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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

war bei der schweren Arbeit seine Gestalt so hager geblieben, wie sie immer gewesen; doch seine Bewegungen waren nicht mehr so eckig wie sonst, viel weicher und geschmeidiger. In seinem Antlitz hatten sich alle die harten Züge gemildert, und unter der sonnverbrannten Stirne leuchteten die Augen wie zwei klare Sterne.

Rastlos stand er bei der Arbeit; doch sein ganzes Wesen war, so sehr er sich dem Vater gegenüber auch zur Ruhe zwang, von einer ungeduldigen Erregung befallen, die sich mit jeder Minute noch zu steigern schien.

Als die Turmuhr drunten im Thal die dritte Nachmittagsstunde schlug, legte Mathes tiefatmend die Säge nieder.

„Vater … schau, es leid’t mich nimmer … jetzt muß ich ein bißl ’nunterschauen!“

Michel nickte ihm lächelnd zu. „Ja, Mathes! Wenn D’ meinst, so geh halt! Es plagt mich schon selber, daß ich erfahr’, wie der Hof auf der Gant heut weg’gangen is und wer ihn eing’steigert hat … und ob ihr ein bißl was blieben is.“

Mathes schwieg, und seine Lippen zitterten.

„No also, Bub! So geh halt! Und b’hüt’ Dich Gott!“

„B’hüt Dich Gott, Vater!“

Mathes ging ins Haus, um die Arbeitskleider gegen sein Sonntagsgewand zu vertauschen. Als er, zum Ausgang fertig, wieder ins Freie trat, sah er die Mutter bei der Scheune stehen. Sie hatte die Hände auf dem Rücken liegen und blickte träumend ins Thal hinunter, aus welchem, wenn der Wind ein wenig schärfer bergwärts zog, mit halbverwehtem Klang das Hammer-Trio der Daxenschmiede herauftönte.

Als Mutter Katherl den Schritt des Sohnes hörte, blickte sie auf. „Hörst ihn, wie er dreinschlagt da drunten?“ sagte sie lächelnd; aber dabei hatte sie feuchte Augen. „Er, natürlich, er hammert den ganzen Tag!“ Sie seufzte leis. „Aber was wird wohl jetzt mein Madl treiben?“

„No mein, arbeiten halt!“

„Ja freilich, in so ein Hauswesen mit sechs g’wachsene Leut’, da heißt’s ordentlich schaffen! … Und meinst, sie hat’s gut bei ihm?“

„Ja, Mutterl! Besser hätt’ sie ’s net treffen können!“

„Gott sei Dank fürs Madl, ja!“ Wieder seufzte Mutter Katherl. „Aber mich kommt’s hart an, weißt! An das leere Stüberl da drin kann ich mich halt gar net g’wöhnen!“

Dunkle Röte huschte über die gebräunten Wangen ihres Sohnes, und es schien, als wollte er sprechen; doch er schwieg und rückte nur den Hut.

„Wo gehst denn hin?“

„Ein bißl ’nunterschauen halt!“

„So so! … B’hüt Dich Gott!“

Der forschende Blick der Mutter machte ihn ganz verlegen. Mit schwankender Stimme erwiderte er den Gruß und ging; doch nach wenigen Schritten kehrte er wieder um, faßte die Hand der alten Frau und sagte: „Mutterl! Wenn’s gut geht … ’leicht bring’ ich Dir wen … ins leere Stüberl ’nein …“

„Mathes! Jesus Maria! Bub! Mein lieber Bub!“

Aber da hatte er sich schon von der Hand der Mutter losgerissen und eilte mit langen Sprüngen davon.

Während sie ihm freudig betroffen nachblickte, sangen in der Wiese die beiden Kinder:

„Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so süß,
Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein Schatzerl hab’!
Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!“

Mathes konnte die fröhlichen Stimmchen des kleinen Paares noch hören, und während er thalwärts eilte, murmelte er die Worte des Liedes mit. Er selbst hatte ja, als er noch ein Knabe war, dieses Liedlein gesungen da drüben unter den Haselnußstauden, nicht weit vom Gaßnerhäuschen. Und als ihm diese Erinnerung kam, war es ihm plötzlich, als klänge dicht an seiner Seite eine zarte, weiche Mädchenstimme:

„… Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein Schatzerl hab’ …“

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, und seine Schritte wurden langsamer. Mit heißen Blicken spähte er über all die Pfade aus, die vom Dorf über den Berghang emporführten. Doch niemand kam aus dem Thal heraufgestiegen. Er sah nur die Leute, die auf den Halden mit Schwatzen und Lachen bei der Arbeit waren.

Als er das letzte Wäldchen erreichte, ließ er sich im Schatten einer alten Wetterfichte nieder. Von hier aus konnte er die Straße vor dem Purtschellerhaus und einen Teil des Wirtschaftshofes überblicken.

Die Versteigerung, welche Purtschellers Gläubiger erwirkt hatten, mußte schon vorüber sein; denn Mathes sah dort unten ein fortwährendes Kommen und Gehen von Leuten; Möbelstücke wurden aus dem Haus geschleppt und auf bereitstehendes Fuhrwerk geladen; die Scheunen wurden geleert und die Pferde und Rinder davongeführt.

Immer wieder mußte Mathes mit der Hand über die Augen wischen, so umflort war ihm der Blick. Dieses Treiben dort unten sehen zu müssen, das schnitt ihm in die Seele. Es war ja Karlin’s Habe, die von diesen hundert fremden Menschen vertragen wurde in alle Winde! Und es hing doch an dem Gut, das hier verschleudert wurde, seine eigene Arbeit und sein Schweiß, ein Teil seines Lebens und ein Stück seines Herzens!

Mit brennenden Wangen, die Fäuste auf den Knieen, saß er an den Stamm der Fichte gelehnt. Stunde um Stunde verging; vor dem Purtschellerhof fuhren die hochbeladenen Wagen davon und die Leute begannen sich zu verlaufen.

In wachsender Unruhe wartete Mathes; plötzlich sprang er auf, mit erblaßtem Gesicht und zitternd an allen Gliedern.

Dort unten war eine schwarz gekleidete Frau aus der Hausthür getreten, mit einem weißen Bündel in der Hand. Im Garten blieb sie stehen und blickte lange auf das Haus zurück. Mathes konnte sehen, wie sie sich bückte, um eine Blume zu brechen. Dann trat sie auf die Straße, und hier stand sie wieder still, als wüßte sie nicht, welchen Weg sie nehmen sollte.

Mathes streckte in jäher Bewegung die Arme aus, als möchte er der Verlassenen dort unten seine Hände reichen, um sie zu führen.

Da schlug sie den Pfad ein, der von der Straße gegen den Berghang lenkte. Das gewahrte Mathes, und von seinen Lippen rang sich ein stammelnder Laut – wie erstickter Jubel, der sich nicht zu äußern wagt.

Eine Viertelstunde verging.

Dann kam sie müden Schrittes über den steilen Weg emporgestiegen. Sie trug ein schwarzes Wollkleid und hatte um den Kopf ein schwarzes Tuch geknüpft, aus welchem schmal und bleich das verhärmte Gesicht hervorlugte. An der Brust hatte sie eine rote Nelke stecken.

Ein Paar Schritte ging ihr Mathes entgegen. „Grüß Dich Gott, Linerl!“

„Mathes! … Du?“ Dünne Röthe stieg ihr in die bleichen Wangen, und ihre Augen wurden feucht. Ohne ihm die Hand zu reichen, sagte sie leise: „Grüß Dich Gott auch!“

Seit jenem Abend, an welchem Mathes mit zornigem Griff den zum Schlag erhobenen Arm Purtschellers gefesselt hatte, waren das die ersten Worte, die sie miteinander sprachen.

Scheu blickte sie zu ihm auf.

„Mathes?“

„Was, Linerl?“

„Wie kommst denn jetzt da her?“

„G’wart’t hab’ ich auf Dich! Weißt, weil ich mir ’denkt hab’: es könnt’ doch sein, daß kommen thätst!“

Sie nickte. „Hätt’ ich ein’ andern Weg denn g’habt?“ Eine Weile schwieg sie. „Schau, d’ Vroni hat mir zug’red’t … und so will ich halt jetzt ’naus zu Deine Leut’ und will s’ drum anreden, daß s’ mir ein’ Unterstand geben, bis ich was anders find’.“

„Ja, Linerl, da hast recht g’habt! Und der Vroni ihr Stüberl wart’t schon auf Dich! Aber so viel müd’ schaust aus …“

Die Stimme versagte ihm, „geh, magst Dich net ein bißl niedersetzen?“ Mit beiden Händen kratzte er im Schatten der Fichte die dürren Reiser aus dem Moos und stäubte mit seinem Hut das Plätzchen ab. „Schau, Linerl, da hast ein guts Rasten jetzt!“

„Ja, Mathes! Vergeltsgott!“ Seufzend legte Karlin’ das Bündel ab und ließ sich nieder.

Nun saßen sie wortlos nebeneinander und blickten ins Thal hinunter. Leuchtend drangen einzelne Sonnenstrahlen durch die dichten, schwarzgrünen Zweige, die sich im Winde sacht bewegten –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0752.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)