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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Erkundigungen nach allen Richtungen eingezogen: ich weiß nun bestimmt, nachdem Du das Examen auch das zweite Mal nicht bestanden hast, ist Dir jedes höhere Civilfach verschlossen. So bleibt nur eins: Du wirst Offizier!“

„Offizier!?“ riefen Vater und Sohn wie aus einem Munde, und der Geheimrat setzte sanft abwehrend hinzu: „Aber, Käthchen, Käthchen, bedenke doch!“

„Es ist alles bedacht,“ sagte sie, „ich habe schon verschiedene Briefe deshalb geschrieben, verschiedene recht schwere Gänge deshalb gemacht.“ – Leos Stirn rötete sich. – „Und ich werde jetzt in Berlin auch den schwersten thun und persönlich den Kriegsminister aufsuchen. Elfe muß mich begleiten – dann werden wir es wohl durchsetzen, daß er unser Anliegen an höchster Stelle befürwortet.“

„Aber, Käthchen“ –unterbrach der Geheimrat sie wieder, während Leo die Lippen zusammendrückte, als müßte er gewaltsam die Worte zurückhalten, die sich ungestüm hervor drängen wollten. „Ich weiß alles, Erich, was Du sagen willst: Du hältst es für unmöglich; aber wenn auch äußerst selten, so ist es doch schon dagewesen, daß in Friedenszeiten ein Reserveoffizier zum stehenden Heere übernommen wurde, und warum sollte bei den Verbindungen, die wir haben, um unsretwillen nicht auch zu gunsten Leos so verfahren werden, da alle Welt es weiß, welches Unglück wir mit unserem einzigen Sohne gehabt haben?“

„Ja, ja, Frauchen, wir könnten vielleicht – ich sage vielleicht – sicher ist es mir gar nicht dies Ziel erreichen, aber denke einmal – was ist das für eine Stellung? Er käme natürlich als jüngster Secondelieutenant ins Regiment, jeder achtzehnjährige Junge, der eben erst das Kadettenhaus verlassen, ist ihm vor –“

„Was thut das? Er trägt seine Anciennetät nicht an der Stirn! Und es ist doch immer der einzige Platz, an dem er sich wieder rehabilitieren kann, an dem er für die Gesellschaft nicht mehr unmöglich ist.“

„Na, Käthchen, so ist das doch auch nicht,“ sagte der Geheimrat, dem die immer tiefer werdende Falte auf der Stirn Leos ein qualvoll bedrückendes Gefühl verursachte, „es giebt genug Stellen, die von angesehenen Männern bekleidet werden, in welche er kommen könnte. Sieh einmal, wenn er zum Beispiel Direktor einer Aktiengesellschaft würde –“

„Eine Art Kommis –“ sagte mit geringschätzigem Ton die Frau Geheimrat.

„Durchaus nicht – Frauchen, ich bitte Dich! – Und dann bieten Provinzial- und Kommunalverwaltung noch genug annehmbare Aemter. Welche Aussichten hat er als Offizier? Weiter als zum Hauptmann käme er nie, er hat denn doch längst die dafür angenommenen Jahre überschritten und dann –“

„Nun, er muß natürlich, sobald er ernannt ist, sofort reich heiraten,“ unterbrach sie, über Leo hinweg, den Gatten. „Das versteht sich von selbst, daß es der pekuniären Opfer für Dich jetzt genug sind. Aber gerade als Offizier wird ihm das sehr leicht sein – ich habe das Wohl erwogen.“

„Nun ja, natürlich, wir wollen Deinen Vorschlag überlegen – Du kannst auch später mit dem Kriegsminister Rücksprache nehmen - aber vorerst, meine ich, lassen wir alle derartigen Schritte. Leo ist ja so herunter, mag er sich erst erholen, körperlich und im Gemüt kräftigen – hernach thun wir alle, was in unseren Kräften steht!“

Sie schwieg und wandte gekränkt den Kopf ab.

„Du fährst morgen um neun Uhr, Mama,“ fragte Leo mit merkwürdig heiser klingender Stimme, „erlaubst Du, daß ich Dich zur Bahn begleite?“

„Ich danke,“ lehnte sie ab, „Papa hat mir versprochen, mitzufahren, und für drei ist der Wagen unbequem.“

„Aber die Besorgungen dabei, ich könnte ja vorher zu Fuß –“

„Nein – nein, ich danke! – Schmidt hat beim Kutscher Platz, und so hat Papa mit dem Billet oder Gepäck keine Mühe.“

„So gestatte, daß ich Dir eine glückliche Reise wünsche,“ sagte Leo, drückte einen kalten Kuß auf ihre kalte Hand und ging, den Vater und Lisbeth grüßend, zur Thür hinaus.

12.

In einem in der Bellevuestraße in Berlin gelegenen neuen Hause saßen Frau Geheimrat Brückner und ihr Schwiegersohn, Herr Regierungsrat von Walden, in dem überaus elegant und geschmackvoll eingerichteten Speisezimmer am Kaffeetische.

Es war zehn Uhr. Man hatte ungeduldig und immer ungeduldiger auf die junge Hausfrau gewartet, und schließlich, weil Herr von Walden auf das Bureau gehen wollte, mußte man sich wohl oder übel entschließen, ohne sie mit dem Frühstück zu beginnen.

Die Frau Schwiegermama goß das duftige Getränk in die Tassen, strich die Brötchen für ihn und stellte die Honigschale vor seinen Platz; dabei plauderte sie in anscheinend sehr heiterer Weise von allen möglichen harmlosen und unbedeutenden Vorkommnissen, womit sie bei ihrem Manne stets den Erfolg erzielte, seine Laune zu verbessern. Aber hier versagte dieses Mittel, und die Schatten auf dem blassen, in diesem Jahre merklich gealterten Antlitze hoben sich nicht. Immer, trotz scheinbarer Aufmerksamkeit, lauschte er nach den Nebenräumen, und als nun endlich nebenan ein leichter Schritt hörbar wurde, sprang er mit jugendlicher Elastizität auf, öffnete die Thür und begrüßte seine Frau mit einem so heiteren Gesicht, als hätte nie auch einen Augenblick der Aerger über ihre Rücksichtslosigkeit seine Stimmung getrübt.

„Wie geht es Dir, Liebste?“

„Schlecht. – Die Wohnung ist zu unruhig. Seit zwei Stunden reitet, walzt und trompetet es in der Kinderstube über meinem Kopfe.“

Die Frau Geheimrat zog die Uhr und hielt sie lächelnd ihrer Tochter hin.

„Wenn es erst seit zwei Stunden ist, Elfe, kannst Du von Glück sagen; sonst Pflegen solche kleinen Wesen nicht bis halb neun Uhr zu schlafen. Setze Dich jetzt zu Deinem Manne aufs Sofa, ich mache Dir ein Brötchen mit dem neuen Honig zurecht. Sieh nur, wie lecker er ist!“

„Ach – ich bin so appetitlos!“

Sie lehnte sich an die Polster und Walden schob ihr sorgsam ein Kissen in den Rücken und eines unter die Füße, während die Mutter den Kaffee einschenkte, die Brötchen strich und alles vor sie hinstellte.

Wie eine ihr zukommende Huldigung empfing die junge Frau die zärtliche Sorge der beiden. Der Mutter dankte noch ein Lächeln, ein Kopfnicken; aber von dem Bemühen ihres Gatten nahm sie weiter keine Notiz, als daß sie ein „Nicht so hoch“, „Mehr rechts“ oder „Das braune Kissen ist mir bequemer“ – ihm zuwarf.

Mit halbgeschlossenen Augen drückte sie sich in die Sofaecke und schien nicht die Absicht zu haben, an der Unterhaltung teilzunehmen.

Das verflossene Jahr hatte ihre Schönheit erst zur vollen Blüte entfaltet, die Gestalt zeigte entwickeltere Formen, das zartgeschnittene Gesicht eine rosige Färbung und aus dem türkisch gemusterten, seidenen Schlafrocke guckte der volle Hals in geradezu blendender Weiße hervor. – Walden ließ seine Blicke mit ganz unverhülltem Entzücken auf ihr ruhen, und wenn er zur Mutter hinüberblickte, schienen seine Augen zu fragen: kann man solchem liebreizenden Wesen Wohl zürnen, selbst wenn man von ihm mißhandelt wird?

„Willst Du uns nicht von dem gestrigen Souper erzählen, Elfe,“ fragte er dann. „Hast Du Dich amüsiert? Friedrich sagt, Du wärest erst um zwei Uhr nach Hause gekommen.“

„Wenn Du den Diener schon ausgefragt hast, brauche ich mich mit dem Reden ja Wohl nicht weiter anzustrengen.“

„Aber, Elfe,“ sagte die Frau Geheimrat in tadelndem Ton, „ich finde, Dein Gatte verwöhnt Dich zu sehr.“

„Es ist unausstehlich,“ fuhr jene auf, „dieses Ausholen der Dienstboten! Er weiß es doch, daß ich, nach Verabredung, von Thorbergs zurückgebracht werden sollte. Ist man denn sein eigener Herr? Wer, wie ich, fast immer ohne den eigenen Mann ausgehen muß, hat nicht zu bestimmen, wann er heimfahren will. Wozu also der Vorwurf über das späte Ausbleiben?“

„Wer macht Dir denn einen Vorwurf, Liebchen? Warum solltest Du nicht dort bleiben, so lange als Du Dich amüsierst?

Ich freue mich, daß Du es thust, und bedauere, daß mein Amt mich zu sehr in Anspruch nimmt, um immer mit Dir zu gehen, aber Du warst ja gut versorgt unter dem Schutze der alten Herrschaften.“

„Eine verheiratete Frau hat keinen Schutz nötig und ich werde auch nie mehr mich in dieses Abhängigkeitsverhältnis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0791.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2018)