Seite:Die Gartenlaube (1896) 0778.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Dir nicht etwas zur Erfrischung reichen? Du siehst so sehr ermattet aus.“

„Ja,“ meinte diese, die sich gern von dem unwillkommenen Thema ablenken ließ, „das ist kein Wunder! Die Frau Oberpräsidentin ist wie von Stahl; das ist eine Arbeit, da mitzuhalten. Erst haben wir die ganze Suppenküchenangelegenheit verhandelt– und wie verhandelt! Wirklich so, als ob Majestät schon vor der Thür stände; und dann haben wir zu Hause bei ihr die Akten aller hiesigen Wohlthätigkeitsanstalten durchgesehen, um diejenigen Personen festzustellen, welche sich in den letzten zehn Jahren hier besonders lebhaft um solche Angelegenheiten bemüht haben.

Es ist nämlich eine große Sache im Werk! Excellenz vertraute sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit an: es sind in neuester Zeit zwei Vakanzen beim Louisenorden eingetreten, und es scheint so, nach den Erkundigungen von oben her, als sollte bei Gelegenheit des kaiserlichen Besuches die Würdigste für eine derselben hier ausgesucht werden. Ja – wer das immer so vorher wüßte! – Aber an solche eingreifende Folgen denkt man doch nicht gleich, und früher war das auch gar nicht so Mode wie jetzt!“

„Was war früher nicht Mode?“ fragte der Geheimrat, der eben ins Zimmer trat, seine Frau.

„Nun, dieses Getratsch von der Wohlthätigkeit,“ antwortete sie, und jetzt erzählte sie auch ihm ausführlich von dem in Aussicht stehenden großen Ereignisse und fand einen interessierteren Zuhörer an ihm als an Lisbeth.

„Es ist recht schade,“ schloß sie ihre Mitteilungen, „daß ich mich früher zu wenig um diese Vereinsbestrebungen gekümmert habe. Wenn es nur einigermaßen zu machen wäre, schlüge mich Excellenz sicher vor, aber es geht doch wohl nicht, das gäbe zuviel böses Blut!“

„Na, Käthchen,“ tröstete ihr Mann, „wenn nicht jetzt, so vielleicht das nächste Mal. Die Versäumnis läßt sich nachholen und das wird jetzt leichter sein als früher, wo Dein Haus Dir so viel zu thun gab.“

„Du hättest Dich der Auszeichnung doch auch gefreut?“

„Gewiß, gewiß,“ bejahte er, „namentlich, da hier in der Stadt der Orden nur viermal vertreten ist.“

„Nur drei Mal, Erich!“

„Nun: die Generalin, die Kommerzienrätin Börner, dann Fräulein v. Heldberg und die Gräfin Stralheim.“

„Ja, freilich – an letztere dachte ich nicht. Die hat ihn aber auch gewissermaßen ererbt. Man zog nach dem Tode der Gräfin Mutter ihn nicht zurück, sondern ließ ihn ihr. Das hätte doch ein ganz anderes Aufsehen gemacht, wenn ich –“

„Ist denn gar keine Aussicht?“

„Nein, gar keine. Excellenz meinte schließlich das selbst. Wir sprachen ganz offen darüber.“

„Schade – schade!“

11.

An der Thür zu Lisbeths Schlafzimmer wurde heftig geklopft. Sie fuhr in die Höhe, warf einen Blick dorthin, einen zweiten auf die Uhr und wollte sich, schlaftrunken wie sie war, noch einmal in die Kissen legen, als dasselbe Klopfen, das sie eben für eine Traumestäuschung gehalten, sich wiederholte.

„Oeffne, Lisbeth, ich bin’s, der Vater!“

Sie sprang mit beiden Füßen aus dem Bette, warf ein Morgenkleid über, drehte den Schlüssel im Schlosse und der Geheimrat trat ein. Bei seinem Anblicke fühlte Lisbeth, daß er ein Unheil zu verkünden kam, so verändert erschien ihr sein Antlitz. Es lag eine Starrheit darauf, die nichts mit der äußeren Ruhe, deren er sich sonst befliß, zu thun hatte, und in feinen Augen brannte ein Glanz wie von unterdrückten Thränen.

„Schließe die Thür,“ sagte er kurz, „damit uns niemand stört! Es ist ein großes Unglück über uns gekommen: Leo ist abermals durchs Examen gefallen! Eben erhielt ich von Walden diesen Brief.“

Er warf zornig ein zerknittertes und zerdrücktes Papier auf den Tisch. „Nun ist alles aus – für ihn – und auch für uns! Ich weiß nicht, was nun werden soll! – Mama wird das nicht überleben,“ und er schlug mit den Gebärden völliger Verzweiflung die Hände vors Gesicht.

„Aber, Papa,“ rief Lisbeth, „fasse Dich, denke an uns und gieb Dich dem Schmerz nicht so hin!“

Der Geheimrat war hastig in dem kleinen Raume hin und wieder gegangen, die bleiche Gesichtsfarbe war einer jähen Röte gewichen, die Adern lagen jetzt wie Stränge auf der Stirn und die Augen erschienen blutunterlaufen. Plötzlich schwankte er, stöhnte tief auf und warf sich, einen Schrei ausstoßend, auf das kleine Sofa, so daß dasselbe in allen Fugen krachte.

Lisbeth sprang zu ihm hin, unterfaßte sanft feinen Kopf und richtete ihn empor. „Komm’ zu Dir, Papa, komme zu Dir! Trinke etwas Wasser, dann wird Dir besser! Die große Erschütterung hat Dich benommen. Denke doch an Mama – denke doch, das Du ihr beistehen mußt!“ Sie hielt das Glas an seine Lippen und goß ihm etwas davon in den Mund, das er, wie sie mit Erleichterung bemerkte, hinunter schluckte. Nun ergriff sie ein Kissen, bettete seinen Kopf hinein, und da seine Augen sich fest geschlossen hatten und der Atem so leise ging, daß sie ihn kaum noch vernahm, eilte sie hinaus, über den Vorsaal nach ihrer Mutter Zimmer, und beugte sich über das Bett der noch Schlafenden.

„Liebste Mama,“ rief sie mit gedämpfter Stimme, „wach auf! Es ist Schweres über uns gekommen, aber Schwereres droht, wenn Dein starker Geist nicht Hilfe schafft! Komm’n meine Schlafstube– Papa ist dort, er ist krank! Die Nachricht von Leos abermals verunglücktem Examen hat ihn niedergeworfen –“

Die Frau Geheimrätin hatte, so rauh aus dem Schlafe aufgescheucht, verständnislos Lisbeth angesehen, nun, bei dieser Erwähnung des Examens, schrie sie laut auf und barg ihr Antlitz in den Decken.

„Mama – ich bitte Dich, komm schnell! – Von Deiner Fassung hängt alles ab. – Es ist ein großes Unglück, aber es kann ein noch größeres daraus werden. Papa ist – ich muß zu ihm – es sieht wie eine Ohnmacht aus! Nimm Dich zusammen, Mama, Du weißt, was Du über ihn vermagst, Deine Kraft erhält ihn uns vielleicht!“

Sie wollte fort, aber die Hände der Mutter hielten sie nun fest und deren Augen schienen sie durchbohren zu wollen, mit so verzweiflungsvoller Angst waren sie auf ihre Tochter gerichtet.

„Lisbeth,“ keuchte sie, „Lisbeth – sage mir die Wahrheit! Ist er tot?“

„Nein, nein, Mama – Gott sei gedankt – es war hoffentlich nur ein Schwindelanfall nach dem großen Schrecken, aber komme, komm’ schnell, Mama!“

Diese war aus dem Bette gesprungen, hatte ein Hauskleid übergeworfen und lief mit nackten Füßen durch die Zimmer und den Korridor nach Lisbeths Stube. Totenbleich hob sich jetzt ihres Gatten Antlitz von dem dunklen Plüsch des Sofas ab, die Augen waren fest geschlossen und die Arme hingen schlaff herab wie bei einem Sterbenden. Kein Laut kam über die Lippen seiner Frau, mit ein paar Schritten war sie bei ihm, nahm ihn in ihre Arme und drückte seinen Kopf an ihre Brust.

„Erich – Erich – komm’ zu Dir, öffne die Augen, sich mich an! Kannst Du mich in solcher Angst lassen? Mein Mann, mein geliebter Mann!“

Er rührte sich schwach, hob ein wenig die Lider und stieß einen Seufzer aus. Sie griff nach dem Wasserglase und füllte es von neuem. „Trinke – ich bitte Dich – trinke, Erich! es ist Dir gesund! Mache ein Brausepulver zurecht, Lisbeth! – So – laß mich Dich aufrichten, trinke nur, ich halte das Glas, trinke es nur ganz aus! Nun lehne Dich zurück, ruhe aus – ich will Deinen Kopf kühlen! Du hast eine Ohnmacht gehabt, Erich. Ich bleibe bei Dir – gewiß, ich halte Dich in meinen Armen! Böser Mann, wie kannst Du Dich so erschrecken? Ist das wohl recht? Weißt Du nicht, daß Dein Leben mir gehört, wie kannst Du mit meinem Eigentum so verfahren? Gewiß, es hat uns ein furchtbares Unglück getroffen, aber, Erich, es giebt noch ein größeres als dieses! Denke, wenn ich Dich verlieren müßte – was ist alles andere dagegen!? Wenn wir beide uns nur haben, nicht wahr, dann sind wir immer noch reich! Und dann, Männchen, denke einmal – es ist uns immer gut gegangen, wir werden doch auch in schlimmer Zeit einander nicht verlassen, und wenn Du Dir nicht Mühe giebst, Dich zu fassen, dann – Erich, ich ertrüge es nicht, ohne Dich zu sein!“

Ueber ihr blasses Antlitz flössen jetzt stromweise die Thränen und befeuchteten auch sein Gesicht; er hob mit Anstrengung die Augenlider und sah sie an.

„Käthchen,“ sagte er leise, „ängstige Dich nicht – es war eine Ohnmacht! Sieh,“ – er hob einen Arm, dann den zweiten - „siehst Du, Du meintest gewiß, es sei ein Schlaganfall! Laß mich nur – es hat mich so überwältigt!“ Er schloß wieder die Augen

„Lisbeth, schnell – ein Glas Wein!“ flüsterte die Frau.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0778.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2018)