Seite:Die Gartenlaube (1896) 0686.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Und wenn dem Madl nachher im Zorn einmal ein unguts Wörtl ’rausfahrt, kann man’s ihr gar net verargen! Und schließlich hat ja ’s Madl gar nix anders g’sagt als die traurige Wahrheit, die ich lang’ schon spür’: daß jede andere besser für mich langen möcht’ wie Du! Beloben hätt’ ich das Madl noch müssen für so ein Wort, … statt daß der da mit seine groben Fäust’ dazwischen fahrt und möcht’ ’s Madl gleich ’nauswerfen zum Haus, mir nix und Dir nix! So was könnt’ mir grad’ noch taugen! Das Madl is eh’ noch die einzig’ im Haus, von der ich ein guts und ein lustigs Wörtl …“ Purtscheller verstummte und starrte seine Frau in maßloser Verblüffung an.

Karlin’ war auf Mathes zugegangen und hatte ihm die Hand gereicht. „Ich dank’ Dir schön, Mathes!“ sagte sie, während ihr aus den verstörten Augen die Thränen über die bleichen Wangen rannen. „Schau, ich hab’ mir eh’ schon immer ’denkt, daß noch wer auf der Welt is, der sich um mich noch ein bißl annimmt!“

„Frau Purtschellerin, … Mar’ und Josef … ich bitt’ Ihnen …“ stotterte Mathes und gab ihre Hand frei, die er kaum zu berühren gewagt hatte.

Unter Thränen lächelnd nickte sie zu ihm auf und wollte in die Schlafstube gehen.

Da vertrat ihr Purtscheller den Weg. Er hatte Schaum in den Mundwinkeln, und keuchend klang seine Stimme: „Du! … Du! … Solchene G’schichten verbitt’ ich mir fein! Und wenn nimmer weißt, an wen Dich z’halten hast … paß auf, Du … so könnt’ ich Dir ’leicht wieder einmal ein’ Deut’ geben, den acht Tag lang umeinander trägst im G’sicht!“ Der ernste, kalte Blick, mit welchem Karlin’ zu ihm aufsah, reizte noch seinen Zorn. „Schau mich net so an! Du! Oder es kann Dir gleich passieren …“ Er stürzte auf Karlin’ zu und hob die Faust zum Schlag.

Aber da klammerte sich eine eiserne Hand um seinen Arm.

„Bub’, Du! … den Knochen brich ich Dir auseinander!“

Purtscheller stöhnte vor Schmerz.

Ein paar Sekunden war lautloses Schweigen in der Stube; dann sagte Karlin’ mit versunkener Stimme: „Laß ihn, Mathes … er weiß ja net, was er thut!“

Mathes gab den Arm frei, den seine Faust gefangen hielt.

„So? … So?“ lallte Purtscheller, der den schmerzenden Arm rieb und nur halb aus seinem Jähzorn ernüchtert schien. „So was traust Dich Du gegen Dein’ Herrn!… Paß auf, Du! … Mit Dir will ich Rechnung halten, wenn ’s an der Zeit is!“ Er packte seinen Hut und rief seiner Frau über die Schulter zu: „Und Du kannst warten auf mich … aber lang’!“ Mit zornigem Gelächter verließ er die Stube und warf die Thüre zu.

Zitternd und wortlos standen Mathes und Karlin’ voreinander, Aug’ in Auge. Keines regte sich, und immer schwerer gingen Karlin’s Atemzüge. Mathes brauchte nicht zu sprechen – der Schmerz, der um seine Lippen gegraben lag, der heiße Glanz seiner Augen und seine bleichen Züge sagten ihr auch ohne Worte, was er gelitten und was er fühlte für sie.

„Mathes? … Um Christiwillen?“ hauchte sie tonlos und starrte ihn zu Tod erschrocken an.

Er nickte.

„Ja, Linerl! … Ich hab’ Dich gern g’habt, seit ich denk’!“

„Jesus Maria!“ stammelte sie und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

So standen sie schweigend. Dann sagte er: „Gelt, Linerl, das siehst doch ein, daß ich jetzt nimmer bleiben kann?“

„Ja, Mathes!“ Aufatmend ließ sie die Arme sinken. „Jetzt mußt freilich fort!“

„Für ganz …“

„Ja, Mathes! Für ganz!“

Scheu und zögernd bot er ihr die Hand. „So b’hüt’ Dich halt Gott, Linerl!“ Zwei schwere Thränen fielen ihm über die hohlen Wangen auf die Brust.

„B’hüt’ Dich Gott auch!“ Die Hand, welche sie in die seinige legte, war kalt und zitterte. „Und grüß’ mir Deine guten Leut’ daheim!“

„Ich dank’ schön, ja!“

Er hob den Hut auf, der ihm entfallen war, und verließ die Stube. Karlin’ sah ihm mit nassen Augen nach, und als sich die Thür geschlossen hatte, griff sie in Schmerz mit beiden Händen an ihre Brust. Sie hatte den Irrtum ihres Lebens erkannt und sah mit träumenden Augen das stille, freundliche Glück, an dem sie blind vorübergegangen war. Und diese Erkenntnis wurde in ihrem Herzen zu jäher Sehnsucht, die sie mit heißer Freude empfand und dennoch mit einem Schreck, der sie halb von Sinnen brachte. Die Hände verschlingend, fiel sie auf die Kniee nieder und stammelte in Angst: „O, lieber Herrgott! Thu’ mich bewahren vor der Sünd’!“ Auf der Erde liegend, grub sie das Gesicht in die Arme und schluchzte …

Als die Erschöpfung kam und ihre Thränen versiegten, als sie müd’ und gebrochen sich aufrichtete, hörte sie aus der Kammer das leise Weinen ihres Kindes. Mit ersticktem Aufschrei wankte sie in den dunklen Raum, brach vor dem Bettlein nieder und umschlang den Knaben, wie ein Sinkender sich an die Rettung klammert.

Das Kind erschrak; doch von der schmeichelnden Hand der Mutter ließ es sich bald wieder beruhigen. „Bitt’ schön, Mammi,“ bat es mit schläfrigem Stimmchen. „Thu’ mir Liederl singen!“

„Ja, mein Herzerl!“ lispelte Karlin’. Und während ihr Thräne um Thräne über die Wangen sickerte, sang sie mit erloschenem Ton:

„Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so lieb!
Zwitschert Wald aus und ein:
Wo mag mein Schätzerl sein?
Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so lieb!

Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!
Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein …“

Sie stockte und konnte die Zeile nicht zu Ende singen. Zitternd preßte sie das Gesicht in die Kissen, auf denen das Köpfchen ihres Kindes ruhte.

Aus dem Raum, der unter der Schlafstube lag, klang der gedämpfte Hall von Schritten herauf, welche langsam hin und hergingen. Dort unten lag die Kammer, welche Mathes bewohnte.

Beim flackernden Schein einer Kerze ging er zwischen Kasten und Koffer hin und her und packte ein, was er vor fünf Monaten in den Purtschellerhof mitgebracht hatte. Als er fertig war, räumte er sauber die Kammer auf, blies das Licht aus – und da er sich aus Purtschellers Wirtschaft einen Karren nicht borgen wollte, nahm er den Koffer auf die Schulter. Niemand sah ihn das Haus verlassen. Draußen auf der Straße blieb er stehen, blickte zu den dunklen Fenstern hinauf und flüsterte: „B’hüt’ Dich Gott, Linerl!“

Die Nacht war lau; nur wenn der Wind ein wenig schärfer über die Berggehänge niederzog, spürte man den kühlen Hauch des Winters, der noch dort oben auf den Almen und in den Felsenkaren lag. Die wachsenden Bäche rauschten, und zahllos funkelten am stahlblauen Himmel die Sterne. Als der Weg steiler wurde, mußte Mathes alle paar hundert Schritt rasten. In der Nähe der Simmerau führte der Pfad über Stellen, auf denen der Schnee noch in großen Flecken lag; er sah sich schwärzlich an, und rings um seine Ränder war ein leises Rieseln zu vernehmen. Von der Höhe des Gehänges leuchtete ein rötlicher Schein.

„Sie schaffen beim Licht!“ murmelte Mathes.

Als er rascheren Ganges weiterstieg, sah er plötzlich vor seinen Füßen eine tiefe Kluft, welche quer den Pfad durchriß. Sie mußte in den letzten Tagen entstanden sein, denn am Sonntag, als er in der Simmerau zu Besuch bei seinen Leuten war, hatte er diese Schrunde noch nicht gesehen.

„Jetzt macht er flinke Arbeit, der Berg!“ Während Mathes die Kluft umging, welche zu breit war, als daß er sie mit seiner schweren Last hätte überspringen können, sah er mit sorgenvollen Blicken zum Himmel auf, dessen sternhelle Klarheit einen sonnigen Tag versprach. „Morgen wird ’s Wasser geben … und harte Stunden für ’n Vater!“

Er begann so rasch zu steigen, daß ihm der Schweiß in Fäden über Stirn und Wangen rann.

Als er in die Nähe des elterlichen Hauses kam, dessen Dach sich schwarz von der roten, den Garten erfüllenden Fackelhelle abhob, klang ihm eine zitternde Männerstimme entgegen:

„Bub’! Bist Du ’s?“

„Ja, Vater!“

„Gott sei Lob und Dank!“

Der Alte kam in Hemdärmeln über den Bühel herunter gehumpelt und fragte verwundert: „Warum bringst denn Dein’ Kufer mit?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0686.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)