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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

den weißen Kopf. „No ja … wär’ gar net einmal so übel … mein Madl und der Schmied! Jetzt hat er sein’ Sach’ wieder nobel bei ’nander!“ Mit vergnügten Augen musterte er das Paar und war sichtlich gespannt, was jetzt geschehen würde.

Vroni hatte den Spaten in die Erde gestoßen, und, sorgfältig die Hände an der Schürze säubernd, ging sie auf den Daxen-Schorschl zu. Wie hübsch sie war: mit diesem leuchtenden Blick in den nußbraunen Augen, mit dieser glühenden Röte auf den von der Arbeit erschöpften Zügen!

„Grüß Dich Gott, Schorschl!“ sagte sie beklommen und bot ihm die Hand, die er mit seinen schwieligen Rußpranken haschte, wie der Geier den Hasen greift. „Und ja, ich thät Dich schon selber recht schön drum anreden, daß dem Vater ein bißl hilfst! Ja … schau, auf Deine Händ’ liegt der Segen,“ sie hob die glänzenden Augen zu ihm auf, und herzliche Bitte lag in diesem Blick, „und solchene Händ’ sind allweil gut zur Hilf!“

Schorschl hielt zitternd die Hand des Mädchens umklammert, lachte nur immer wie ein unbehilfliches, verlegenes Kind und brachte kein Wort über die Lippen.

„Der is ja rein wie’s Staarl, eh’s reden kann!“ meinte der Simmerauer mit Schmunzeln. „Dem muß ich wohl ’s Züngerl lösen?“

Aber Mathes zog ihn am Aermel zurück. „Geh, Vater, laß die zwei ihr Sach’ allein miteinander ausmachen!“

„Ja, hast recht!“

Michel griff nach der Schaufel, nieste ein paarmal und nahm die Arbeit wieder auf. Da hörte er hinter sich zwar noch immer kein Wort aber einen klingenden Jauchzer und platschende Sprünge im nassen Schlamm. Und plötzlich stand der Daxen-Schorschl mit dem Pickel neben ihm, lachend über das ganze Gesicht, mit knallroten Wangen und blitzenden Augen.

„So, Vaterl, jetzt packen wir’s an!“ sagte er und that mit dem Pickel den ersten Streich. „Wart’ nur, das Luderwasser wollen wir bald unterkriegen!“

Schorschl begann zu arbeiten, daß der Simmerauer ein paarmal mahnen mußte: „Geh, thu nur net gar so narrisch!“ Aber in Schorschls Fäusten schien im besten Sinn des Wortes der „Loder“ lebendig geworden, von dem es in den Lumpen-G’stanzeln seligen Angedenkens hieß, daß er zwanzigmal im Tag das Unterste zu oberst kehrt. Er drosch mit dem Pickel drauf los, daß sich mit jedem Riß des Eisens der das Gehöft begrenzende Wassergraben, in welchen die den Garten überschwemmenden Sturzbäche geleitet werden sollten, um einen guten Bauernschuh erweiterte. So oft er für einen Augenblick die Arbeit unterbrach, um sich mit dem Aermel über die Stirn zu wischen, blinzelte er seelenvergnügt zum Brunnen hinüber, von wo ihm Vroni lächelnd zunickte.

Die Sonne kam hinter den schattigen Felsengraten emporgestiegen, ein warmes Leuchten goß sich über den blauen, wolkenlosen Frühlingshimmel aus, breite Fluten goldenen Morgenlichtes schwammen über die Gehänge des zur Ruhe gekommenen Berges hernieder und spielten schmeichelnd um die von den Wellen umrauschten Mauern des kleinen Hauses. Alle die Sturzbäche schienen in blitzendes Silber verwandelt, jeder Tümpel spiegelte das Himmelsblau, und während von der Sonnenwärme die feuchten Flecken am Sockel des Hauses zu trocknen begannen, kräuselten sich die zarten, bläulichen Wasserdünste spiegelnd an den Mauern empor.

Dieses Schimmern und Gleißen der Morgensonne goß den von der Arbeit Erschöpften neue Kraft und frischen Mut ins Herz und in die Glieder. Nur der alte Michel hatte über die Sonne zu schelten, denn dieses Glitzern und Blenden machte ihn niesen und immer wieder niesen, so daß ihm die Nase schwoll wie ein gebratener Apfel.

Schorschl stand fast eine Stunde schon bei der Arbeit, als seine Gesellen endlich kamen. Sie brachten aus dem Dorf noch ein paar andere Helfer mit. Und da gab es nun bei rastlosem Schaffen ein Reden hin und her über allen Schaden, den der laufende Berg seit dem Herbste angerichtet, über die löbliche Thatsache, daß er „jetzt endlich ein bißl Verstand ang’nommen hat’“, und über die Gefahr, die das ausgebrochene Wasser drunten im Thal den frisch bestellten Saatfeldern gebracht hätte. Da bekamen sie nun in der Simmerau auch das erste Wort von dem Unglück zu hören, das am vergangenen Abend im Purtschellerhof geschehen war. Und der Jammer um das verlorene Kind, erzählte einer der Gesellen, wäre nicht der einzige, den die arme Frau dort unten zu tragen hätte. „Grad’ jetzt haben wir’s g’hört drunten: der Purtscheller geht ab seit gestern am Abend. Mit ’m Rennwagl is er ’neing’fahr’n in d’ Stadt, daß er sich stellt beim G’richt und sein Unglück zur Anzeig’ bringt. Aber mitten in der Nacht is sein Rößl daherkommen, ohne Wagen, mit der ab’brochenen Gabel und so schauderhaft zug’richt’t, daß man dem armen Tier gleich den Gnadenstoß hat geben müssen, damit man’s doch von seinen Leiden erlöst. Und in der Nacht noch hat sich d’ Frau mit all ihre Leut’ aufg’macht gegen d’ Stadt ’nein … den Purtscheller suchen!“

„Um Gott’swillen! Ja um Gott’swillen!“ stammelte Michel, dem dieser fremde Jammer zu Herzen ging wie eigenes Leid. „Die arme Linerl, die arme! Die muß sich ja gar nimmer z’helfen wissen vor lauter Prast und Kümmernis! Mathes, Mathes! Ja sag mir nur …“ Dem Alten erlosch vor Schreck die Sprache, als er seinen Buben ansah. Zitternd auf den Stiel der Schaufel gestützt, bot Mathes den Anblick eines Menschen, dem das Leben aus dem Herzen rinnt, wie Blut aus einer klaffenden Wunde.

Michel sprang auf ihn zu. „Mein Bub, mein lieber! Jesus Maria! Was is Dir denn’?“

Mathes starrte die Leute an, die um ihn her standen, und tonlos kam es über seine weißen Lippen: „Ich weiß net, Vater … so g’spaßig in die Knie’ ’nein is mir’s g’fahren … ich mein’ schier, ich muß ein bißl in d’ Stuben und muß mich niedersetzen!“

„Ja, Mathes! Ja, mein Bub! Geh’ nur ’nein gleich auf der Stell’! Schau nur an: hast Dir halt doch ein bißl gar z’viel zug’mut’t die ganzen Tag’ und Nächt’ her! Und jetzt noch so was anhören müssen! Da glaub’ ich’s freilich!“

Michel wollte den Wankenden stützen. Aber Vroni, welche mit bleichem Gesicht Vom Brunnen gekommen war, hatte schon den Arm des Bruders genommen. „Komm, Mathes, ich führ’ Dich ’nein ins Haus!“

Er stützte sich schwer auf ihren Arm, und seine Kniee taumelten, als müßte er niedersinken bei jedem nächsten Schritt. Mit entstelltem Gesicht und nassen Augen blickte er zur Schwester auf und stammelte: „’s Linerl, Vroni! … ’s Linerl! … Und das liebe, gute Kindl!“

Vroni schwieg: sie wußte keinen Trost für den Schmerz, der aus diesem verstörten Blick und aus diesen tonlosen Worten redete. Noch fester klammerte sie den Arm des Brnders an sich, während ihr die Thränen über die zitternden Lippen rollten.

Im Hausflur kniete Mutter Katherl mit durchnäßten Röcken auf den Dielen und suchte mit einer Holzkelle das Wasser aufzuschöpfen, das vom Hof herein über die Schwelle geronnen war und die Küche überschwemmte. Als die beiden kamen, erhob sich die alte Frau erschrocken. „Um Christi willen! Mathes? Was is Dir denn?“

„Nix, Mutterl! Thu Dich net sorgen!“ sagte Vroni mit erzwungener Ruhe. „Ein bißl ungut is ihm halt! Und jetzt grad’ haben wir hören müssen …“

Ein flehender Blick des Bruders machte sie verstummen.

Sie führte ihn in die Stube und zur Holzbank. Da saß er mit schlaff hängenden Armen, den Kopf an die Wand gelehnt. Mit erloschener Stimme sagte er ein Vergeltsgott zu allem, was die Mutter in ihrer Sorge für ihn that; er leerte das Gläschen Enzian, das sie ihm brachte, und aß den Bissen Brot, den sie ihm zwischen die Lippen schob. Und als sie fragte: „Is Dir schon besser, Bub?“ da nickte er und sagte: „Ja, Mutter! Ich mein’, jetzt kann ich dem Vater schon wieder helfen … er braucht mich, weißt!“

„Aber geh’, so thu Dir doch grad’ ein bißl Rast vergönnen!“

„Na na!“ Schwer atmend erhob er sich. „Es geht schon wieder!“ Als er vor die Hausthür trat, irrte sein Blick hinunter ins Thal. Rote, brennende Flecken erschienen auf seinen bleichen Wangen, und mit zitternder Hand fuhr er sich über die Stirn, wie um einen Gedanken zu verscheuchen, der ihn marterte.

„Wie geht’s Dir denn, Mathes?“ fragte der Vater.

„Dank’ schön, ja, es thut’s schon!“

„Aber magst net lieber bei der Vroni drüben schaffen? Da hast es leichter.“

Mathes schüttelte den Kopf und stellte sich neben Schorschl an die Stelle, wo es die schwerste Arbeit zu leisten gab.

In hartem Schaffen vergingen die Stunden des Vormittags. Dem rastlosen Kampf all dieser fleißigen Arme gelang es, die den Garten überschwemmenden Sturzbäche in die beiden Bergfurchen abzuleiten, welche die Simmerau zur Rechten und Linken begrenzten, und im Hof begann die Sonne schon den aus dem verrinnenden Wasser auftauchenden Grund zu trocknen.(Fortsetzung folgt.)


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0720.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)