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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

hätt’ selbigsmal auch ’kratzt! … Ja, ich weiß schon: ein bißl gar grob hab’ ich zugriffen!“

Sie machte immer größere Augen. „Aber Schorschl! Was red’st denn jetzt da? Wer soll Dich ’kratzt haben? Ich?“

„Geh!“ Er blinzelte sie lustig an. „Verstell’ Dich net so … Du!“

„Aber Schorschl!“ Sie sah seine Hand an, sah ihm wieder in die Augen und schüttelte den Kopf. „Und jetzt fallt’s mir auch wieder ein, wie D’ allweil g’red’t hast im Herbst … Katzerl, Katzerl … allweil: Katzerl! Jetzt möcht’ ich doch endlich wissen …“

„Ah, da hört sich doch alles auf!“ Er lachte, schien aber dabei doch zu denken, daß sie die Verstellung ein wenig zu weit triebe. Aber ihre Augen sahen ihn so ehrlich an und der Ausdruck ihrer Züge war so wahrhaft erstaunt, daß Schorschl verblüfft sein Lachen einstellte und nicht mehr wußte, was er glauben sollte. „Vronerl! No geh! Weißt es denn wirklich nimmer?“

„Was denn?“

„No ja … selbigsmal in der Nacht …“ Er hob die Hand und machte mit gekrümmten Fingern eine leicht verständliche Bewegung.

Dennoch verstand sie nicht und schüttelte wieder den Kopf. „Wann in der Nacht?“

„Aber geh’! So b’sinn’ Dich doch ein bißl! Wie ich’s zweite Mal bei Dir am Fensterl war!“

„Du? … ein zweitsmal? Da weiß ich ja gar nix davon!“

„Aber hörst!“ Jetzt schüttelte auch er den Kopf. Und nur ihre so vollständig eingeschlummerte Erinnerung wieder zu wecken, wurde er immer deutlicher und erzählte immer ausführlicher von jener stillen, stockfinsteren Nacht, in welcher er vor einem „g’wissen Fensterl“ all seine guten Vorsätze gebeichtet und um freundlichen Beistand auf dem harten Weg seiner Besserung gebettelt hatte.

Bald gerührt, bald wieder seltsam gespannt und beklommen hörte ihm Vroni zu. Verdächtig begann es um ihre Mundwinkel zu zucken und ehe Schorschl noch völlig zum Ende jener nächtlichen Fenstergeschichte kam, brach Vroni plötzlich in lautes Lachen aus. Das war ein Lachen, so hell und lustig, wie man es seit Jahresfrist in der Simmerau nicht mehr gehört hatte.

Mutter Katherl erschien mit dem Kochlöffel in der Hausthür und zog, um von dem jungen Paar nicht bemerkt zu werden, hurtig und schmunzelnd den grauen Kopf wieder zurück. In der Stube erwachte Michel aus seinem Schläfchen, kam verwundert zum Fenster, drückte die Nase an die Scheibe und lächelte zufrieden. Und droben auf dem verwüsteten Grashang, bei den kahlen Haselnußstauden, erhob sich Mathes und blickte auf das kleine Haus hinunter, als hätte ihn dieses laute, herzliche Lachen aus schweren Träumen geweckt.

Nur Vroni selbst erschrak vor diesem Lachen. „Jesus Maria!“ stammelte sie, gewaltsam gegen den Lachreiz kämpfend, der sich nicht wollte unterdrücken lassen. „Lachen kann ich! Lachen! Und da droben der Mathes … und da drunt’ im Dorf …“ sie sprach nicht zu Ende, denn ob sie wollte oder nicht: sie mußte lachen! Und dabei kamen ihr die Thränen.

Schorschl saß neben ihr wie ein begossener Pudel. Jetzt verstand zur Abwechslung er nicht! Er mußte mitlachen, denn der Frohsinn dieses Lachens wirkte ansteckend; aber er war doch so verblüfft, daß er eine Weile brauchte, bis er die Frage fand: „Aber Madl? Jesses na! Was hast denn? Bist denn narrisch worden?“

„Schorschl … Schorschl …“ Vroni preßte die Hände auf ihre Brust, denn dieses Lachen wider Willen that ihr weh. „Aber Schorschl! Ich hab’ ja doch selbigsmal gar net in meiner Kammer g’schlafen!“

„Was?“ Schorschl riß die Augen auf, so weit er konnte. „Ja sag’ mir um Gott’swillen: bei wem hab’ denn ich nachher g’fensterlt?“

„Bei unserm Katzl!“ Lachen konnte sie nicht mehr – jetzt mußte sie schreien.

Schorschl verstand nicht gleich. Dann aber kam ihm die Erleuchtung, und er platzte los. Vroni suchte ihn zu beschwichtigen, und die eigene Lachlust mühsam bekämpfend, stammelte sie ein um das andere Mal: „Net so laut, Schorschl … ich bitt’ Dich, net so laut!“ Aber es währte lange Zeit, bis er sich beruhigen konnte.

Die Zähren von den Backen wischend und erschöpft vom Lachen, schlang er den Arm um Vroni. „Sag’ mir, Schatzerl … wenn Du in der Kammer g’wesen wärst … hättst Du mich auch ’kratzt?“

Sie besann sich. „Na, Schorschl … ich glaub’ doch net!“

Ganz gerührt von diesem Bekenntnis, wollte er sie küssen. Aber da stand Mathes vor ihnen, und erschrocken schob Vroni den Geliebten von sich. Mit nassen Augen blickte sie zu dem Bruder auf und stotterte: „Geh, thu mir net harb sein, Mathes … ich hab’ lachen müssen … schau, ich kann net anders …“

Stieg ihm das warme Blut in die bleichen Wangen, oder war’s nur die Sonne, die seine vergrämten und erschöpften Züge so warm überhauchte? Er lächelte, und dem jungen Paar seine Hände auf die Schulter legend, sagte er: „Schau, Schwester, so von Herzen, wie ich, vergönnt Dir keiner Deine junge Freud’! Seids halt gut miteinander! Und thuts fest z’sammhalten in Lieb’ und Treu’! Sonst hat ja ’s Leben kein’ Wert!“ Er wollte ins Haus treten; doch auf der Schwelle wandte er sich um und fragte, ohne die Schwester anzusehen: „Thust nur ein G’fallen, Vroni?“

„Ja, Mathes!“ sagte sie, mit Thränen in der Stimme. „Alles thu ich Dir, was D’ willst.“

„So mach’ nach’m Essen ein Sprüngerl ’nunter zu ihr, gelt? Damit s’ doch ein’ Menschen hat!“

„Ja, Mathes, gleich auf der Stell’ geh ich ’nunter!“ Und zögernd fragte sie: „Magst net mit?“

Er preßte die Lippen aufeinander, daß sie weiß wurden, und schüttelte den Kopf.

Als Mathes in der Thür verschwunden war, erhob sich Schorschl mit ernstem Gesicht. Er mochte empfunden haben, daß hier neben seinem hellen Glück ein dunkler Schatten das kleine gerettete Haus umwandelte. Er wollte fragen, doch er brachte nur ein einziges Wort über die Lippen: „Schatzerl?“

Dem Schluchzen nahe, schlang Vroni die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn, als hätte sie Angst, ihn zu verlieren. Und in heißer Liebe erwiderte sie seinen ersten Kuß.

Mutter Katherl rief aus dem Hausflur: „Kommts, Kinder, ich hab’ schon auftragen!“

Das gab eine stille Mahlzeit. Dem Alten fielen während des Essens vor Müdigkeit schon halb die Augen wieder zu, und Mutter Katherl stach in schweigsamer Fürsorge einen Knödel um den anderen aus der Schüssel heraus und legte ihn schmunzelnd auf Schorschls Teller. Mathes sprach kein Wort und aß kaum einen Bissen – und das verliebte Paar bedurfte der Sprache nicht; das hatte sich genug mit den Augen zu sagen.

Hier weilte die wortlose Freude vertraulich neben dem stummen Schmerz, so wie an einem stillen Abend der Tag einhergeht neben der Nacht. Doch wenn die Sonne zu sinken droht, verspricht sie mit ihrem letzten flammenden Gruß: Ich komme wieder, verjage die Nacht, und dann herrsch’ ich allein!

Als die Mahlzeit vorüber und das Gebet gesprochen war, sagte Vroni: „Vater? Verlaubst mir’s, daß ich ein bißl ’nunterschau zur Linerl?“

„Ja, Madl, gern! Und thu mir s’ grüßen, die arme, gute Frau! Gleich morgen geh’ ich selber ’nunter, heut kann ich nimmer! Wie abg’schlagen sind mir d’ Füß’! … Und gelt, bring’ mir die Kinder mit heim! So viel bangen thut’s mich nach die lieben Hascherln … und jetzt haben s’ ja wieder ihr sicheres Bleiben im Häusl da! Gott sei Dank! … Und thu mich aufwecken, gelt, wenn die Kinderln heimbringst! Denn heut schlaf’ ich gleich ein! Ja! Gleich!“ Er humpelte zur Kammerthür, und in seiner Müdigkeit vergaß er völlig, dem Daxen-Schorschl gute Nacht zu wünschen.

Die Almen und Felsenzinnen leuchteten im Gold des Abends, und die ersten grauen Schatten verschleierten schon das tiefe Thal, während Vroni und Schorschl am Ufer des neu entstandenen Bergbaches über die Gehänge hinunterstiegen.

Mathes stand bei der halb zerstörten Scheune und blickte den beiden nach.

So lange Vroni ihn sehen konnte, winkte sie immer wieder mit der Hand zu ihm hinauf. Als die Hügel ihn endlich verdeckten, seufzte sie und umklammerte die Hand des Geliebten.

„Geh, sag mir’s,“ flüsterte Schorschl, „was hat er denn, der Mathes?“

„Du därfst es ja wissen jetzt …“ scheu blickte sie um sich, als hätte sie Sorge, daß jemand in der Nähe wäre, der sie hören könnte. Und ganz leise wisperte sie: „’s Linerl hat er gern!“

Der stammelnde Laut, den Schorschl zur Antwort fand, ging unter im Rauschen des Baches. Doch hinter seinem Schreck kam

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0738.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)