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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Schon körperlich und im Volkscharakter unterscheiden sich die Basken von den umwohnenden Romanen. Leider hat das Baskenvolk im Laufe der Jahrhunderte so zahlreiche fremde Elemente aufgenommen, daß die Feststellung bestimmter körperlicher Merkmale sehr erschwert ist. Die darauf bezüglichen Untersuchungen der französischen Gelehrten, die sich in neuerer Zeit mit den Basken lebhaft beschäftigt haben, widersprechen einander vielfach in der merkwürdigsten Weise. Immerhin zeichnen sich die Basken durch Größe und schönen Wuchs vor den umwohnenden Romanen aus, und auffallend ist ihre helle Hautfarbe und das zahlreiche Vorkommen von blauen Augen und blondem Haar unter ihnen. Sie haben die Charaktereigenschaften eines freien und stolzen Gebirgsvolkes: eine glühende Liebe für ihr Land, einen lebhaften Unabhängigkeitssinn, Kühnheit und Unerschrockenheit, sie sind abgehärtet und von patriarchalischer Einfachheit, an alten Sitten und Gebräuchen halten sie zähe fest. Berufszweige, die Körperkraft, Mut und Gewandtheit erfordern, lieben sie besonders: sie sind tüchtige Seeleute und Fischer und – an der Grenze – gefürchtete Schmuggler. Neigung zu ausgelassener Fröhlichkeit ist ihnen ebenso eigen wie leidenschaftliche Erregbarkeit. Der Baske ist von alters her unabhängig gewesen, eine bäuerliche Unterthänigkeit, eine Feudalherrschaft hat es in seinem Lande nie gegeben. Daher ist der Stolz des armen Mannes nicht geringer als der des Begüterten. Die Frauen sind arbeitsam wie die Männer und – abweichend von den meisten Spanierinnen und Französinnen – tüchtige Hausfrauen. Ackerbau und Industrie blühen im Lande dieses thätigen Volkes wie nirgends in Spanien.

Die seltsamste Eigentümlichkeit des Baskenvolkes ist nun aber seine Sprache, und diese ist es vor allem, die uns zeigt, daß wir es hier mit einem ganz vereinzelten Ueberbleibsel vergangener Abschnitte der Menschheitsgeschichte zu thun haben. Die baskische Sprache weicht von allen europäischen in auffallender Weise ab, sie zeigt das Gepräge hohen Alters und hat noch die Merkmale eines frühen Entwicklungsstandpunktes bewahrt. Um eine Vorstellung von der Eigentümlichkeit der Baskensprache zu geben, wird es genügen, zu sagen, daß sie in ihrem Bau am meisten den Sprachen der – Indianer Nordamerikas ähnlich ist! An Wortstämmen ist sie arm wie die Sprache eines einfachen Urvolkes, das keine Veranlassung hatte, einen reichen Wortschatz zu bilden. Erstaunlich ist dagegen die Fähigkeit, Zusammensetzungen zu bilden, und ganz besonders gruppiert sich das Zeitwort im Satzbau mit einer unendlichen Anzahl von Anhängseln, die alle erdenklichen Beziehungen ausdrücken. Schon die Deklinationsformen sind außerordentlich zahlreich. Zu den vier bis sechs Fällen, mit denen sich die Grammatik der bekannten europäischen Sprachen begnügt, fügt das Baskische noch eine ganze Reihe weiterer, so daß leicht etwa zehn bis fünfzehn Fälle herauskommen. Was würden unsere über das Lateinische und Griechische seufzenden Gymnasiasten sagen, wenn sie sich mit dem Baskischen beschäftigen müßten, angesichts der Thatsache, daß man in dieser merkwürdigen Sprache ohne Schwierigkeiten einige hundert Konjugationen aufstellen kann! Das Zeitwort drückt in seiner Form nicht nur alle erdenklichen Beziehungen des Sprechenden zum Objekt aus, sondern es bildet sogar von jeder Konjugationsart wieder vier verschiedene Formen, je nachdem der Sprechende eine ihm gleichstehende Person anredet, einen Höherstehenden, einen Niedrigerstehenden oder eine Frau! Diese unendliche Fülle von Formen, die ein Ganzes von fast mathematischer Regelmäßigkeit der Kombination bilden, machte den Sprachgelehrten von jeher so große Schwierigkeiten, daß der Jesuit Larramendi, der im Jahre 1729 eine Grammatik des Baskischen herausgab, dieser den Titel vorsetzte: „El imposible vencido“ (Das Unmögliche möglich gemacht). Er meinte damit, daß es ihm gelungen sei, den Weg durch dieses Labyrinth zu finden.

Welches ist nun der Ursprung dieses rätselhaften Volkes? Ist es der letzte Überrest eines gänzlich ausgestorbenen Völkergeschlechts, der letzte völlig verwaiste Sproß einer untergegangenen Rasse, oder giebt es heutigestags noch irgendwo auf der Erde Völker, mit denen die Basken näher oder ferner verwandt sind und von denen sie vielleicht in Urzeiten durch Wanderungen oder Völkerumwälzungen Hunderte und Tausende von Meilen getrennt worden sind? Diese und ähnliche Fragen haben die Forschung von jeher lebhaft beschäftigt, die abenteuerlichsten Erklärungsversuche sind aufgestellt und Beziehungen zu den entferntesten und verschiedenartigsten Völkern gemutmaßt worden. Es giebt eine merkwürdige Liste, wenn man alle die Völker zusammenstellt, mit denen die Basken nach den mehr oder minder scharfsinnigen Theorien der verschiedenen Gelehrten verwandt sein sollen. – Da ist zunächst eine halb mythologische Idee zu verzeichnen, die in vergangenen Jahrhunderten ihre Vertreter fand und nach welcher die Basken von dem Patriarchen Thubal abstammen, der einer alten Legende zufolge in Spanien eingewandert war. Man sieht, daß schon in früheren Zeiten, denen eine streng wissenschaftliche Methode noch entbehrlich schien, der Ursprung der Basken bedenkliches Kopfzerbrechen gekostet hat.

Die neuere Wissenschaft hat zunächst ihr Augenmerk auf die Völker an den Küsten des Mittelmeeres gerichtet und hier Anknüpfungspunkte für die Basken gesucht. So haben einige französische Forscher in der Sprache der alten Aegypter gewisse Fingerzeige für eine Verwandtschaft mit den Basken finden wollen; indessen diese angeblichen Aehnlichkeiten sind so schwach, daß man mit einigem Geschick in allen möglichen Sprachen solche Aehnlichkeiten finden kann. Dasselbe gilt von dem Versuche, die alten Etrusker – ein merkwürdiges, jetzt untergegangenes Volk im heutigen Mittel- und Norditalien, das ebenfalls zu mancher ungelösten Frage Anlaß bietet – als Verwandte der Basken auszugeben. Andere stellen allgemeiner die Behauptung auf, daß die Basken aus Italien stammten, wieder andere haben die Phönicier oder die Punier, die Bewohner Karthagos, Völker semitischer Abstammung, zum Vergleich herangezogen, weil in einem Lustspiel des römischen Dichters Plautus sich einige Verse in punischer Sprache finden, die angeblich Uebereinstimmungen mit dem Baskischen zeigen sollen.

Mit kaum mehr Erfolg hat man versucht, ganz allgemein die Basken in einer der großen Sprachen- und Völkergruppen der Alten Welt unterzubringen. Für das Baskische als eine semitische Sprache sind mehrere Forscher eingetreten, ohne indessen ihre Gegner überzeugen zu können. Wie schwach die Begründung dieser Ansicht sein muß, ergiebt sich schon zur Genüge aus dem Umstande, daß andere Gelehrte die Basken ganz im Gegenteil zur indogermanischen Völkerfamilie, zu der auch wir Germanen gehören, zählen wollen. Und nicht genug damit: wieder andere meinen, daß nur in den Sprachen des uralaltaischen Stammes, zu dem beispielsweise die Türken, die Ungarn, die Finnen gehören, Anklänge an das Baskische zu entdecken seien. Ganz besonders im Finnischen hat ein französischer Forscher dergleichen nachweisen wollen. Endlich hat eine vereinzelte Stimme gar im besonderen uns Deutsche und unsere nächsten Verwandten als Vettern der Basken angesprochen; diese sollten germanischen Ursprungs sein, Abkömmlinge germanischer Söldner, die von den spätrömischen Kaisern zum Schutze der Engpässe in den Pyrenäen nach Spanien geschickt worden seien! Wie man sieht, sind damit die in Europa vorkommenden Völkergruppen beinahe erschöpft, und gäbe es noch mehr, so würden sicher auch noch einige Theorien mehr zu verzeichnen sein. Der Gedanke, in den Basken die Urbewohner Spaniens selber zu sehen, soll noch später nähere Erwähnung finden.

Eines steht fest: keine der europäischen Sprachen, keine lebende und keine tote, hat irgend welche Aehnlichkeit mit dem Baskischen.

Aber die Blicke der Forscher richteten sich weiter hinaus über die Grenzen Europas und der Alten Welt. Wenn die europäischen Sprachen keinen Anhaltspunkt für die Erklärung des Ursprungs der Basken boten, so lag es nahe, anzunehmen, daß sie aus anderen Erdteilen her eingewandert seien. Und warum sollte das nicht möglich gewesen sein in den ungeheuren Zeiträumen der Menschheitsgeschichte? Einige solcher Versuche, die Herkunft der Basken von außereuropäischen Völkern abzuleiten, sind bereits erwähnt, so diejenigen, in den alten Aegyptern oder in den Phöniciern Stammverwandte der Basken nachzuweisen. Auch andere Völker des nördlichen Afrika sind schon zum Vergleich herangezogen worden. Ebenso ist bereits die merkwürdige Thatsache erwähnt, daß der Bau der Escuarasprache mit den Sprachen der nordamerikanischen Indianer einige Aehnlichkeit zeigt. Diese Aehnlichkeit war es, die den Anlaß bot zu einer vielfach erörterten Hypothese, nämlich zu der vom amerikanischen Ursprung der Basken.

In der That, die ferne Neue Welt ist von vielen Seiten als das geheimnisvolle Ursprungsland des seltsamen Volkes an den Pyrenäen bezeichnet worden. Die geographische Lage des Baskengebietes ist ja einer solchen Vermutung insofern günstig, als es sich gerade an einer der westlichsten Küstenstrecken Europas befindet, sozusagen „gegenüber von Amerika“. Eine ganze Reihe von Gelehrten hat Untersuchungen in diesem Sinne angestellt und im Lautsystem, im Bau und in der Grammatik des Baskischen mehr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0770.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2021)