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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

und sprudelten auf den Wegen, die ihnen die Arbeit der Menschenhände angewiesen hatte, mit gleichmäßigem Rauschen zu Thal. Nur einige Gräben waren noch zu ziehen, um das nachquellende Sickerwasser vom Sockel der Mauern abzuleiten.

Als auch dieses Letzte gethan war, legte Michel erschöpft den Spaten aus der Hand und sagte: „Jetzt haben wir’s! Und Gott sei Dank, muß ich sagen … denn lang’ hätt’ ich’s nimmer weiter g’macht! Jetzt bin ich fertig, ja! Jetzt geht’s mir wie dem Mathes … jetzt muß ich ’nein in d’ Stuben und muß mich niedersetzen!“ Langsam und mit gekrümmtem Rücken ging er zur Hausthür. Vor der Schwelle blieb er aufseufzend stehen, und während er an der Mauer seines Hauses hinaufblickte, erwärmte ein zufriedenes Lächeln seine welken, müden Züge. „Die Kammissoni! Schau Dir nur an! Die g’scheite Kammissoni! ’Nunter, hat s’ g’meint, ’nunter wird’s noch müssen, mein Häusl! ’Nunter? So so?“ Zärtlich strich er mit den schlaffen Händen über die feuchte, des Mörtels halb entkleidete Mauer. „Gelt, mein Häusl! Jetzt haben wir Dich aber mit Gotteshilf’ halt doch schön sauber durch ’bracht! Ja!“ Er wollte in den Hausflur treten: doch auf der Schwelle wandte er das Gesicht. „Vergeltsgott, Kinder! Fest habts mitgeholfen! Ja! Das muß ich sagen! Vergeltsgott, meine lieben Kinder!“

„Geh, Vater,“ sagte Mathes mit erloschener Stimme, „da braucht’s doch kein Vergeltsgott! Jetzt laß Dir halt d’ Ruh’ schön schmecken!“

„Ja, Bub! Ja! Die laß ich mir schmecken jetzt!“ Nickend wischte sich Michel den Schweiß von Stirn und Wangen und trat ins Haus.

Mathes arbeitete noch eine Weile, dann stellte auch er die Schaufel an die Mauer und wusch sich am rauschenden Bach die Hände und das Gesicht. Mit schmerzlichem Lächeln nickte er der Schwester und dem Daxen-Schorschl zu, sprang über den Bach, stieg mit schweren Schritten über den verwüsteten Grashang hinauf, und bei der kahlen Haselnußhecke, aus deren Zweigen er einst als Knabe die lustig tönenden Pfeifen für das kleine Linerl geschnitten hatte, setzte er sich in die Sonne. Die zitternden Arme um seine Kniee schlingend, spähte er mit heißen Augen hinunter ins Thal.

Schorschl und Vroni wußten nicht, was sie jetzt noch schaffen sollten. Aber sie machten sich bald hier, bald dort noch ein bißchen Arbeit, und dabei gingen sie schweigend und verlegen aneinander vorüber. „No ja,“ sagte Schorschl endlich mit unsicherer Stimme, während er mit einem Span den Schlamm von seinem Pickel kratzte, „d’ Arbeit is gar … jetzt kann ich heimmarschieren!“ Er hob den Pickel auf die Schulter. „Oder net, Madl?“

Da kam sie mit glühendem Gesicht auf ihn zugegangen und legte die Hand auf seinen Arm. „No schau … jetzt hast Dich so viel plagt … so kann Dich d’ Mutter jetzt doch net heimgehen lassen! Magst net zum Essen dableiben?“

„Freilich! Ja freilich!“ stotterte er und sah sie mit glücklichem Lachen an. „Das kannst Dir doch denken, daß ich gern dableib’! Recht gern!“

„No also!“ Sie atmete erleichtert auf. „Bleibst halt da!“ Die nassen Hände an der Schürze trocknend, ging sie zur Hausbank. Und als sie saß, rückte sie gleich auf die Seite, damit er neben ihr sein bequemes Plätzchen hätte.

„Mit Verlaub!“ sagte er, lehnte den Pickel an die Mauer und setzte sich auf die Kante der Bank.

Broni sah ihn verwundert an. „So geh! Ruck doch ein bißl zu! Es is ja Platz da!“

Da rutschte er gleich so dicht heran, daß sein Ellbogen den ihren drückte. Dazu lachte er mit dem ganzen Gesicht. „Ja ja ja ja … so geht’s halt!“ Etwas Klügeres fiel ihm nicht ein.

Das machte sie verlegen. Und dann sprang sie auf.

„Was is denn?“ stotterte Schorschl erschrocken. „Wirst doch um Gotteswillen jetzt net davonlaufen?“

„No ja,“ stammelte sie, „ich muß doch sagen drin, daß d’ Mutter mit’m Essen auf Dich antragt!“

„Aber kommst gleich wieder, gelt?“

„Ja, gleich wieder!“ Sie huschte ins Haus und fand die Mutter in der Küche beim flackernden Herdfeuer. „Du, Mutterl,“ sagte sie und suchte mit den Händen das heiße Gesicht zu kühlen, „der Schorschl bleibt da zum Essen!“

In Mutter Katherl schien eine Ahnung aufzudämmern. „Was? Der Schorschl? Gleich da bleiben thut er? Ah, da schau her!“

„Aber Mutter! Das bißl Mittagmahl hat er sich heut’ doch ehrlich verdient, mein’ ich … und mehr hab’ ich net g’sagt!“

„Na na! Gott bewahr’!“ Mutter Katherl schmunzelte gerührt und vergnügt. „Mehr hast net g’sagt!“

„Geh, Du … der da draußen plagt mich … und jetzt plagst mich Du auch noch!“ Mit schwerem Seufzer verließ Vroni die Küche; doch im Flur fragte sie über die Schulter: „Sag’, Mutter! Hast doch ein bißl was gut’s?“

„Ja! Tirolerknödel mach’ ich!“

„Gott sei Lob und Dank! Die macht Dir so gut net bald eine nach! Die müssen ihm schmecken!“

Mit sichtlich erleichtertem Herzen kehrte Vroni zur Hausbank zurück. Schorschl haschte ihre Hand und wollte sie an seine Seite ziehen. Aber sie machte sich verlegen wieder los, ging zum Fenster und spähte in die Stube.

„Da schau her!“ sagte sie lächelnd. „Der Vater is schon drüben … auf der Ofenbank liegt er und schlaft!“

„Geh? Is’ wahr?“ Auf den Fußspitzen kam Schorschl zum Fenster geschlichen, legte den Arm um Vronis Schultern, schmiegte seine Wange an die ihre und so guckten sie alle beide in die Stube.

„Ja, Du,“ flüsterte Vroni, „so fest und gut hat er fein schon lang’ nimmer g’schlafen!“

„Da müssen wir ihm aber das bißl Schlaf vergunnen und müssen uns schön stad halten!“ zischelte Schorschl, während er den Arm noch enger um das Mädchen schlang. „Komm, Schatzl, setzen wir uns wieder auf d’ Hausbank … sonst rumpelst am End’ noch ans Fenster an und weckst den Vater auf!“

„Ja, hast recht!“

Mit glänzenden Augen blickte sie zu ihm auf und ließ sich führen.

Da saßen sie nun in der warmen Sonne des Nachmittages, Wange an Wange geschmiegt, mit fest verschlungenen Händen. Verträumt und alles um sich her vergessend lauschten sie dem eintönigen Rauschen der Bäche und genossen wortlos die erste Freude ihres jungen Glückes, mit dem sie schneller fertig waren als Mutter Katherl mit ihren Tirolerknödeln.

Während Schorschl die Geliebte umfangen hielt, suchte er mit lachenden Augen drunten im Thal das Dach seines Hauses. „Die Bäckenmahm’! Jesses na! Die wird aber d’reinschauen!“ dachte er sich. Als er diesen Gedanken aussprechen wollte, sah er, daß Vroni, deren Kopf an seiner Zchulter ruhte, die Augen geschlossen hatte. Scheu streifte er mit den Lippen ihre zerzausten Haare und flüsterte: „Herzerl? Schlafst denn?“

Tiefatmend öffnete sie die Augen, blickte in Verwirrung zu ihm auf und stammelte: „Aber na, so was! … No schau, ich hab’ halt ein bißl viel schaffen müssen die letzten Tag’ und Nächt’ her … und da hab’ ich jetzt so ein schön’s und ein warm’s Platzl g’habt … und so viel gut is mir’s Rasten g’wesen … meiner Seel’, da wär’ ich jetzt schiergar ein bißl eing’schlafen! Bist mir doch net harb d’rum, gelt?“

„Aber na! Gott bewahr’! Ich kann mir’s ja denken, daß D’ müd’ bist!“ Er preßte sie zärtlich an sich. „Ich thu mich recht schön stad halten … schenier’ Dich nur gar net und mach’ Deine lieben Guckerln wieder zu!“

„Na na!“

„So geh’, warum denn net?“ Er wollte ihren Kopf recht bequem an seiner Schulter betten und diese Gelegenheit auch gleich benutzen, um ihr den ersten Kuß zu geben.

Aber das wehrte sie ihm erschrocken und blickte scheu über den Wiesenhang hinauf. „Geh, Schorschl, net! … Jetzt net! … Weißt, der Mathes schaut her … und das möcht’ ich doch net, daß er jetzt so was sehen muß!“

Er begriff diese Sorge nicht und verstand ihre Worte falsch. „Geh, was hast denn?“ sagte er schmollend. „Der Mathes weiß doch eh’ schon lang, wie’s steht mit uns! Und schenieren mußt Dich doch auch net wegen meiner! Ich bin ja nimmer der Schorschl, der ich g’wesen bin! G’wiß wahr! Jetzt bin ich ein anderer!“

„Ja, Schorschl! Ein ganz ein anderer!“ Sie sah mit stolzer Freude zu ihm auf. „Du! Das hab’ ich fein lang’ schon g’merkt!“

„Und so bleib’ ich, weißt! Denn was bei mir einmal richtig drinsitzt im Blut, das laßt nimmer aus. Das bleibt! Ja! Grad’ so wie die drei weißen Stricherln da …“ er zeigte ihr die Hand mit den Kratznarben, „die sieht man noch allweil! Da schau her!“

Als sie schwieg und ihn so merkwürdig ansah, lachte er. „Ich trag’ Dir’s fein gar net nach! Ah na! Weißt, ich an Deiner Stell’

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