem Einlaßbegehrenden entgegen eilen. Die Mutter hielt sie zurück und ging hinaus, um selbst die Thüre zu öffnen. Vor derselben stand ein Diener in Livree und reichte mit den höflichen Manieren eines gutgeschulten, herrschaftlichen Lakaien ihr einen Brief hin.

„Vom Herrn Regierungsrat von Walden mit seiner ergebensten Empfehlung.“

Frau Eichberg trat ins Zimmer zurück und warf, während ihre Lippen vor Erregung zitterten, mit einer Miene der Geringschätzung den Brief auf den Tisch.

„Also einer Entschuldigung würdigt er uns doch noch!“

Ein vorwurfsvoller Blick aus Herminens Augen traf die Mutter, während sie hastig nach dem Couvert griff, es öffnete und halblaut las:

„Hochverehrte, gnädige Frau! Leider muß ich wieder für mein Nichterscheinen um Verzeihung bitten. Dringliche amtliche Arbeiten und eine Einladung, die, vom Chef kommend, doch mehr ein Befehl ist, zwingen mich – etc.“

Hermine atmete auf, ihre blassen Wangen hatten sich gerötet. „Siehst Du, Mutti, sind das nicht Gründe genug? Ist ein Mann denn so frei wie wir Frauen? Im Sommer konnte es leicht anders sein, weil die Geselligkeit ruhte. Nein, nein,“ rief sie und schlang die Arme um die Mutter, „Du sollst mir das Vertrauen auf seine Redlichkeit nicht nehmen. Ich will – will nicht an ihm zweifeln –

Kannst Du des Freundes Thun nicht mehr begreifen,
Dann fängt der Freundschaft frommer Glaube an.“


4.


Heute war endlich der erste Ball im Klub, und in allen zur Gesellschaft gehörenden Familien der Stadt rüstete man sich zu dem Vergnügen.

Auch in der Familie des Geheimen Oberfinanzrat Brückner herrschte zu Ehren dieses Festes eine heitere Geschäftigkeit. Lisbeth hatte den ganzen Vormittag an den zierlichen Unterkleidern Elfriedens geplättet, nun wirbelte diese auf weißen Atlasschuhen in den kurzen, spitzenbesetzten Röckchen im Salon auf und ab, um sich, wie sie versicherte, die Glieder für den Tanz geschmeidig zu machen. Dabei lachten ihre Augen so kindlich froh, das ganze Persönchen atmete so viel Lust und Leben, daß die ältere Schwester mit sichtlichem Wohlgefallen ihrem Treiben zuschaute. Endlich warf sich die unermüdliche Tänzerin hochatmend auf den Stuhl, der vor den großen Spiegel gerückt war.

„Schnell, schnell, Lisbeth, frisiere mich nun! Jetzt hast Du mich fest – hernach habe ich wieder keine Geduld.“

Lisbeth trat auch eilig hinzu, löste die langen, schwarzen Flechten und ließ den Kamm durch das glänzende, seidenweiche Haar gleiten: dabei schalt sie lächelnd: „Wie thöricht, Elfe, Dich so abzujagen! Als ob’s heute abend nicht ohnehin genug der Anstrengung würde! – Ueberhaupt! Wie viel wirst du noch tanzen in Deinem Leben!“

„Wer weiß!“ meinte jene. „Und als Frau hat man doch nur die halbe Freude davon –“

„Was fällt Dir ein, Kind? – als Frau!? Freue Dich Deiner Jugend und denke noch nicht an Heirat! So gut wird’s Dir doch nirgend, wie Du es im Elternhause hast.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0670.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2016)