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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Skizzen aus deutschem Frauenleben in fremden Zonen.

Ein Haushalt in Argentinien.
Von Hertha Ika.

Wanderlust war seit jeher dem Deutschen eigen. Nach allen Weltteilen ergossen und ergießen sich Ströme deutscher Auswanderer und in die fernen fremden Länder ziehen mit ihren Männern viele deutsche Frauen, um mit ihnen das ersehnte Lebensglück zu erkämpfen und das unvermeidliche Leid zu tragen. Beim Wechseln der Heimat fällt der Frau das härtere Los zu. Der Mann findet sich eher in die fremden Verhältnisse; er bleibt zumeist bei seinem Beruf, in einem ihm wohlvertrauten Wirkungskreise.

Die Frau fühlt sich doppelt fremd in der Fremde, denn zumeist ist sie gezwungen, ihren Haushalt bis in die kleinsten Dinge nach einem neuen Muster einzurichten. Man muß eine Frau sein, um fühlen zu können, was das bedeutet. Das deutsche Heim läßt sich nicht über das Meer tragen, und wenn auch in den deutschen Häusern jenseit des Oceans deutscher Geist und deutscher Fleiß walten, so ist doch die Wirtschaft eine andere, und erst nach vielen Mühen und herben Enttäuschungen pflegt sich die Ausgewanderte in die ihr völlig ungewohnten Verhältnisse zu finden.

Auch ich war einmal eine solche; auch ich habe jenseit des Oceans als deutsche Hausfrau aus bürgerlichem Mittelstande mein Haus besorgen müssen. Meine deutschen Schwestern in der Heimat werden gewiß gerne zuhören, wenn ich aus meinen Erinnerungen schöpfe und ein wahrheitsgetreues Bild eines argentinischen Haushalts entwerfe.

Die Seereise ist beendet; hinter uns liegt der weite Ocean, der uns von der Heimat trennt. Wir sind nun inmitten des bunten, uns so fremdartigen Treibens in einer argentinischen Stadt, in Buenos Aires oder Rosario, auf der Suche nach einer Wohnung. Da erlebt die deutsche Hausfrau in der Regel ihre erste Ueberraschung. Die meisten Häuser sind hier dem Klima entsprechend leicht gebaut und einstöckig; doch vergebens suchen wir unter ihnen eins, das nach unserem Sinne eingerichtet wäre. Es sind Bauten mit flachen Dächern, 8 bis 9 m Front und 70 bis 80 m Tiefe. Durch die mit einem schweren eisernen Klopfer versehene Hausthüre tritt man in den Flur, von dem aus eine Thür zu dem einzigen nach der Straße gelegenen Zimmer, der sogenannten Sala, führt. An diese Sala schließen sich nun alle übrigen Zimmer hintereinander an. Dieselben haben sämtlich Verbindungsthüren untereinander und je eine Thür nach dem Hof, die, mit Glasscheiben versehen, die Stelle eines Fensters vertritt. Dieser gemauerte Hof, Patio genannt, bildet einen wahren Reiz des argentinischen Hauses. Er ist fast in allen Fällen mit den schönsten Blattpflanzen in Kübeln, mit Rosen, Jasmin, Jelängerjelieber etc. ausgeschmückt, er ist der Tummelplatz der Kinder, die dort unter Aufsicht der Mütter im Schatten spielen können, und auch das Lieblingsplätzchen der Hausfrau, wenn sie am Nachmittag, mit einer Handarbeit oder einem Buche versehen, die Kühle genießen will.

Die Anordnung der Zimmer in dem argentinischen Hause ist fast immer dieselbe: erst kommt die bereits erwähnte Sala, dann, etwa 2 m zurückgebaut, die Antesala oder das Entree, darauf je nach der Größe des Hauses 2 bis 3 Schlafzimmer und das Eßzimmer, das den Patio abschließt. Hinter dem Eßzimmer folgen, wiederum 2 m zurücktretend, die übrigen Räume, etwa noch ein Schlafzimmer, die Vorratskammer und die Küche, von welcher außen eine Treppe zu dem über der letzteren gelegenen Mädchenzimmer führt. Ein Staket oder eine niedrige, zierlich durchbrochene Mauer schließt den durch das Zurücktreten der hinteren Zimmer gebildeten zweiten Patio ab, der aber meistens schmucklos und nur mit Ziegeln gepflastert ist, während der erste häufig grau und schwarze Mosaik oder sonst hübsche viereckige rote Ziegelplatten aufweist, mit denen auch die Hausgänge meistens ausgelegt sind, während sämtliche Thürschwellen, die nach außen führen, stets aus Marmor bestehen. Ein solches argentinisches Haus macht bei erster flüchtiger Besichtigung wohl einen gefälligen Eindruck; freilich vermißt die deutsche Hausfrau sogleich Räume, die ihr unentbehrlich scheinen, wie einen Trockenboden für die Wäsche und – den Keller. Unterkellert ist keins dieser leichtgebauten Häuser; manchmal nur zeigt der Vermieter mit großem Stolze eine versteckte Luke mitten im Eßzimmer; beim Oeffnen derselben wird ein viereckiges dunkles Loch sichtbar, das den Namen Sotano, d. h. Keller, führt. Das Loch hat etwa 1½ bis 2 m im Geviert, ist ungefähr 1 bis 2 m tief und ganz entsetzlich dumpf, da es nicht ausgemauert ist. Nach unseren Begriffen ist ein derartiger Keller natürlich unbrauchbar. Für ein solches Haus von 5 bis 7 Zimmern werden nach deutschem Gelde etwa 90 bis 150 Mark monatliche Miete verlangt.

Wir sind handelseinig geworden und beziehen unser neues Heim. Da thut vor allem eine gründliche Reinigung dringend not. Die eingeborenen Frauen sind nicht gerade fleißig und geweckt und die Dienstboten unsauber; so fehlt es auch in den Häusern nicht an Ungeziefer, für dessen Vermehrung ja das Klima des Landes sehr günstig ist. Wegen dieser Plage weisen auch die Wände der meisten Häuser keine Tapeten, sondern nur einen einfachen Wasserfarbenanstrich auf. Dafür sorgen die Argentinier durch eine andere Einrichtung für Nistplätze dieser Plagegeister. In den besseren Häusern sind die Fußböden mit festgenagelten Teppichen belegt, die höchstens bei einem Umzuge aufgenommen und gründlich gereinigt werden. Was sich darunter ansammelt und fröhlich lebt, läßt sich leicht denken.

Eine weitere Ueberraschung erlebt die Hausfrau in der Küche. Ein Glück, wenn sie jemand zur Hand hat, der die Sache schon kennt, denn mit dem Herd und dem Feuer weiß sie nicht fertig zu werden. In der argentinischen Küche ist ein gemauerter Herd vorhanden, der aber nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit den deutschen Kochöfen hat.

Es ist ein etwa 1 m breites und 2 bis 3 m langes Gemäuer, in welchem sich 2 bis 4 Vertiefungen befinden. In jeder derselben ist ein eiserner Rost eingelassen und unter diesem befindet sich eine Oeffnung zum Herausnehmen der Asche. Das Feuerungsmaterial besteht aus Holzkohlen, welche durch rasches Fächern mit einem Palmblatt, der pantalla, zu prasselnder Glut entflammt werden.

In einfachen Verhältnissen, wo die Hausfrau selbst am Herde stehen muß, sieht man sehr bald die Vorteile eines solchen Holzkohlenfeuers ein. Dasselbe verbreitet sehr wenig Hitze, was bei dem heißen Klima von großem Vorteil ist, ist sehr sparsam, da es, einmal in Brand gesetzt, lange Zeit weiterglüht, ohne auszubrennen, und sehr reinlich, da es, einmal in Glut, absolut keinen Rauch entwickelt oder gar Ruß absetzt. Einen Kuchen kann man auf diesem offenen Feuer allerdings nicht backen, weil man keinen heizbaren Bratkasten (Ofenröhre) hat, aber die Verhältnisse des Landes bedingen eine leichte, einfache Küche, und wenn man länger im Lande weilt, gewinnt man auch der argentinischen Küche Geschmack ab, wo alle Gerichte schnell auf offenem Feuer zubereitet werden. Wenn man nicht zu anspruchsvoll ist, nicht zu sehr am Althergebrachten hängt, kann man in Argentinien ganz gut leben, sogar als Hausfrau des Mittelstandes bequemer als in Deutschland. Bäcker, Milchmann, Metzger und Kolonialwarenhändler kommen jeden Morgen vorgefahren und fragen nach den Wünschen ihrer Klienten. Ambulante Gemüse- und Obstverkäufer bieten täglich ihre Waren an den Thüren feil und die schönsten Flußfische werden frühmorgens von flinken Italienern ausgetragen, die hier namentlich als Händler fungieren. Das Fleisch ist prachtvoll und außerordentlich billig, da Argentinien einen ungemeinen Reichtum an Rindvieh-, Schaf- und Schweineherden besitzt.

In Zucker eingekochte Früchte, namentlich Pfirsiche, Feigen und Birnen sowie Quitten, werden in Mengen gegessen, die einer deutschen Hausfrau anfangs ganz unglaublich vorkommen. Sehr bald jedoch wird sie den Verhältnissen des Landes Rechnung tragen, wenn sie einigermaßen praktisch ist, und ihren Küchenzettel dem Klima anpassen, welches kräftige, leichtverdauliche Kost und sehr wenig erhitzende Gewürze vorschreibt. Ein Mittagessen nach deutscher Art wird zu kostspielig und die Bestandteile eines solchen sind in manchen Fällen gar nicht zu haben. Kartoffeln z. B. sind verhältnismäßig sehr teuer (das Kilo kostet 15 bis 20 Pfennig) und verschwinden deshalb als Ergänzung der Gemüse, wofür sie in Deutschland so beliebt sind. Statt dessen wird viel Brot gegessen, welches schön weiß, kräftig und schmackhaft ist. Auf Obstsuppen muß die Hausfrau auch verzichten, denn Heidel- und Kronsbeeren wachsen nicht in Argentinien, ebenso würde sie dort Johannistrauben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0722.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2021)