Seite:Die Gartenlaube (1896) 0682.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

immer trockenen, spröden, rissigen, oft aufgeworfenen Lippen einen blöden, zuweilen sogar unsäglich dummen Ausdruck. Schließlich, bei längerer Dauer, wird auch der Knochenbau des Gesichtsschädels stark verändert, was sich durch eine eigenartige Verbilduug des Oberkiefers (er weist eine Spitzbogenform auf) nebst falscher Stellung der Zähne offenbart. In der Schule können diese Kinder dem Unterrichte nur schwer folgen, sie werden hier wie zu Hause für unaufmerksam, faul und dumm gehalten, werden gescholten und gestraft, und doch können sie nichts, gar nichts dafür; sie sind krank und können einfach nicht folgen, weil sie nicht gut hören, weil zudem der jugendlich frische Geist gewaltsam darniedergedrückt ist.

Und ähnlich, wie sich am Gesichte die Erkrankung ausprägt, ist ihre Wirkung auf die Entwicklung des Körpers selbst erkenntlich; er wird in seinem natürlichen Wachstume in gewisser Beziehung gehemmt; statt daß die Brust, wie es um diese Zeit der Fall sein sollte, an Umfang zunimmt, zumal im Tiefendurchmesser, flacht sich der Brustkorb ab, er wird schmal, enge; gar manches engbrüstige Kind verdankt seine für die Zukunft so folgenschwere körperliche Verbildung neben der geistigen Minderwertigkeit gerade den Wucherungen in den Nasenschleimhäuten, der Ausschaltung der normalen Nasenatmung. Wer diese der Natur entnommene Schilderung auch nur für etwas übertrieben halten sollte, der möge die armen Kleinen vor der Behandlung und nach einer richtig durchgeführten Heilung ansehen: sie sind nachher einfach nicht mehr zu erkennen; aus dem totenblassen, schmächtigen, trägen und scheinbar dummen Knaben ist ein prächtiger, lebhafter, frischer Junge geworden. In ähnlicher Weise, wenn auch nicht in so hohem Grade wie diese Wucherungen am Nasenrachendache, üben die entweder gleichzeitig mit diesen oder auch allein für sich vorhandenen vergrößerten Mandeln einen ungünstigen Einfluß auf die Atmung, die Sprache und das Gehör. Ebenso dürfen wir nicht außer acht lassen, daß alle Personen, die mit zu großen, geschwollenen Mandeln behaftet sind, eine große Neigung für alle möglichen Halsentzündungen, von dem einfachen leichten Schluckhalsweh bis zur schweren Diphtherie, aufweisen.

Kann man nun auch diesen bedenklichen Erkrankungen erfolgreich zu Leibe gehen, so wäre es doch viel besser, man trachtete danach, sie überhaupt nicht zum Entstehen kommen zu lassen.

Vom Munde und Nasenrachenraume gehen die Folgeerkrankungen aus; es muß also vor allem danach gestrebt werden, ihn vollkommen gesund und widerstandsfähig zu machen und ihn dann so zu erhalten. In erster Linie steht hier also die Hygieine des Mundes und Rachens.

Da haben wir zunächst das Gurgeln und die Reinigung der Zähne, des Mundes in Betracht zu ziehen. In den meisten Kulturländern wird ja gegurgelt, aber lange nicht in dem Maße, wie es geschehen sollte, ja es giebt trotz aller Verfeinerung der Sitten noch Leute genug, die bloß dann zum Gurgeln die Zuflucht nehmen, wenn sie Halsweh haben oder wenn es ihnen der Arzt verordnet.

Was zum Gurgeln genommen wird, ist eigentlich im großen und ganzen ziemlich gleichgültig: frisches kaltes Wasser, dem man unter Umständen eine kleine Portion Kochsalz oder doppeltkohlensaures Natron oder auch eine kleine Menge einer antiseptisch wirkenden Flüssigkeit zusetzt, genügt völlig bei gesundem Nasenrachenraume. Aber in Betreff der Zeit, wann zu gurgeln ist, wird viel gesündigt. Zunächst und allgemein muß das Gurgeln nicht nur zur Zeit eines Krankseins, sondern tagtäglich gehandhabt werden. Und hier genügt es wiederum nicht, sich einmal am Tage den Mund zu reinigen, es muß als Grundsatz für die Pflege des Halses und Mundes gelten, daß die Reinigung nicht bloß morgens nach dem Aufstehen, sondern auch mittags nach der Mahlzeit und insbesondere, das ist das hauptsächlichste, abends vorm Zubettgehen erfolge. Also mindestens dreimal während des Tages! Das muß in Fleisch und Blut übergehen, zur unentbehrlichen Gewohnheit werden und das kann es, wird es auch werden, weil der Erfolg nicht auf sich warten läßt; das Resultat ist ein gesunder, gegen Erkältungs- und Ansteckungseinflüsse jeder Art außerordentlich widerstandsfähiger Mundraum.

Ich habe eben gesagt, die tägliche Generalreinigung durch Zahnputzen, Mundspülen und Gurgeln solle abends erfolgen; das steht im Widerspruche mit den Gepflogenheiten der meisten. Trotzdem beharre ich darauf, und zwar, wie ich glaube, nicht mit Unrecht. Denn man wird mir wohl bei einfach nüchterner Betrachtung zugeben müssen, daß es geradezu unvernünftig, unsinnig ist, an den Organismus die Zumutung zu stellen, er solle all die Keime, die organischen und unorganischen Verunreinigungen, die sich tagsüber naturnotwendig während der wiederholten Arbeit des Kauens, Trinkens, Atmens im Rachenraume angesiedelt haben, unbeschadet konservieren, ihnen noch während der ganzen Dauer der Nachtruhe Gelegenheit zu geben, recht üppig zu wachsen und üble Folgen zu erzielen. Wie unsinnig das ist, diese giftigen Spaltpilze so wirken zu lassen, kann jeder leicht daran erkennen, daß er, wenn er sich frühmorgens erhebt, gewöhnlich einen abscheulich unangenehmen Geschmack im Munde fühlt. Doppelt notwendig ist diese abendliche Reinigung bei Personen, die unter tags viel geraucht oder abends Spirituosen in den verschiedensten Formen zu sich genommen haben.

Es wäre nun aber gründlich falsch, annehmen zu wollen, es brauche zu anderen Tageszeiten nichts mehr zu geschehen: frühmorgens muß die Reinigung, wenn auch vielleicht nicht so energisch bezüglich des Zahnputzens, wiederholt werden, da sich während des Schlafes wieder gar mancherlei angesiedelt und zersetzt hat, und ebenso sollte es zur Regel gemacht werden, nach der Mittagsmahlzeit den Mund wenigstens mit Wasser ein paarmal gut auszuspülen.

Wer diese Maßregeln befolgt, wird den günstigen Einfluß gar bald an sich beobachten können; der fade, pappige Geschmack, der sonst erst nach dem Frühstück verging, kommt überhaupt nicht mehr; die Speisen schmecken viel besser, und infolge hiervon wird auch die Ernährung zuweilen in einer sehr günstigen Weise beeinflußt; die Zahnschmerzen werden immer seltener; die häufigen Halsentzündungen treten immer weniger auf und verschwinden ganz: kurz es macht sich allmählich eine große Aenderung im günstigen Sinne allgemein bemerkbar.

Wenn ich mich bisher über die Zeit der lokalen Reinigung ausgesprochen habe, so dürfen wir darüber nicht vergessen, daß es durchaus nicht gleichgültig ist, wie man gurgelt.

Die allgemein bisher beliebte Art des Gurgelns ist grundfalsch: es ist zur Uebung geworden, sich zu gurgeln, indem man den Kopf, nachdem der Mund mit der betreffenden Flüssigkeit mehr oder weniger stark gefüllt ist, möglichst weit nach rückwärts neigt und nun das bekannte Gurgelgeräusch erschallen läßt. Das hat aber keine Bespülung der tieferen Halspartien, die eben gerade getroffen werden sollen, zur Folge, sondern wirkt, da hierbei die Flüssigkeit nur bis an den Gaumen gelangt, höchstens als Mundspülung. Also ausreichend ist diese übliche Art auf keinen Fall.

Vor allem merke man sich, daß das Gurgelgeräusch, das manche für die Hauptsache ansehen, vollständig unnötig ist; man braucht gar nichts zu hören. Zweitens nehme man einen kleinen, keinen großen Schluck der Gurgelflüssigkeit, lege den Kopf blos halbweit, nicht ganz, zurück und lasse nun die Flüssigkeit langsam, ohne jedes weitere Zuthun von selbst sich nach abwärts senken; so sinkt sie dann in den Hohlraum hinunter und wird nun, da sich jetzt die Muskeln des Schlundes unwillkürlich anfangen zusammenzuziehen, während einer leichten Vorwärtsneigung des Kopfes mit ziemlicher Gewalt nach oben gepreßt, also zum Munde, teils wohl auch einmal zur Nase herausgeschleudert. Auf diese Weise wird das ganze Schlundrohr gewissermaßen ausgequetscht und es werden zugleich der anhängende zähe Schleim, die abgestorbenen Schleimhautpartien, die aus den Zähnen gespülten Speisereste, kurz alle Verunreinigungen, energisch mitgerissen; bei dieser Art Gurgelung werden auch die Mandeln gehörig in den Bereich einer wirklichen Reinigung gezogen.

Das zur Spülung verwendete Wasser sollte womöglich immer von frisch kühler Temperatur sein. Bei der Mundspülung allein, wie sie nach dem Zahnputzen zu erfolgen hat, muß das Wasser kräftig etlichemal zwischen den Zähnen durchgepreßt und wieder zurückgezogen werden, was durch die Bewegung der Wangenmuskeln sehr leicht zu erreichen ist. –

Damit ist aber die Hygieine des Nasenrachenraumes noch nicht erschöpft. Unter den Mitteln, die geeignet sind, Erkrankungen vorzubeugen, ist noch in erster Linie die Lungengymnastik zu nennen. Sie ist ebenso einfach wie die vorher geschilderten Reinigungsarten, wird aber noch viel weniger geübt als die ersteren, hauptsächlich wohl wegen Unkenntnis: man weiß in Laienkreisen sehr wenig davon. Es ist selbstverständlich, daß

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0682.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)