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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

hinterhaus des rathhauses, zum ersten bewustsein gekommen, mein vater war stadtschreiber beim amt Bücherthal und wurde im sommer 1791 als amtmann nach Steinau versetzt, wo er frühe schon, jan. 1796, starb und sechs waisen hinterliesz. meine frühesten knabenerinnerungen stehen natürlich zu Steinau, doch ist mir noch manches aus der Hanauer zeit im gedächtnis.

die Kinderstube war hinten und gieng in den von einer nahen mauer beschränkten hof, über die mauer ragten obstbäume aus dem benachbarten garten, wahrscheinlich dem rathhausgarten. im rathhaushof spielten wir oft, gegenüber auf der anderen seite der strasse wohnte damals ein handschuhmacher, dessen namen ich lang behalten, doch jetzt vergessen habe. ich wurde oft über den paradeplatz in die altstadt zum grossvater getragen und geführt, muste im letzten jahr, etwa 1790 in eine schule laufen, die auf der entgegengesetzten seite, hinter dem Neustädter markt am platz der französichen kirche lag.

Das Geburtshaus der Brüder Grimm in Hanau.
Nach einer Photographie von Thiele-Haffot in Hanau.

wollen sie wissen, wie ich damals aussah, so kann ich ein bildchen in den brief legen, das nach einem august 1787 von dem mahler Urlaub gemahlten ölbild radirt worden ist, ich stehe darauf in violetter jacke und hose mit grüner schärpe, doch gewöhnlich werde ich damals noch im blosen kittel herumgelaufen sein. zu der zeit des bildes war ich also 2 1/2 jahr alt, jetzt wäre ich danach nicht wieder zu erkennen.

aus der zeit, wo wir in der langen gasse wohnten, ist mir zufällig etwas in erinnerung geblieben und ich habe später im leben daran denken müssen, an einem frühen sommermorgen stand ich neben dem vater in der wohnstube am fenster, alle anderen schliefen noch, da sah ich eine magd mit einem zuber auf dem Kopf über die gasse gehen und die sonne spiegelte sich hell in dem wasser ab. im geist sehe ich noch immer das sonnenlicht in dem wasser zittern. das wird im jahr 1789 gewesen sein.

Aber geboren wurden wir in diesem hause nicht, sondern in einem am paradeplatz, wenn man vom ,weissen löwen‘ an hinaufgeht, etwa im zweiten oder dritten haus der reihe oben, falls das haus noch stehen geblieben ist, denn es sind seitdem schon 73 jahre verstrichen. ich hörte einmal, in diesem haus sei später die polizei gewesen, daran können Sie sich vielleicht zurecht finden.

gesetzt sie ermitteln es, so bitte ich mir die hausnummer aufzuschreiben, wie auch die von Ihrem haus in der langen gasse.

Nehmen Sie vor lieb mit diesen wenigen und mageren nachrichten, ich bin mit herzlichem grusz
Ihr ergebenster 

Jacob Grimm. 

Berlin 30 dec. 1858.“ 

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Alle Rechte vorbehalten.

Deutsche und holländische Landeroberungen an der Nordsee.

Von Dr. Eugen Träger. Mit Kartenskizzen vom Verfasser und Ansichten von Hans Bohrdt.

Die überaus merkwürdigen und geographisch so interessanten Küstenverhältnisse der Nordsee mit ihren Inseltrümmern und Watten haben nicht nachgelassen, die Aufmerksamkeit derer zu erregen, die sie aus eigener Anschauung kennenzulernen Gelegenheit hatten oder beim Eintritt von Katastrophen Kunde von ihnen erhielten. Den Römern waren sie nach den Aufzeichnungen des Plinius und Tacitus ein Ort des Schreckens, der in gleicher Weise ihr Grauen wie ihr Mitleid mit den armseligen Bewohnern erregte, den kirchlichen Schriftstellern des Mittelalters nach allem, was sie von Zeitgenossen gehört hatten, eine Gegend voller Naturwunder, den späteren friesischen Chronisten ein Schauplatz des Jammers und der strafenden Gerechtigkeit Gottes, der Gegenwart aber ein Feld wissenschaftlicher Forschung in historischer, geographischer und naturwissenschaftlicher Hinsicht.

Projektierte Abdämmung der Zuider-See.

Die Nordsee ist eines der sturmreichsten Meere der Erde, denn sie nimmt nicht allein Teil an den Luftströmungen nach und vom nördlichen Polarmeer, sondern seit der Zerstörung der alten Landverbindung zwischen Dover und Calais, die England zur Halbinsel machte, auch noch direkt an den meteorologischen Verhältnissen des nordatlantischen Oceans. Er ist die Bahn für die schweren Stürme, die infolge der bedeutenden Temperaturdifferenzen auf dem nordamerikanischen Kontinent entstehen und dann beeinflußt durch den Golfstrom ihren Weg mit furchtbarer Geschwindigkeit nach dem nördlichen Europa nehmen. Hatten sich während des Bestehens der britannisch-gallischen Landenge in der ruhigen Nordsee Dünen und in den ersten Zeiten nach ihrem Durchbruch noch Marschen hinter ihnen bilden können, so änderte sich das, als infolge der beständigen Wiederholung wütender Sturmfluten die Dünenkette in einzelne Glieder zerrissen und die Marsch hinter ihnen von Meeresarmen durchschnitten ward. Die steten Überschwemmungen wurden eine ernste Gefahr für die Küstenbewohner und ihren Landbesitz, so daß sie endlich daran gehen mußten, durch Deiche dem wilden Wasser entgegenzutreten.

Wann das geschehen sei, entzieht sich der sicheren Bestimmung; bei den Batavern an den Rheinmündungen fanden die Römer bereits Dämme vor, bei den Nordfriesen scheint erst lange nach der Einführung des Christentums gedeicht worden zu sein, bei den Ost- und Westfriesen an den Südufern der Nordsee schon vorher, doch blieben bei allen Stämmen die Deiche schwach genug, um die endlose Reihe von Unglücksfällen zu ermöglichen, von denen historische Quellen und Chronisten zu erzählen wissen. Zu den bekanntesten Ereignissen dieser Art gehören die Umwandlung des größten norddeutschen Binnensees in die heutige Zuidersee am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, die zwischen 1277 und 1287 erfolgte Bildung des Dollart und, in demselben Jahrhundert, die Entstehung des Jadebusens, wobei weite Strecken reichen Kulturlandes vom Meere verschlungen wurden, und endlich 1634 die Zertrümmerung der großen Insel Nordstrand an der Küste Schleswigs. Ununterbrochen aber nahmen inzwischen die dem Festland vorgelagerten Düneninseln und Marschen ab, so sehr, daß heute an den Westgestaden Schleswig-Holsteins nur noch rund 500 qkm Landes einer Wasser- und Wattenfläche von 2500 qkm gegenüberstehen. Das Land besteht aus den größeren Inseln Nordstrand, Pellworm, Amrum, Föhr, Sylt, Röm etc. und einigen hohen Seesanden, die nur selten überflutet

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0696.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)