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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

und das gab auf den Händen und Gesichtern der beiden ein zitterndes Spiel von Lichtern und Schatten.

Nach einer Weile fragte Mathes: „Is drunten schon alles aus?“

„Ja, Mathes! Alles!“

„Und wie is er denn weg’gangen, der Hof?“

„Grad’ um d’ Hypothekenschuld.“

„Jesus Maria! Wie kann denn so was geschehen! Wenn auch droben der Wald halb ausg’schlagen und halb versunken is … der Hof allein is ja doch seine Hunderttausend und drüber wert!“

„Ja! Das hat mir gestern der Rufel auch g’sagt! Und er hat mir ’s Geld an’boten, daß ich mitsteigern könnt’!“ Karlin’ lächelte müd’ und schmerzlich. „Aber was thät’ denn ich allein mit so ein’ Hof!“

„Aber schau, ich hätt’ Dir ja g’holfen!“

Mit nassen Augen blickte sie zu ihm auf. „Und hätt’st Dir d’ Finger blutig g’arbeit’t … für andere Leut’!“ Ruhig schüttelte sie den Kopf. „Na, Mathes! Lieber net! Und schau, für mich is ja eh’ kein Platzl nimmer g’wesen in dem Haus da drunten!“

„Und gar nix is Dir ’blieben?“ stammelte Mathes mit erstickten Worten.

„Nix!“

„Aber ’s Inventari, und d’ Roß’ und ’s Vieh … das muß doch auch was ’bracht haben!“

„Ja! Siebentausend Mark! Aber da haben dem Toni seine Verwandten gleich d’ Hand drauf g’legt und haben g’sagt: ich hätt’ kein Recht net, weil kein Kind nimmer da is … und sie thäten Prozeß machen! Hätt’ ich streiten sollen, Mathes? Na! Ich hab’ ihnen alles zug’standen und hab’ g’sagt: ich will nix! Hab’ ich net recht g’habt, Mathes?“

Er drückte ihre Hände, und seine Stimme klang, als wäre ihm leichter und mutiger ums Herz geworden. „Ja, Linerl, ja, da hast recht g’habt!“

„Und schau, das is noch’s einzig’, was mir lieb is an allem Unglück: daß ich ’nausgeh’ aus dem Haus, grad’ so, wie ich ’nein’gangen bin … und schau, nix anders trag’ ich mit mir fort als wie den Kummer um mein Kindl!“ Die Thränen rollten ihr über die Wangen, und zitternd bedeckte sie die Augen.

Da rückte Mathes dicht an ihre Seite und zog ihr mit scheuer Zärtlichkeit die Hände nieder.

„Linerl … geh, sag mir … was willst denn machen jetzt?“

„Was bleibt mir denn über? Ein’ Dienst muß ich halt suchen. Und ich thu’s ja gern! D’ Arbeit fürcht’ ich net!“

Er schüttelte den Kopf und atmete schwer.

„Linerl …“

„Ja, Mathes?“

Es wollte kaum über seine Lippen: „Schau, Linerl, ich thät Dir was wissen!“

„Was denn?“

„Der Gaßner baut jetzt drunten im Ort … und sein Häusl am Berg droben, das könnt’ man jetzt billig haben. Gut schaut’s freilich net aus … aber ich mein’, es thät sich doch wieder herrichten lassen! Was meinst?“

Heiße Röte färbte ihre bleichen Züge. Das Gaßner-Häuschen! Das Haus ihrer Eltern! Das Dach, unter dem die Mutter sie geboren hatte! Die Mauern, zwischen denen ihr die Kindheit verflossen war in stillem, sonnigem Glück!

„Geh, Linerl, sag’ mir: thät’s Dich net freuen, das Häusl da droben?“

Karlin’ zitterte. Und obwohl sie verstand, wie er es meinte, sagte sie doch: „Verschenken thut’s ja der Gaßner net … und ich hab’ doch nix!“

„Aber schau, ich hab’ ein bißl was! Ja, Linerl, ich hab’ mir ein schöns Geldl z’samm’ g’raspelt die ganzen Jahr’ her! Siebenhundert Markln hab’ ich in der städtischen Sparkass’ drin. Das thät grad’ langen, mein’ ich. Vierhundert könnten wir dem Gaßner anzahlen … und mit dem andern thäten wir ’s Häusl einrichten. D’ Maurerarbeit mach’ ich selber, und aufs Zimmern versteh’ ich mich auch net schlecht! Wenn ich mich den Sommer über ein bißl rühr’, könnt’ ’s Häusl im Herbst wieder ausschauen, daß Dein’ Freud’ d’ran haben thät’st!“ Seine Stimme klang heiser und mit scheuem Bangen hing sein Blick an ihren Lippen. „Was meinst denn, Linerl?“

Da nahm sie seine Hände und sah ihm in die Augen. „So gut wie Du bist, Mathes, so gut is keiner nimmer!“ Sie löste die Nelke von ihrer Brust, und während ihr die Thränen über die Lippen rannen, reichte sie ihm die Blume hin: „Schau, das Nagerl hab’ ich mir noch ’brochen drunt’, weil mein Kindl die roten Nagerln so viel gern g’sehen hat … magst das Blümerl haben, Mathes?“

Heiß leuchtete ihm die Freude aus den Augen, und verlegen sagte er: „Ja, Linerl … da sag’ ich Dir fein Vergeltsgott dafür!“ Mit zitternden Händen nahm er den Hut ab und steckte die Blume achtsam hinter die Schnur. „Weißt, das Blümerl heb’ ich mir auf … und gut! Ja! Und sag’ Linerl …“ vorsichtig drückte er den Hut aufs Haar. „Wenn wir jetzt gleich ’naufgehen thäten, das Häusl ein bißl anschauen? Was meinst?“

„Ja, Mathes! Wie D’ willst!“

Mit festem Druck umspannte er ihre Hand. „So komm, Linerl, komm!“

Ein paar Schritte ließ sich Karlin’ von ihm führen; doch ehe der Pfad um die Ecke des Waldes lenkte, blieb sie stehen.

„Komm, Linerl!“

„Geh, laß mich noch ein bißl ’nunter schauen!“

Mathes sah, wohin ihre Blicke gingen, und da legte er den Arm um ihre Schultern. So standen sie lange schweigend und blickten zum Kirchhof hinunter, auf dessen Gräbern sich die eisernen Kreuze wie dünne schwarze Striche zwischen Grün und Blumen unterschieden.

Tief atmend trocknete Karlin’ ihre Thränen. Dann stiegen sie Hand in Hand über den steilen Hang empor, vom warmen Gold der Sonne umleuchtet. Die Drosseln schlugen in den Haselnußbüschen und die Luft war erfüllt von dem würzigen Wohlgeruch, der dem frischen Heu entströmte.

Es wollte schon Abend werden, als sie das einsame, verlassene Gehöft erreichten. Das kleine Haus, in welchem ihr Glück sich heimisch machen sollte, lag vor ihnen wie eine öde Ruine: die Mauern brüchig, das Dach verschoben, die Fenster ohne Kreuzstöcke, der Eingang ohne Thür und Balken. Und wie ein Schuttfeld waren Hof und Garten anzusehen, übergossen von Geröll und schweren Steinen.

Dennoch hingen ihre Augen mit leuchtendem Blick an dem kahlen Gemäuer – denn ihre Herzen sahen, was hier werden sollte. In Karlin’s Seele erwachte bei jedem Schritt ein Gedenken an die Kinderzeit, und diese Erinnerung belebte alles, was tot und verwüstet vor ihren Füßen lag.

Als sie die öden Räume durchwandert hatten und wieder ins Freie traten, nahm Mathes den Zollstab aus der Tasche und maß die Lichtung der Fensterhöhlen.

„Gleich morgen, wenn ich mit ’n Gaßner g’redt hab’, fang’ ich mit die Kreuzstöck’ an und laß vom Glaser d’ Scheiben einschneiden … weißt, damit’s nimmer ’neinregnet in d’ Stuben! Sonst fangt der Fußboden ’s Faulen an!“

„Ja! Und ich mach’ mich gleich über’n Garten her!“ sagte Karlin’. „Da müssen d’ Steiner aus’klaubt werden, eh’ man noch mit der Schaufel anfangt.“ Sie legte ihr Bündel nieder, hob einen schweren Stein vom Boden auf und trug ihn zu der aus Felsbrocken aufgeschichteten Mauer, die sich um den Garten zog.

Als sie den zweiten holen wollte, der noch gewichtiger war, so daß sie ihn kaum von der Erde emporbrachte, rief ihr Mathes zu: „Aber geh, Linerl, der is Dir ja z’ schwer! Den laß für mich!“ Er kam gesprungen, nahm ihr den Stein aus den Händen und trug ihn zur Mauer.

Nun sammelte Karlin’ das minder grobe Geröll, während Mathes sich mit den großen Brocken schleppte.

So begannen sie den Bau ihres Glückes! Und bei dem Eifer, mit dem sie schafften, bemerkten sie kaum, daß die Sonne zur Ruhe ging, daß drunten im Thal der Abendsegen geläutet wurde und aus dem dämmerigen Blau des Himmels die ersten Sterne leuchteten.



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