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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Alfred Bovets, dessen Preis 150 Franken beträgt. Inzwischen war auch in anderen, zunächst in den deutschsprechenden Ländern, der Autographenhandel eingeführt. 1838 veranstaltete der Wiener Buchhändler Franz Gräffer die erste deutsche Autographenauktion. Seit dieser Zeit mehren sich die Auktionen; gleichzeitig hat sich der Handel zu festen Preisen aufs prächtigste entwickelt, und so ist gegenwärtig das Autographengeschäft in Angebot und Nachfrage ein allseitig recht reges.

Um welche Summen handelt es sich nun in diesen Geschäften? Welches sind nach oben und nach unten die Grenzen für den Geldwert der von berühmten Personen beschriebenen Papiere?

Die Preise aller Handelsgegenstände richten sich bekanntlich nach der Häufigkeit der Nachfrage und nach der leichteren oder schwereren Befriedigung derselben. Dieses Grundgesetz auf Autographen angewendet, ergiebt folgende Anhaltspunkte zur Wertbestimmung: da es sich um Selbstschriften bekannter Personen handelt, fällt der Grad dieses Bekanntseins zuvörderst schwer ins Gewicht. Luther, Shakespeare, Voltaire, Napoleon I., Kant, Goethe, Beethoven, Schiller sind demnach von höherem Werte als Melanchthon, Ben Jonson, M. Mendelssohn, Friedrich Wilhelm III., Herbart, J. H. Voß, Reichardt, Hölty. Mit dem Bekanntsein hängt die Erreichbarkeit zusammen; je weiter in die Vergangenheit das Leben einer Berühmtheit zurückreicht, um so seltener im allgemeinen wird sich Handschriftliches von ihr finden; ferner wird das Gleiche der Fall sein, je kürzer die Lebensdauer – und mithin je kleiner verhältnismäßig die Menge der Briefe und sonstigen Handschriften – ist. Schließlich beeinflussen Umfang und Inhalt des Autographs die Wertbestimmung oft nicht unwesentlich. Unter Einwirkung dieser Umstände, die durch persönliche Vorliebe oder Mode noch weitere Schwankungen erleiden können, haben sich gewisse Preisgrenzen ergeben, von denen die folgenden Beispiele einen Begriff geben mögen.

Während im Handel für Briefmarkensammler die Preise von 1 bis 10 Pfennig zu den häufigsten gehören, bewegt sich im Autographenhandel die entsprechende niedrigste Preisstufe von 50 Pfennig bis 5 Mark. Zum Preise von 50 bis 100 Pfennig kann man gegenwärtig Autographen von neueren deutschen Dichtern wie Bauernfeld, Dingelstedt, Groth, Gutzkow, Pfizer etc. bekommen. Je höher der Preis, um so bedeutenderen Ursprung und Umfang, um so größere Seltenheit hat natürlich das Autograph. Auch die allerkürzeste Unterschrift oder Namensabkürzung von Luthers, Napoleons I. oder Goethes Hand um diesen Preis, bis zu 5 Mark, zu erhalten, ist heutzutage ein Ding der Unmöglichkeit; noch um die Mitte des Jahrhunderts war das, bezüglich Napoleons und Goethes, möglich. Goethes Unterschrift dürfte gegenwärtig kaum unter 10 bis 20 Mark zu haben sein. Ist aber der Brief oder das Manuskript auch noch von unseres Dichters eigener Hand, so steigt, je nach der Zeit der Niederschrift, dem Inhalt und dem Umfang, der Preis auf 50, 100, ja mehrere hundert Mark. So wurde ein zweiseitiger eigenhändiger Brief Goethes an Schiller vom Oktober 1795 mit interessantem Inhalt um 500 Franken verkauft; andere Briefe erzielten Preise von 250, 175, 130, 80, 50 Mark. Das Steigen der Autographenpreise läßt sich besonders interessant verfolgen an den Preisen, die für Richard Wagners Handschrift gezahlt wurden. Noch während der fünfziger und sechziger Jahre wurden zweiseitige Briefe Wagners für 2 bis 3 Mark verkauft. Mit der wachsenden Berühmtheit wuchsen die Preise, und geradezu enorm gingen sie seit dem Tode des Komponisten (1883) herauf. Kurze Briefchen desselben werden mit 30 und mehr Mark bezahlt, Musikmanuskripte von wenigen Zeilen erzielen ähnliche Preise. Man muß lächeln in Wehmut, wenn man daran denkt, wie Wagner dieses Geld seiner Zeit in Paris hätte brauchen können. Aehnlich ist es mit den Handschriften zahlreicher Dichter und Künstler bestellt, man wiegt sie mit Gold auf, und die Schreiber haben im Leben vielleicht recht oft hungern müssen.

Die höchsten bislang erzielten Autographenpreise bewegen sich um 1000 und mehr Mark herum. Mit solchen Summen wurden z. B. auf einer der großartigsten Autographenauktionen (der Sammlung Bovet in Paris) Handschriften von Napoleon Bonaparte, Pierre Corneille, Molière (2500 Franken), Lesage, Reuchlin, Luther (1000 Franken) und Hutten (1210 Franken) bezahlt. Den bislang überhaupt höchsten Preis erzielte meines Wissens das Original von Voltaires Testament mit 5000 Franken. Die Auktionen sind übrigens vorzüglich geeignet, um vergleichende Betrachtungen über die Autographenpreise zu machen. Von den angebotenen Handschriften gehen mindestens 90% zu Preisen von 50 Pfennig bis 5 Mark fort (in Frankreich 2 bis 10 Franken); 6% bis 8% kommen bis zu 50 Mark, und nur 2% bis 4% erzielen die außergewöhnlichen Preise, von denen Kunde ins große Publikum dringt. Erwähnt werden mag noch, daß in Frankreich die Preise am höchsten sind.

Bei einer derartigen, zu hohen Zahlungen bereiten Nachfrage ist es wohl selbstverständlich, daß „besonders intelligente Köpfe“ darauf verfielen, den Bedarf künstlich zu befriedigen. Die Geschichte dieser Handschriftenfälschungen ist eines der interessantesten Gebiete in der Autographenwelt, zumal, da sich hier einige prächtige Tragikomödien abspielten. Der Autographenhandel entstand in Frankreich; da ist es denn auch nicht mehr als recht und billig, wenn Frankreich auch in Sachen der Fälschungen die glänzendste Rolle spielt. Bereits 1840 wird in Paris die Klage über unechte Autographen lebhaft; Rabelais, Agnes Sorel, Talbot, Molière, Racine, Boileau, Louis XVI. und Marie Antoinette werden gefälscht. Das gleiche Schicksal haben später Byron in England und Schiller in Deutschland. Die etwa 400 Fälschungen von Schillers Handschrift durch den Architekten von Gerstenbergk führten 1856 zu dem Aufsehen erregenden Weimarer Prozeß; Gerstenbergk hatte aus seinen Fälschungen einen Gewinn von etwa 6000 Mark im Laufe von 6 Jahren gezogen; er wurde zu 2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Fälschungen waren nicht ohne Geschick hergestellt, und jedenfalls hatten sich die Betrogenen nicht durch zu leichtgläubigen Kauf lächerlich gemacht. Nicht erspart aber blieb der Vorwurf, sich durch seine Leichtgläubigkeit unsterblich lächerlich gemacht zu haben, dem berühmten Betrogenen in dem berüchtigten größten Autographenfälschungsprozesse Vrain Lucas zu Paris im Jahre 1870. Dieser Betrogene war der berühmte Michel Chasles, als Mathematiker von wohlverdientem europäischen Rufe. Chasles glaubte nachweisen zu können, daß das Gravitationsgesetz nicht von Newton, sondern von Blaise Pascal entdeckt sei; der Briefwechsel aber, auf den Chasles sich stützte, erwies sich als gefälscht! Und als gefälscht wurden auch fast alle übrigen Autographen (zusammen etwa 27 000 Stück) erkannt, die Chasles im Laufe von mehreren Jahren durch die Vermittlung des Schwindlers Vrain Lucas erworben hatte, erworben für einen Preis von nicht weniger als 140000 Franken! Und dabei waren diese Fälschungen noch von einer kaum glaublichen Deutlichkeit. So schreibt z. B. Kleopatra auf modischem Papiere in einem höchst fehlerhaft verdächtigen Altfranzösisch an Julius Caesar, er möchte ihrem Sohne Caesarius einen Paß verschaffen! Das geht ins schier Unglaubliche hinein, dieser Unsinn vorgeblich echter Autographen! Und Chasles, der „Unsterbliche“ der Akademie, er kaufte und kaufte, bis er unsterblich blamiert war. Die Einzelheiten des berüchtigten Prozesses hier darzulegen, ist unmöglich, das Resultat war natürlich die Verurteilung Vrain Lucas’, des Fälschers. Solche Fälle sind seitdem noch nicht wieder vorgekommen; aber keine Auktion vergeht gegenwärtig wohl, ohne daß einige Autographen, zumal solche von berühmten Dichtern, „als unecht“ beanstandet und ausgeschieden werden. In jüngster Zeit wurde von einem Ehepaar, das sich den Namen „Kyrieeleis“ beigelegt hatte, mit gefälschten Lutherautographen in einigen deutschen Städten ein großer Schwindel getrieben. Solche Vorkommnisse zwingen die Sammler natürlich zur Vorsicht und zur Ausbildung von Mitteln, Fälschungen nachzuweisen.

Zum Schluß noch ein Wort über die hervorragendsten Autographensammlungen. Nach ihren Besitzern gliedern sie sich in öffentliche (staatliche, städtische oder sonst genossenschaftliche) und private. Die bedeutendsten öffentlichen Sammlungen sind wohl diejenigen der Berliner Königlichen Bibliothek, des British Museum zu London und der französischen Bibliothèque nationale zu Paris. Unter den Schätzen der Berliner Sammlung ragen die 13000 Autographen der Sammlung des Generals von Radowitz hervor, die für 15000 Thaler angekauft wurden. Private Sammlungen enthalten oft Tausende von Handschriften; so zählten die bereits etwa 1855 verkauften Sammlungen Falkenstein und v. Hüttner je etwa 10000 Nummern; die gegenwärtig wohl umfangreichste deutsche private Sammlung dürfte sich in Berlin befinden, sie umfaßte schon vor 10 Jahren etwa 50000 Stück.

Diese Zahlen beweisen, daß die Autographik in Deutschland in fortwährendem Aufschwunge begriffen ist und daß diesem „königlichen Sammelsport“ noch eine lange und erfreuliche Zukunft beschieden sein dürfte.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0854.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2023)