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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ihr, was sie sonst machen sollte, da konnte sie eben nichts thun als weinen.

Lisbeth tröstete sie, hieß sie das Tuch von den Augen nehmen und Feuer anmachen und versprach, selbst zu kommen und mit Hand anzulegen. Dieser Zuspruch wirkte Wunder. Auguste versicherte, es sei ihr jetzt schon ganz leicht ums Herz, und Lisbeth wandte sich von ihr weg dein Krankenzimmer zu.

„Tritt näher, Lisbeth,“ sagte die junge Frau mit bebendem Ton, „ich will Dich umarmen. Ach, mein geliebtes Herz, wie danke ich Dir nun weiß ich Mann und Kind und die arme kranke Mutter geborgen, da Du bei ihnen bist!“

„Nun, Gertrud, wir wollen uns Mühe geben, daß sie alle bald wieder Deiner Sorge unterstellt sind. Sei nur recht ruhig und denke nicht an die augenblickliche Kalamität, sondern erquicke Dich an dem Gedanken, wie sich Dein Glück und Dein Reichtum vergrößert hat! Ist es denn frisch und kräftig, Dein Baby?“

Die Kranke nickte und ein mattes Lächeln flog über ihr Gesicht, das in dem schwachen Schein des Nachtlichtes bis auf die fieberroten Wangen weiß erschien wie die Kissen, in denen sie lag.

„Es ist zu niedlich,“ flüsterte sie dann, „und es sieht Arnold so ähnlich, sogar der blonde Haarbüschel lockt sich schon jetzt auf der Stirn, wie bei ihm.“

„Nun, siehst Du, es ist Dir leicht gemacht, an Heiteres zu denken. Jetzt lege ich Dich auf die Seite und Du versuchst ein wenig zu schlafen. Mit dem Süppchen, das ich Dir kochen werde, komme ich dann und wecke Dich.“

„Und Arnold? Ich glaube, seit Mütterchen liegt, hat er noch nichts Vernünftiges zu essen bekommen.“

„Bekommen wohl, aber aus Sorgen um Dich nichts gegessen. Nun sei aber darum ruhig, jetzt ist das meine Sache, mein Schatz!“

„Lisbeth!“

„Was ist’s, Trudchen?“

„Ich möchte Dir gern noch etwas sagen.“

„Später, Liebste, jetzt ruhe Dich aus von der Aufregung, in der Du Dich den ganzen Tag befunden. Ich will nun sehen, daß die Deinen zu ihrem Recht kommen.“

Nach einer halben Stunde zeigte sich die Lage des Hauses Römer schon wesentlich gebessert. Die Kranken hatten ihr Süppchen genossen, und wenigstens die Frau Rektor schlief fest und sanft, während Arnold im Gefühl, daß jetzt jemand seine Sorgen mittrug, ruhiger geworden war und leichter geneigt schien, Lisbeths Trostesworten zu glauben.

So brachte die Nacht Frieden und Ruhe für die verängstigten Gemüter und der Sorgenbrecher Schlaf vollendete die Wohlthat der Natur und schloß allen die Augen.

Nur Lisbeth wachte. In einen Lehnstuhl gedrückt saß sie an Gertruds Bett, hielt die fieberheißen Hände der jungen Frau in den ihren und betrachtete mit stummem Schmerze dieses in den wenigen Tagen so verfallene Gesicht. Die Kranke stöhnte, warf sich hin und her, focht mit den Händen in der Luft und murmelte leise Worte. Endlich, nach einigen angstvoll verbrachten Stunden, öffnete sie plötzlich die Augen, sah Lisbeth mit leeren Blicken an und schloß sie dann wieder, um nach einigen Minuten mit dem Ausdruck völligen klaren Bewußtseins sie wieder aufzuschlagen.

„Lisbeth!“

„Ich bin’s, Trudchen, wünschest Du etwas?“

„Ja, ich muß zu Dir reden, lasse mich sprechen, sonst finde ich keine Ruhe!“

„Sprich, mein liebes Herz!“

„Lisbeth, ich werde sterben, ich fühl’s.“

„Liebste Gertrud, ist es nicht unrecht, Dich durch solche Gedanken aufzuregen! Du wirst in wenigen Tagen frisch und gesund sein der - Arzt hat’s noch abends Deinem Manne versichert.“

„Nein, Lisbeth, täusche Dich nicht er irrt – hier sitzt’s“ - sie legte ihre schmale Hand auf die Brust – „ich werde nie mehr frisch und gesund sein. Aber Lisbeth – ich fürchte mich nicht. Jedem Menschen ist sein Teil Glück zugemessen - mir ist ein vollgeschüttelt Maß geworden – nun gehe ich – mag auch Arnold glücklich werden –“

„Aber, Gertrud - Gertrud!“

„Ja, es ist so, Lisbeth. – Er ist der beste, der edelste der Menschen – er hat mich namenlos glücklich gemacht in den Jahren, da ich ihm angehörte – und jetzt erst habe ich begriffen - daß er es nicht ist. – Er nahm mich an sein Herz, weil er sah, wie grenzenlos ich ihn liebte das seine gehörte einer anderen, gehörte ihr von Jugend an - - gehörte ihr ganz allein. - - Sei ruhig, Lisbeth, halte still - laß mich ausreden! – Deiner Mutter Stolz hatte ihn so tausendmal aufs bitterste verletzt, und daß Du nur dulden, nicht handeln konntest, ließ ihn an Dir zweifeln. Er glaubte wohl, er bezwinge sein Herz leichter, wenn er sich Pflichten auferlege aber Lisbeth er hat es nie bezwungen – nie - - niemals - -“

Der Freundin Antlitz war blasser fast als das der Kranken, als sie sich nun über sie beugte.

„Mein armes Herz,“ sagte sie sanft, „Du fieberst, Du phantasierst, mache Dich los von diesen bösen Träumen. Ich will Dir ein Schlückchen Wasser geben und Dich höher betten, vielleicht kannst Du dann besser schlafen!“

„Ich phantasiere nicht, Lisbeth, jedes Wort ist überlegt, das Du gehört. Ich habe Gott immer gebeten, daß ich es Dir sagen darf, und er hat es mir gegönnt. Ich will kein Versprechen - ich will mich keinen Wunsch äußern - nur sagen wollte ich Dir, was ich gesagt habe, Dir ganz allein - und nun ich das gethan, bin ich ruhig - ganz ruhig - nun werde ich auch schlafen!“

Lisbeth nahm sie schweigend in ihre Arme, richtete die Kissen höher, reichte ihr den erfrischenden Trunk und setzte sich wieder ihr zu Häupten.

„Gieb mir die Hand, Lisbeth!“

Diese nahm die kleine, fiebernde Hand der Freundin in die ihren, die so kalt waren, als wären sie innerlich erstarrt. Wie das Blut in dein schwachen Körper jagte und glühte, wie jeder Pulsschlag drin kämpfte mit dem dunklen Ueberwinder Tod! Gott – Gott nur dieses nicht – nur dieses nicht! Stundenlang saß sie so, ohne sich zu regen, ihre Glieder wurden steif durch die unbewegliche Stellung, eisige Schauer flogen über ihren Leib, sie merkte nichts, dachte nichts, fühlte nichts als die Angst, die Todesangst um das junge, fliehende Leben der Freundin. Und immer noch ging der Atem so heiß und schnell über die heißen Lippen, immer noch drang der röchelnde Ton aus der Tiefe der Brust, und wenn die nur halbgeschlossenen Augen sich plötzlich öffneten, war es ein leerer, verständnisloser Blick, der auf Lisbeth fiel.

Endlich ging die qualvolle Nacht zu Ende – ein blasses Frührot tauchte schon im Osten auf – da spürte sie die heiße Hand kühler werden, auch die fieberroten Wangen erblaßten allmählich, die Glieder streckten sich, und wie die Lider tief und fest über die Augen fielen, verwandelte sich diese zitternde, fiebernde Bewußtlosigkeit in die tiefen, langen, regelmäßigen Atemzüge einer Schlafenden.

Der Arzt, der am Morgen seinen Besuch machte, war äußerst überrascht und erfreut.

„Das gnädige Fräulein ist als ein rettender Engel hier erschienen, ich habe kaum auf diesen günstigen Ausgang gehofft.“

„Darf ich ihr, wenn sie erwacht, ihr Kindchen bringen?“

„Nein, keinesfalls. Sie wird aber auch nicht danach verlangen; ihre Mattigkeit wird so groß sein, daß sie noch längere Zeit keinerlei Interesse verrät.“

Und so war es auch. Fast immer lag die junge Frau in festem Schlaf und dieser wechselte dann mit leichtem Schlummer ab. Sie ließ sich Nahrung einflößen, öffnete wohl auch die Augen und begrüßte mit einem freundlichen Blick oder einem liebevollen Worte ihre Umgebung, um dann wieder in den dämmernden Halbschlaf zu sinken.

Im ganzen Hause hörte man keinen lauten Ton, alle Glocken waren abgestellt, die Uhren angehalten, man bewegte sich nur langsam und leise, sprach nur flüsternd und zitterte schon vor jedem Geräusche auf der Straße, das diese verheißungsvolle Ruhe stören könnte. – So gingen viele, viele sorgenvolle Tage und Nächte hin; endlich an einem Morgen erwachte Gertrud mit völlig klaren Augen und rief Lisbeth zu sich heran.

„Ich lebe wieder, Lisbeth!“

„Dem Himmel sei dafür gedankt, mein Liebling!“

„Ja, ich will ihm danken jeden Tag und jede Stunde. Ach, ich lebe ja so gern! Und Deiner treuen Sorge, Lisbeth, verdanke

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0691.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2016)