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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


„Die Sage von der Auffindung der Lüneburger Solquelle ist mir nicht unbekannt; besitzt sie eine geschichtliche Grundlage?“

„Das weniger. Der älteste historische Nachweis ist eine Urkunde vom 13. August 956, in der Kaiser Otto dem Kloster St. Michaelis bei Lüneburg den damals bereits sehr beträchtlichen Zoll von den Salzwerken schenkt. Doch ich will einen Chronisten reden lassen. Die Herren hier sind im Besitz eines ehrwürdigen Buches, in welchem auch das in unserm Rathause aufbewahrte Schinkenbein nebst Schulterblattknochen erwähnt wird.“

Das Buch wurde gebracht; es ist 1710 bei Johann Georg Lippen in Lüneburg erschienen; der Titel lautet: „Der Ursprung, Güthe und Gerechtigkeiten der Edlen Sültzen zu Lüneburg“, und der Verfasser Henricus Samuel Macrinus sagt unter § 6:

„Auf was Art die Saltz-Quelle erfunden sey, davon kan man noch weniger die Gewißheit berichten, jedoch will man auch in diesem Stück die allgemeine tradition nicht verschweigen, nemlich es wird erzehlet, daß eine schwartze Sau sich in dem Saltz-Brunnen geweltzet, und darauf in der Sonne geleget habe; als nun die Sahle trucken geworden, habe man gar gutes Saltz an den Schweins-Borsten wahrgenommen, ja die Saue davon gleichsam angeweisset gefunden, darauf der Sache ferner nachgesuchet, die Saltzsiederey angeleget, und zum Gedächtniß solcher Erfindung einen Theil von solcher schwartzen Sau aufgehoben, daß dann in E. Edlen Rahts so genandter Küchen bißhero asserviret worden. Vor 3 Jahren aber, als Se. Churfürstl. Durchlauchtige Landesfürstliche Huldigung in dieser Dero Churfürstl. Erb-Stadt obhanden war, hat man solches uraltes Fragmentum dieses so wohl meritirten Schweines in einen gläsernen Kasten eingeschlossen, und solcher in des Rahts Küchen-Stube zum weiteren ewigen Gedächtniß aufgehenget.“

„Nun aber,“ mahnte der Freund, „müssen wir erforschen, ob es in Lüneburg neben der braven Sole auch noch andere Flüssigkeiten giebt, und zwar solche, die sich dazu eignen, den Nachgeschmack des vorhin in Ihrem Munde weilenden Pröbchens zu vertreiben.“ Nach schuldiger Danksagung für die liebenswürdige Aufnahme suchten und fanden wir bald einen guten Tropfen, und die Gläser klangen aneinander bei dem Trinkspruch aus Wolffs „Sülfmeister“:

„Heil allweg Lüneburger Salz!
Gott hat’s gegeben, Gott erhalt’s!“


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

 (Schluß.)
Vroni nahm den Knaben an die Hand, Schorschl hob das Zenzerl auf seine Arme, und so stiegen sie durch die sinkende Nacht in die Simmerau hinauf. Der Mond kam über die Berge gestiegen und übergoß ihren Weg mit seiner silbernen Helle.

Der Kinder wegen sprachen sie mit keiner Silbe von dem doppelten Tod, dem dort unten die flackernden Kerzen leuchteten. Doch unermüdlich mußten sie Antwort geben auf all die Fragen der beiden Kleinen, für welche diese Wanderung durch die träumerische, vom Rauschen der Bäche erfüllte Mondnacht zu einem märchenhaften Ereignis wurde, das ihre kindlichen Herzen mit scheuer Lust und wohligem Gruseln erfüllte. In jedem kahlen Busch, dessen Zweige sich im fahlen Zwielicht bewegten, in jedem Felsblock, den der Mondschein umwebte, und im schwarzen Schatten jeder Bodenschrunde erblickten sie irgend etwas Geheimnisvolles. Der schwermütige Ruf eines Käuzleins machte sie zittern, und das muntere Geplauder der Bäche weckte ihre Neugier auf „die G’schichtln, die ’s Wasser erzählt“.

Geduldig schwatzte Schorschl mit ihnen und erzählte, was der Augenblick ihm eingab, harmlose Dinge, unter die sich zuweilen ein ernstes Wort mischte, dessen versteckten Sinn die Kinder nicht verstanden.

Das schwarze, verschobene Dach der Scheune tauchte hinter dem letzten Hügel hervor, den sie noch zu übersteigen hatten.

Da legte Vroni die Hand auf Schorschls Arm und flüsterte: „O mein Gott … schau, da droben steht er schon und wart’t!“

Das hatte sie kaum gesagt, als es wie ein erstickter Schrei über den Hügel herunterklang: „Vroni?“

Die Kinder erkannten die Stimme, winkten mit den Händen und schrieen in jubelnder Freude durch die Nacht hinauf: „Mathes! Grüß Dich Gott, Mathes! Ja! Wir kommen schon!“

Vroni nahm das Zenzerl von Schorschls Armen. „Gelt, Schorschl, bist mir net harb … aber jetzt thust mich allein lassen mit ihm?“

„Aber gern, Schatzerl! Schau, das begreif’ ich doch … könntst ja gar net aufrichtig reden mit ihm, wenn ich dabeisteh’. Gut’ Nacht halt, Schatzerl, gut’ Nacht für heut!“ Er wollte sie küssen.

Aber sie entzog sich ihm und flüsterte: „Geh, wart’ noch ein bißl … und nachher kommst noch ein Sprüngerl zu mir ans Fenster! Magst?“

„Ob ich mag? Da kannst noch fragen? Aber hörst! Acht Tag’ lang hock’ ich mich her da und wart’, wenn’s sein muß!“

Er ließ sich auf einen Felsblock nieder und trocknete sich die Stirn; so leicht das kleine Dirnlein auch war – bei dem langen, steilen Weg über die Halden herauf hatte ihm das Kind doch warm gemacht.

Als er Vroni mit den Kindern auf der Höhe des Hügels verschwinden sah, machte ihn der Gedanke an Mathes ganz beklommen. Aber verliebte Herzen schlagen flinke Purzelbäume über alle Tiefen weg – und so war auch der Daxen-Schorschl bald wieder mitten drin in seinem träumenden Glück. Das erste, was er sich ausdachte, war das Brautgeschenk, mit dem er Vroni am Hochzeitsmorgen überraschen wollte: eine silberne Halskette – eine ganz dünne, die nicht teuer ist, denn jetzt mußte er sparen! Aber an dem Kettlein sollten, schön in Silber gefaßt, jene dreißig Pfennige hängen, die er sich damals an jenem ersten Arbeitstag von Vroni verdient hatte. Diese drei Nickel, die er in all seinen Sorgen krampfhaft festgehalten, hatten ihm das Glück ins Haus gebracht!

Und die Bäckenmahm’ – das war sein zweiter Gedanke – die sollte es gut haben bei ihm! Der hatte er ja so viel zu danken! Denn eigentlich war doch sie es, die ihm geholfen hatte, indem ihr Unglück ihn zur Arbeit zwang. „Wenn die net so warm ’kriegt hätt’ in derselbigen Nacht, ich mein’ schier, es wär’ ein bißl kalt blieben bei mir in der Schmieden!“ Und gerade zur richtigen Zeit war die Hilfe gekommen – als er in seiner „Wildheit“ den Karren seines Glücks recht übel verfahren hatte! Bei diesem Gedanken durchlebte er in der Erinnerung wieder jene Begegnung am Rand des Straßengrabens – er hörte das Plumpsen und Kollern der Brotlaibe, sah Vronis zornblitzende Augen und hörte den sausenden Schwung der blauen Schürze.

Lachend duckte er den Kopf und wischte mit den Händen über die Wangen, als hinge ihm noch der Mehlstaub um die Ohren. „Sakra! Sakra! Das Madl hat die richtige Schneid’! Bei der muß ich mich gut aufführen … oder es kracht!“

So spann er in seinem warmen Glück einen fröhlichen Gedanken an den anderen und guckte mit lachenden Augen in den Mond. Als er nach geduldigem Warten endlich emporschlich über den Hügel, sah er, daß alle Fenster an dem kleinen Haus schon dunkel waren.

„Mar’ und Josef! Sie wird doch net schon warten auf mich?“

Da machte er lange Sprünge – und als er durch den verwüsteten Garten atemlos zur Mauer kam, an welcher der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0750.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2022)