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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Junggeselle. Im Auslande hatte ihn nichts gebunden – der Fremde entbehrt dort die Hausfrau wenig. Nun war er Junggesell aus Prinzip! Er fand es für sich sehr unnötig, noch zu heiraten, „sich mit einer Frau zu behängen“, wie er das ausdrückte, um gleich anzudeuten, daß er überzeugt war, den Besitz einer solchen würde er überwiegend als Belästigung empfinden.

Auch weitere Gründe gab es, weshalb er gerade diese Wohnung für passend erachtet: über ihm wohnte ein sehr ruhiges altes Ehepaar. Kaum daß er einmal einen Schritt droben vernahm. Und im ganzen Hause spielte niemand Klavier. Er arbeitete fleißig und fand soviel Geschmack an der litterarischen Thätigkeit, wie er gar nicht gedacht hätte. Nötig hatte er dies angestrengte Schreiben wahrhaftig nicht! Mit einer seltsamen Abneigung stand er dagegen seinem ehemaligen ärztlichen Berufe gegenüber. „Ich habe die Unzulänglichkeit unsres Wissens erkannt,“ sagte er, „und es widersteht mir, eine Miene aufzusetzen, als könnte ich Wunder thun. Aber das will das Publikum haben.“

Seine Wohnung war nicht groß, das Haus in halbe Etagen geteilt, von denen jede nicht mehr als drei Vorderzimmer bot. Ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer nach der Straße zu, ein sogenanntes „Berliner Zimmer“, von ihm als Eß- und Arbeitszimmer benutzt – das war sein Reich. An das letztere Zimmer schlossen sich Wirtschaftsräume – dort hauste die Mutter Fricke, eine schon alte, schrecklich magere Frau, die er halb aus Mitleid, halb wegen ihres rührend leisen, liebenswürdigen Wesens aus einer nicht geringen Zahl von Bewerberinnen ausgesucht. Er war nicht schlecht dabei gefahren: sie kochte vorzüglich, war tadellos sauber und beinahe wie ein Geist unsichtbar und unhörbar, aber immer zur Stelle, wann und wo er ihrer bedurfte.

Die Einrichtung hatte er in der Hauptstadt gekauft; vom Auslande hatte er nichts mitgebracht als ein paar Kisten „Kurios“, wie man die hunderterlei Kunstsachen und Merkwürdigkeiten nennt, die man auf Ueberseereisen allmählich einheimst.

Er stand nicht sehr früh auf, aß spät zu Mittag – zwischendurch traf man ihn immer zu Hause, am Schreibtisch, auf den das Fenster in der Ecke sein breites kaltes Licht warf. Ein gesunder, stattlicher Mann mit dichtem dunklen Haupthaar und Vollbart, die eben zu ergrauen begannen, einen Zug trotziger Energie im leicht gebräunten Antlitz, und in den dunklen beherrschenden Augen ein ungeduldiges Feuer, das genugsam bezeugte, wie wenig das ungebundene Leben in der Fremde von seinem Kraftvorrat aufgebraucht hatte.

Die Abendstunden brachte er gewöhnlich außerhalb zu, kostete nach Laune die Genüsse, welche die Hauptstadt bot, und behielt sich auch den paar Freunden gegenüber, die durchweg verheiratet waren, völlige Freiheit der Bewegung vor. Die Frauen schwärmten heimlich für ihn, fanden ihn sehr interessant, nur etwas rücksichtslos und wenig galant; „ein schöner Mann,“ meinten sie, „aber er ist im Ausland verdorben.“

Das war Doktor Hartmann.

*  *  *

An einem Septembertage saß er am Frühstückstisch. Die Gasflamme brannte drüber, trotz der vorgerückten Stunde – eine Notwendigkeit für die dunkle Hälfte des „Berliner Zimmers“ auch bei Tage, wenn anders der Raum wohnlich anmuten sollte. Doktor Hartmann hatte sogar eine Vorliebe für das Speisen bei künstlicher Beleuchtung gewonnen.

Frau Fricke huschte herein, klinkte die Thür möglichst lautlos hinter sich zu und blieb im Vorbeigehen einen Augenblick stehen. „Wissen Sie schon, Herr Doktor, daß Rechnungsrats oben am Ersten ausziehen?“ fragte sie mit ihrer Aeolsharfenstimme.

„Was?“

„Ja; er hat sich pensionieren lassen und sie ziehen zu ihrer Tochter nach Brandenburg.“

„Das erfahren Sie jetzt erst?“

„Ja, und nur zufällig; der Packer hatte sich in der Etage versehen und klingelte gestern bei uns.“

„Ist denn schon wieder vermietet? Wahrscheinlich doch. Wissen Sie, wer einzieht?“

„Ja, ich habe das Mädchen unten gefragt: eine Frau Hauptmann von Einsiedel, eine Witwe.“

„Hat sie Kinder? Spielt sie Klavier?“ Er sprang auf. „Das kann eine schöne Geschichte werden! Das giebt womöglich eine Turnhalle und ein Konservatorium über meinem Kopfe!“ Er war ganz aufgeregt, ging ans Fenster vor, drehte sich plötzlich um und sagte: „Räumen Sie ab. Ich werde sehen, ob sich das nicht ändern läßt.“

Er warf einen Blick auf die Uhr, begab sich dann in den kleinen winkligen Vorraum beim Eingang zur Wohnung und zog sich einen andern Rock an. Gleich darauf klingelte er beim Wirt unten.

Der Wirt war ausgegangen, aber die Wirtin führte ihn in die „gute Stube“.

„Ich höre da etwas, was mir sehr fatal ist, Frau Homeyer: die Mieter über mir ziehen aus. Wenn ich das früher gewußt hätte, so hätte ich mir das Vorrecht auf die Wohnung vorbehalten.“

„Ja, wenn wir das nur hätten ahnen können, Herr Doktor!“

„Ich will keinen Lärm über mir haben. Ich höre, eine Witwe zieht ein, die einen Haufen Kinder hat und Klavier spielt – womöglich …“

„Drei Kinder nur, Herr Doktor …“

„Also richtig …“

„Aber noch klein, das kleinste ist erst ein Jahr alt, glaube ich, so lange ist ihr Mann tot. Er war Hauptmann – eine nette Frau, wirklich eine feine Frau, geht noch immer in ganzer Trauer …“

„Natürlich, eine feine Frau: die klimpern ja hier alle; und kleine Kinder: je kleiner, je mehr schreien sie! Ich will Ihnen etwas sagen, Frau Homeyer: ich werde versuchen, der Frau die Wohnung auszureden, und zahle die Miete so lange, bis sich wieder so ruhige Mieter finden wie die jetzigen.“

Die Wirtin wand sich ein bißchen geziert, dann sagte sie: „Uns kann’s ja recht sein, wenn der Herr Doktor das fertig bringen.“

„So? Dann halten Sie den Daumen dazu, denn wenn ich’s nicht fertig bringe, so kündige ich.“

„Ach Gott – Sie werden doch nicht?“ rief die Frau erschrocken. „So ein guter Mieter wie Sie sind!“

„Das werde ich doch – verlassen Sie sich drauf!“

„Die Frau Hauptmann wird ja wohl mit sich reden lassen, daß die Kinderchen nicht gerade über der Stube sind, wo der Herr Doktor arbeiten, und daß sie nur Klavier spielt, wenn der Herr Doktor gerade nicht zu Hause sind – aber ich weiß gar nicht, ob sie ein Klavier hat …“

„Das können Sie der Frau gar nicht zumuten. Und wenn sie’s auch verspricht, gehalten wird’s doch nicht auf die Dauer, das giebt nur Scherereien! Also bereiten Sie gefälligst Ihren Mann darauf vor…“

Er verabschiedete sich kurz, doch nicht unfreundlich; er hatte nur eine so knappe, bestimmte Art im Auftreten wie er rasch in Entschlüssen war.

Und er war fest entschlossen, sich, wenn möglich, diese „Dame in Trauer“ mit ihren drei lärmenden Schreihälsen vom Leibe zu halten. Er setzte sich oben an seinen Schreibtisch und verfaßte folgendes Billet:

  „Sehr geehrte Dame!
In letzter Stunde erfahre ich, daß die Wohnnng über der meinigen demnächst den Inhaber wechseln wird, indem Sie an Stelle der bisherigen Mieter einziehen werden. Ich habe nicht den Vorzug, Sie zu kennen; es hat also nicht den mindesten persönlichen Beigeschmack, wenn ich sage, daß mir dieser Wechsel sehr unangenehm ist. Ich bin lediglich so sehr ruhebedürftig und an Geräuschlosigkeit über mir gewöhnt, daß ich zu jedem Opfer entschlossen bin, um nur die letztere zu erhalten. Das Treiben dreier noch so reizender Kinder über meinem Kopfe würde mir unerträglich sein.

Ich mache Ihnen, sehr geehrte Frau, einen Vorschlag. Ich übernehme es, Ihnen bis zum Ziehtermine eine andere Ihnen konvenierende Wohnung zu beschaffen und Ihre Verpflichtung gegenüber meinem Hauswirt zu lösen. Ich mute Ihnen kein Opfer zu: die Tauschwohnung muß genau so Ihren Beifall haben wie die, welche Sie aufgeben. Ich erbitte nur Ihren guten Willen, ein Arrangement zu ermöglichen, welches, ohne Ihnen Nachteile zu bringen, mir gestattet, meine bisherige Wohnung beizubehalten. Sie würden dadurch außerordentlich zu Dank verpflichten

Ihren achtungsvoll ergebenen  
Doktor Hartmann.“ 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0784.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2023)