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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

durch die Straßen der Stadt in Bewegung setzten. Es war ein ungemein fesselndes, lebensvolles Bild, das sich vor den Augen der Zuschauer entrollte, die auf dem ganzen Wege in dichten Massen Spalier bildeten oder an den reich dekorierten Fenstern standen und von dort aus unter allgemeinem Jubel die Schützen, Veteranen und Musiker mit duftenden Blumensträußchen und grünen Kränzen bewarfen.

Weit über zehntausend Schützen und Veteranen marschierten in fast endloser Reihenfolge im Zuge mit, die blühende Jugend, kräftige Männer mit den siegerprobten Stutzen, betagte Greise im Silberhaar, die Brust mit Ehrenkreuzen und Medaillen geschmückt, dann wieder neben den Schützen die Feldkapläne, ferner lustige Zieler in ihrem grellfarbigen Kostüm, Bergknappen, Marketenderinnen und Invaliden, kurz das tiroler Volk in Waffen, wie es seit alters die Schutzwehr des Landes gebildet hat. Da kam zuerst die stattliche Schar der Vorarlberger Schützen mit Musik und Fahnen, unter welch’ letzteren sich auch die alte Schwedenfahne befand, die im Jahre 1647 von den tapferen Bregenzerwälderinnen den nordischen Feinden abgenommen wurde. Daran reihten sich die Nonsberger und sonstigen Südtiroler mit helltönenden Fanfaren; besonders zahlreich war das Pusterthal vertreten und hier erschienen ganze Musikkapellen und Schützenkompagnien in prächtigen, farbenbunten Volkstrachten, die zum Teile selbst beim großen Bundesschießen im Jahre 1885 und auch bei der Enthüllung des Hofer-Denkmals vor drei Jahren nicht zu sehen waren. So z. B. die Musiker von Abfaltersbach mit hohen schwarzen Spitzhüten, braunen Joppen und roten Leiblen (Westen), den obligaten kurzen Lederhosen und Gürteln, oder die Schützen von Lienz in den ehrwürdigen langen Röcken mit violetten Stulpen, buntgeblümten Leiblen, blauen Strümpfen zur kurzen Hose und niedrigen Bundschuhen, die Niederdorfer und Gsieser mit roten, grün eingefaßten Jacken und halbkegelförmigen Hüten, die Leute von Bruneck und Ampezzo, von Taufers und Enneberg-Buchenstein, letztere in kurzen Fräcklein mit breiten, schmucklosen Hüten, und endlich die wackeren Schützen von Jnnichen, welche nebst den alten Kriegsfahnen eine erbeutete, dreiläufige Kanone mit sich führten. Auf die Pusterthaler folgten die Festteilnehmer aus dem Eisakthale und von der Etsch und da erregten wieder zahlreiche, besonders schöne Gruppen allgemein Staunen und Bewunderung. So hatten die Schützen von Layen, der mutmaßlichen Heimat Walthers von der Vogelweide, vier Hellebardenträger in uraltem Bauerngewande mitgebracht, welches der Alt-Lüsener Tracht aus der Brixner Gegend fast zum Verwechseln ähnlich sieht. Noch mehr aber als die grünen Jacken und weißen Halskrausen dieser vier scheinbaren Zeitgenossen des gleichfalls in der Nähe geborenen Minnesängers Oswald von Wolkenstein wurden die Kastelruther mit jubelndem Zuruf begrüßt. Diese hatten ihre ganze Musikkapelle in die ortsübliche Volkstracht des fünfzehnten Jahrhunderts gekleidet, und es war wohl nicht zu verwundern, daß die strammen Musiker vom Fuße des Schlern in ihren breiten gelben Hüten mit langen Pfauenfedern, den schwarzen, rot ausgeschlagenen Röcken und mächtigen weißen Halskrausen, weißem, rotgezierten Wams und den kurzen schwarzen Tuchhosen allgemein das größte Aufsehen erregten, um so mehr, als auch die breiten schweren Leibgürtel mit reichem Metallzierat und die weißen, rotausgeschlagenen Lederschuhe fast einzig im langen farbenprächtigen Zuge erschienen. Die Schützen von Kastelruth dagegen trugen teils die Bauerntracht des vorigen Jahrhunderts, teils die jetzt übliche Kleidung. An den drei verschieden kostümierten Gruppen aus Kastelruth konnte man deutlich den allmählichen Uebergang wahrnehmen, wie er sich in der Volkstracht vom farbenbunten Kleide der Vorzeit zum nüchternen, einfarbigen Gewande von heute vollzogen hat. Noch im vorigen Jahrhundert trug man in Kastelruth zur braunen Joppe ein rotes Leibl, Faltenstiefel und einen originellen schwarzen Halbcylinderhut; heute ist die altertümliche Joppe einer Lodenjacke mit neuerem Schnitt, das rote Leibl einer Sammetweste und der breite Gurt einer schmalen Leibbinde gewichen, während der Halbcylinder gar einem modernen weichen Hute Platz machen mußte. Nur die kurze Hose mit den Faltenstiefeln und weißen Strümpfen hat sich noch im Volke erhalten.

Neben den Schützen von Kastelruth erregten dann weiter jene von Lüsen mit dem reichen Kunstblumenschmuck auf den Hüten und den grellroten Jacken, ebenso die Leute vom Eggenthal, vom Regglberg, mit ihren langen, kanariengelben Röcken besonderes Aufsehen, ferner die schmucken Bozner und Meraner, erstere zum großen Teil in der kleidsamen Neu-Rittener Tracht, letztere in der noch allgemein üblichen, farbenschönen Kleidung des Burggrafenamtes. Einen eigentümlichen Eindruck machte die Gruppe aus dem bei Lana-Meran ins Etschland mündenden Ultenthal. Schwarze Hüte mit Krempen von geradezu riesiger Breite, schwarze Quasten, dunkle Jacken, schwarze Kniehosen, fürwahr, wenn nicht die roten Leiblen und die weißen Strümpfe gewesen wären, so hätte man glauben mögen, ganz Ultenthal befinde sich in tiefster Familientrauer. Die Schützen von Passeier führten die Andreas Hofer-Fahne im Zuge mit, und die Veteranen aus Kurtatsch-Tramin, vom südlichsten deutschen Bezirke des Landes, thaten sich, nebst ihren alten zerschossenen Fahnen, besonders viel auf eine Kriegstrommel zu gute, die ihre Vorfahren den Franzosen vor hundert Jahren abgenommen hatten.

Auch die Oberinnthaler von Ried bis Reutte und herab nach Zirl waren sehr stark beim Feste vertreten; allen voran glänzten die wackeren Männer von Jnzing in ihren prachtvollen weinroten Röcken und den breiten gelben Hüten; sie paradierten auch diesmal wieder mit dem in der Berg Jsel-Schlacht erbeuteten französischen Legionsadler. Die Schützen aus Paznaun schwenkten eine eroberte bayrische Fahne im Zuge, die Leute von Telfs konnten mit Stolz die goldene Ehrenkette zeigen, die ihnen Kaiser Leopold I. nach Abwehr des kurbayrischen Einfalls im Jahre 1703 verliehen hatte. Außerordentlich zahlreich waren die Wippthaler und Stubaier erschienen; erstere stellten die Musikkapellen von Matrei und Steinach in den charakteristischen rot-violetten Röcken, letztere entsendeten aus den verschiedenen Thalgemeinden ein ganzes Scharfschützen-Bataillon mit einem bäuerlichen Major zu Pferde nach Innsbruck. Unweit vom Galawagen der beiden Landes-Oberstschützenmeister von Tirol und Vorarlberg wurde von einem stämmigen Fähnrich die mit dem Bande der Kaiserin geschmückte Spingeser Sturmfahne getragen. Vom Unterinnthal bildeten außer der Bergknappen-Kapelle von Hall die Partisanenträger von Thaur und noch mehr die Senseler von Volders besonders interessante Gruppen, welche allenthalben mit hellem Jubel begrüßt wurden. Die auf unserem Bilde der Fahnenweihe im Vordergrunde ersichtlichen Partisanenträger von Thaur erinnern in so mancher Hinsicht an die Volkstracht von Alt-Kastelruth, so daß die beiden Gruppen mehrfach verwechselt wurden. Die Senseler hatten als alte tiroler Kriegsmusik ihre Schwögel (eine Art Querpfeife) und Trommel an der Spitze, und dahinter marschierten nebst einer Wippthalerin mit schmucker Fazelkappe die verwitterten Mannen mit Sensen und Morgensternen, uralten Hellebarden und Heugabeln, sogar eine mit rostigen Eisenreifen umspannte Holzkanone aus den Freiheitskämpfen war in der Gruppe bemerkbar, welche überhaupt als ein prächtig gelungenes Bild vom „letzten Aufgebot“ sich präsentierte. Man fühlte sich wundersam angemutet beim Anblick dieser wetter- und sturmharten „Mander“; es schien, als wären sie dem Grabe von Spinges entstiegen, wo ihre Vorfahren mit dem Schützenhauptmann Reinisch, dem „Senseler“, an der Spitze sich in die französischen Bajonette stürzten, um den Tirolern aus der feindlichen Umklammerung freie Bahn zum Siege zu brechen. Reinisch, „der Senseler“, fiel dabei als tirolischer Winkelried von elf Stichen durchbohrt und Dutzende von Landsleuten fanden mit ihm den Tod, aber sie alle waren von feindlichen Leichen rings umgeben; Stutzenkolben und Sensenwaffen hatten blutige Arbeit gethan. – Aehnlich konnten auch viele der Schützenkompagnien im Zuge auf Heldenthaten ihrer Vorfahren zurückblicken, so z. B. die Männer von Hall und Schwaz, dann die Kitzbichler, Kufsteiner und Zillerthaler, sowie die Alpacher und Wildschönauer in ihren Spitzhüten und schweren Lodenröcken. Der Schützenbund von Jenbach-Achenthal führte eine Trommel mit sich, die im Jahre 1799 bei Verfolgung der aus dem Lande zurückgeschlagenen Franzosen in Graubünden erbeutet wurde, während die Musikkapelle von Hötting einen Tambourstab besitzt, der aus dem Schaft einer beim Sturm auf die Jnnsbrucker Jnnbrücke eroberten französischen Standarte angefertigt wurde. –

Eine ganze Stunde lang brauchte der Festzug zum Vorbeimarsch an der kaiserlichen Burg, auf deren Altane Erzherzog Ludwig Viktor und Erzherzogin Alice die begeisterte Huldigung der Schützen und Veteranen in freundlichster Weise entgegennahmen. Im ganzen konnte der Beschauer an 70 Musikkapellen zählen und der Schützenfahnen waren es nicht weniger als 244, von denen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0734.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)