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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

jene tragen ein buntes Nachthemd, andere wieder einen mehr oder weniger vollständigen Anzug von europäischem Schnitt.

Durch das geschmückte Thor treten indessen die geladenen Gäste ein. Der Landeshauptmann, der Stabsarzt und die Schwester vom Krankenhause, Beamte und deutsche Kaufleute; neugierig nahen auch die schwarzen Väter der Schüler, Häuptlinge und Dorfälteste von Klein-Popo; alle werden von dem Lehrer Köbele und seiner jungen Gattin willkommen geheißen und in das große Schulzimmer geleitet, in dem die Feier stattfinden soll. Dort sind die weißgetünchten Wände mit reichem Palmenschmnck geziert, zwischen dem die Bildnisse des Kaisers und der Kaiserin hervorblicken. Auf der Tafel prangt in gotischer Schrift der Weihnachtsspruch „Ehre sei Gott in der Höhe“. Für die Festgäste sind Stühle aufgestellt, ein Tisch ist mit Christgaben für die Schüler bedeckt; aller Augen sind aber auf den Weihnachtsbaum gerichtet – eine echte deutsche Tanne, die in hellem Lichterglanz und buntem Schmuck erstrahlt. Die Schüler stellen sich inzwischen im Halbkreis um den Christbaum, ihre dunklen Augen sind auf den Lehrer gerichtet, der am Klavier steht, und mit dem dreistimmigen Choral „Kommt, kommt, den Herrn zu preisen“ wird die Feier eröffnet. Wie eigenartig werden die Zuhörer durch diese hellen Klänge in der Sprache der Heimat ergriffen! Fast wie ein Märchen kommt es ihnen vor, daß Negerbuben so geläufig ein deutsches Lied vortragen. Die Ueberraschung war aber noch größer, als die Deklamationen an die Reihe kamen. Da tritt der kleine Jakob vor. Er sieht schüchtern und schmächtig aus; wie er aber anfängt, so sicher und in klarer Aussprache die Weihnachtsgeschichte vorzutragen, richtet sich jedes Auge mit Wohlgefallen nach dem klugen Gesicht mit den ernsthaften Augen. Weniger Glück hat sein Nachfolger Ador; er, der keckste unter den Schülern, verliert heute in der feierlichen Stimmung die Geistesgegenwart. Mit unsicherer Stimme beginnt er das Gedicht von Gerok „Jesus in der Krippe“ und verwechselt mehrere Gliedmaßen des Kindes, die darin besungen werden. Vielleicht beengt ihn die neue helle Hose, die der Uebermut zur Feier des Tages anhat, denn er zieht sie krampfhaft höher und höher, als fürchte er, sie bei seinen Anstrengungen zu verlieren. Endlich ist der letzte Satz herausgewunden und Ador tritt beschämt zurück. Die Ehre der Schule rettet nun der Primus, der das Melodrama „Das Glöcklein von Jnnisfär“ vorträgt. Ein deutscher Beamter hat die Klavierbegleitung übernommen und die sichere ausdrucksvolle Art, wie der schwarze Junge das lange Gedicht dazu hersagt, erregt allgemeinen Beifall; auch die anderen Schüler, welche die kleinen Chöre dazwischen singen und mit der Schulglocke das Glockengeläute markieren, machen ihre Sache gut. Zum Schlusse singen die schwarzen Schüler und die anwesenden Europäer einstimmig den erhebenden Choral „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr’!“ Noch eine Rede des Landeshauptmanns, der dem Lehrer Anerkennung zollt, und nun erfolgt die Verteilung der Gaben an die jungen Burschen. Filetjacken bildeten das Hauptgeschenk, aber es fehlte auch nicht an knusprigen Weihnachtsgaben; ein Schiffskapitän sandte ein Faß Schiffszwieback für die „Jungens“ und ein Kaufmann stiftete Pfeffernüsse.

Fürwahr, ein solcher Weihnachtsabend in Deutsch-Afrika läßt das deutsche Herz höher schlagen, aber wie groß muß sein Eindruck auf die schwarzen Gäste gewesen sein! Ernst schritten die wackeren Dorfältesten nach Hause und in dem Negerdorfe erzählte der Kindermund von dem Jesuskinde, zu dem die Weißen beten; erzählten von der Liebe, die es lehrte, von dem Frieden, den es der Welt verhieß. Da wankte wohl in mancher Brust zum erstenmal der düstere Glaube an die böse Dämonenwelt und den Fetischkultus und der Glanz des Christbaumes drang aufklärend in die finsteren Tiefen des traurigsten Aberglaubens.

So wirkt heutzutage der „deutsche Schulmeister“ im Dunklen Weltteil, ein Vorkämpfer der Kultur im vollsten Sinne des Wortes. So wirkt und ringt er unter tausend Beschwerden; denn ungefügig sind noch die Schüler, die er aus der angeborenen Wildheit höherer Gesittung zuführen will, und unwirtlich, mit Fieberdünsten geschwängert ist das Land, in dem er lebt. Hat doch Lehrer Köbele, dem wir die Vorlagen zu dem Bilde, das unsere Nummer schmückt, und die näheren Angaben für diese Schilderung verdanken, ein weiteres Weihnachtsfest nicht mehr erleben können. In der Blüte des Mannesalters hat ihn bereits am 11. Mai dieses Jahres ein bösartiges Fieber dahingerafft. Ehre seinem Andenken und Ehre den anderen deutschen Lehrern, die gleich ihm im Dunklen Weltteil aufopferungsvoll wirken, mit Waffen des Geistes und des Herzens die jungen Kolonien erst wahrhaft für das Vaterland erobern helfen!


Ein Weihnachten auf der Rauhen Alb.

Von Paul Lang.
(Mit dem nebenstehenden Bilde.)

Jawohl, Mutter, das ist ein alter Brauch im Schwabenland, daß man dem Schäfer, wenn er nicht zum Christkindle in die Stube kommen will, den Christbaum aufs Feld bringt, den Baum mit brennenden Lichtern und Glaskugeln dran. Ein Schäfer muß doch auch wissen, daß es Weihnachten ist. Ganz gewiß, ein alter guter Brauch ist’s.“

Also beteuerte die dreiundzwanzigjährige Margarete ihrer Mutter, der verwitweten Krämerin Bosch gegenüber, und dabei arbeitete sie wacker drauf los, um ihre Spitzenklöppelei für den heutigen Heiligen Abend vollends fertig zu bringen. Das kunstvolle Werk war ein Geschenk für die gnädige Frau im Schloß, bei der Margarete seit einer Reihe von Jahren im Dienste stand. Und so manches sie im Schloß schon gelernt hatte, was sie sich unter dem niedrigen Dach ihres Elternhauses niemals zu eigen gemacht hätte, das Klöppeln ging ihr doch nirgends so von der Hand wie unter den Augen der Mutter, die eine auch von ihrer Tochter noch nicht übertroffene Meisterin in dieser Fertigkeit war.

„Ein alter Brauch? So? Nein, davon weiß ich nichts und bin doch um ein Gutes älter als Du,“ entgegnete die Mutter. „Aber man hat ja alle die alten Bräuche einschlafen lassen und vergessen; man wüßte gar nichts mehr davon, wenn man sie nicht noch hier und da in den Büchern fände wie Deine gnädige Frau. Die hat Dir’s wohl erzählt?“

„Ja, und drum soll der Vetter Daniel heute abend bei seinen Schafen auch seinen Christbaum haben,“ versicherte Margarete bestimmt; und wenn sie einmal etwas gesagt hatte, so blieb es in der Regel dabei.

„Ich weiß nicht,“ nahm die Krämerin nach einer Pause wiederum das Wort, „ob ihr dem Vetter eine besondere Freude macht, wenn ihr ihn heute abend nicht ganz allein und in Ruhe laßt bei seinem Pferchkarren, seinem Hund und seinen sinnierigen Gedanken. Und die Leute im Dorf müßten Dich ja für närrisch halten, wenn Du mit einem brennenden Bäumle durch den dunkeln kalten Wald laufst.“

„Das Mariele geht natürlich mit mir. Und wenn der Vetter Daniel heut’ abend nicht für sich selber einen Christbaum haben will, so soll er sich doch wenigstens seinem Kind zulieb in den alten schönen Brauch schicken. Das Mariele ist halt ein armer Tropf! Vierzehn Jahre lang hat sie von ihrem Vater nichts gehabt, weil er in der Fremde herumgefahren ist, das eine Mal auf dem Schwarzwald, das andere Mal auf der Alb, das dritte Mal gar im Preußischen“ – sie meinte das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen. „Und jetzt, wo der Vetter zum erstenmal wieder nach langen Jahren Gelegenheit hätte, den Geburtstag seines Kindes und das Geburtsfest unseres Heilands mit anderen Christenleuten in der warmen Stube zu feiern wie sich’s gehört, jetzt will er nicht hergehen, sondern lieber auf dem freien Felde draußen eigenbrödeln. Nein! Das ist nicht recht!“

„Mir thut’s auch weh für ’s Mariele. Aber es hat seinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0836.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2023)