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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Stunde, in der man in unserem cabinet séparé das Löwenbräu ansticht. Sie gehen doch mit? Darum folgte ich so beharrlich Ihren Spuren. Sie sollen uns heute nicht wieder vergebens warten lassen, Sie, der Stifter dieses Vorabendschoppens!“

„Ich weis wirklich nicht, Kollege,“ meinte Walden zögernd, „ich habe heute abend noch viel zu thun. Der Chef hat mir ja zu meinem ohnehin umfangreichen Decernat noch eine Vertretung aufgepackt, und – da muß ich noch einen Bericht -“

„Als ob nicht morgen dafür Zeit wäre!“ unterbrach ihn der andere. „Thun Sie doch nicht so! Ihr verwohnten Herren von der Direktion beklagt euch schon, wenn ihr einmal drei Stunden am Tage festsitzen müßt! Kommen Sie einmal aus die Regierung und sehen Sie sich die Aktenberge an, die jetzt mein Zimmer zieren - na, und es muß auch gehen. Man muß rasten, um zu hasten, wo käme man sonst hin! Also Sie gehen mit – wie? Die schöne Sophie wird sich ihre schwarzen Augen über ihren ungetreuen Ritter schon blind geweint haben –“

Walden, der ein paar Schritte neben jenem gegangen war, blieb plötzlich stehen.

„Sehen Sie, Kollege, so lächerlich es ist, es ist wahrhaftig auch ein Grund, weshalb ich unserem Kreise fern blieb. Solcher Person fehlt doch gänzlich das Feingefühl, es zu merken, wann der andere nicht mehr will. Sie attackiert mich ja förmlich mit ihren Blicken – was müssen die anderen denken? Und obenein hier in diesem Krähwinkel – unter diesen Philistern! Man hat noch zu riskieren, daß es publik wird, und dann –“

„Ja, was wollen Sie?“ gab jener zurück, „unsere kleinbürgerlichen Verhältnisse übersahen Sie doch bald, denen können Sie nicht den Vorwurf machen, daß sie sich Ihnen verhüllten. Und was die Sophie betrifft – sie hält sich wohl, weil sie eine Verwandte des Wirtes ist, für etwas Besseres als die anderen Bierheben – da spuken denn immer gleich weiß Gott was für romantische Ideen in dem Köpfchen. Na, und sie ist auch noch sehr jung und weiß noch nicht, daß – im Wechsel das Glück liegt. Aber kommen Sie nur mit; der Gefahr nicht ausweichen, ist ja schon halber Sieg.“

„Ich hätte immerhin nur ein knappes Stündchen. Eine Einladung zum heutigen Abend vom Chef –“

„Ah – ich verstehe!“ er pfiff durch die Zähne, „die schöne Elfe zieht! Ja, da können wir freilich nicht mit. Aber ein Stündchen ist besser als kein Stündchen. Und mit nehme ich Sie nun jedenfalls – was ist das hier für eine vertrackte Situation für Sie, in diesem feuchten, nebligen Wetter!“ Er klopfte ihm neckisch auf die Schulter und parodierte mit launig pathetischem Ton:

„Und so stand er viele Tage,
Stand viel Monde lang - -

– Wahrhaftig, Walden, da ist sie! Sehen Sie hin! Wirklich reizend, ganz reizend die Silhouette! Dieses feine Profil, dieses ganze entzückende Persönchen, so dunkel abgehoben von dem lichten Hintergründe! Na, haben Sie nun genug? Dann also zum Schoppen!“ Er lachte lustig: „Ja, Walden, wenn das nicht Schwärmerei ist?! Und da sagen die Menschen noch, daß unserer materiellen Zeit alle Poesie fehle!“ - -

Schrägüber jenen hellen Fenstern hatte man jetzt, kaum fünf Minuten, nachdem die Herren vorübergegangen, etwas verspätet eine Laterne angezündet, die in dieser dichten Atmosphäre ihren Schein nur auf einen geringen Umkreis warf. Aber sie genügte doch, die glänzenden Knöpfe an dem Mantel des jungen Mannes, der sich fest darin eingewickelt und die Mütze tief in die Stirn gedrückt hatte, Heller blinken zu machen, als er für einen kurzen Augenblick in diesen Lichtkreis trat. Er sah erwartungsvoll in die Höhe. In dem Augenblick erschien jene Gestalt wieder am Fenster, das zierliche Köpfchen neigte sich nah’ und näher an die Scheiben, dann trat sie zurück und der Offizier verschwand im Dunkel einer Baumgruppe.

Eine kurze Weile später wurde die schwere Eingangsthür des großen Hauses ein wenig geöffnet und durch die schmale Spalte schlüpfte eine kleine Gestalt. Das schwarze über die ganze Figur gebreitete Tuch, das sogar den Kopf und teilweise das Gesicht verdeckte, ließ, wenn in der herrschenden Dunkelheit ihr jemand begegnet wäre, nicht erkennen, wer unter der Hülle steckte.

Die Vermummte lief eilig über den Fahrdamm dem blätterlosen Gebüsche zu, und als sie niemand dort erblickte, rief sie leise: „Fredi!“

„Hier,“ antwortete eine Stimme halblaut, und der junge Offizier trat neben sie, ohne ihre suchende Hand zu ergreifen.

„Hast Du meinen Brief erhalten?“ fragte sie im Flüsterton.

„Ja, darum bin ich hier, obwohl es mich einen Kampf gekostet hat, Dich unter diesen Umständen noch zu sprechen.“

„Warum? Ich gehöre mir doch noch selbst und kann thun, was ich will!“

Sie hatte sich zu ihm herangetastet und lehnte sich nun leicht an ihn.

„Du bist nicht ehrlich mit mir gewesen, Elfe. Allem Gerede zum Trotz hast Du mich immer glauben lassen, es sei nichts an der Sache, und nun –“

„Willst Du mir aus unseren Verhältnissen einen Vorwurf machen? Leide ich nicht mehr darunter als Du?“

„Du wirst mir wohl erlauben, daran zu zweifeln,“ antwortete er. „Wie sollte ich wohl jetzt noch an Deine Liebesversicherungen glauben, wo ich von Dir selbst erfahre, daß Du in kurzer Zeit die Braut eines anderen wirst!“

Sie drängte sich fester au ihn: „Hast Du mich lieb, Fredi?“

„Leider nur zu sehr – viel zu sehr!“

„Und Du fühlst es nicht, wie mein Herz nur Dir gehört?“

„Ich habe eben den Gegenbeweis erhalten. Kann man den einen heiraten, wenn man den anderen liebt?“

„Doch, Fredi, doch, wenn es sein muß!“

„Ich kann mich diesem ,Muß’ nicht fügen.“

„So will ich den Mut für uns beide haben.“

„Vermutlich weil es Dir nicht schwer wird, weil Du nun genug hast an dem Vergnügen, mir armem Kerl den Kopf zu verdrehen!“

„Fredi, Fredi, Du bist grausam!“ Sie hatte beide Arme um ihn geschlungen, drückte ihren Kopf an seine Brust, und er fühlte es an dem Beben ihres Körpers, daß sie heftig weinte. Ein inniges Mitgefühl stieg plötzlich in ihm auf und er legte seine Arme wie tröstend um ihre Gestalt.

„Verzeih’,“ sagte er, „meine Empfindung riß mich hin; aber wie soll ich es ruhig ertragen, wenn Du Dich von mir trennen willst!“

„Ich verliere Dich doch auch,“ schluchzte sie, „aber Du denkst nur an Dich!“

„Du bist vor mir im Vorteil, denn Du hast dieses Ende kommen sehen; mich trifft es unvorbereitet.“

„Unvorbereitet?“ sie hob den Kopf und sah ihn verwundert an. „Du hast es Dir doch sagen können, daß es über kurz oder lang so kommen mußte!“

„Weshalb?“ fragte er erstaunt.

„Ich, die Tochter eines vermögenslosen Beamten, und Du, ein armer Lieutenant, können wir uns je erreichen?“

„Mein Gott,“ gab er zurück, „wir sind ja jung genug, um zu warten.“

„Ja, worauf denn? Aendert die Zeit etwas an diesen Thatsachen?“

„Nun, andere Leute haben doch auch aufeinander gewartet, und mit der Zeit werde ich doch auch Hauptmann.“

Sie zuckte leicht die Achseln.

„Fünfzehn Jahre warten, und dann, wann wir alt und grau geworden sind, eine Häuslichkeit, die von der Hauptmannsgage bestritten wird – wirklich, Fredi, das ist kein Ziel.“

Er richtete sich straffer auf und diese Bewegung veranlaßte sie, sich etwas zurückzuziehen.

„So bleibt mir also nichts, als Dir die Dauer alles Guten zu wünschen und – Dir Lebewohl zu sagen, Elfe!“

„Lebewohl?!“ sie stieß es angstvoll heraus, „jetzt schon, Fredi? Kannst Du nicht noch ein wenig bei mir bleiben?“

„Was hätte das für einen Zweck? Laß uns scheiden, Elfe, ich fürchte, daß meine Fassung nicht stand hält, daß ich bittere Worte nicht länger zurückdrängen kann. Leb’ wohl! Und nun gieb mir die Hand zum Abschied, ich will danach streben, daß ich Deiner ohne Groll gedenke.“

Sie stand schluchzend vor ihm und bedeckte ihr Antlitz mit den Händen. „Nimm mich noch einmal an Dein Herz, Fredi!“

„Wozu noch? Einmal müssen wir ja ein Ende machen!“

„Fredi - -“

Der klagende Ton überwältigte ihn, er nahm sie stumm in seine Arme und drückte sie an seine Brust. Dann riß er sich los – „Leb’ wohl!“ -– und ging hastig ein paar Schritte vorwärts.

„Fredi – Fredi –

Und noch einmal kam er zurück, noch einmal umarmte er sie stürmisch, nahm dann ihr Köpfchen zwischen seine Hände, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0710.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2016)