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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 51.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Geschwister.

Roman von Philipp Wengerhoff.

  (13. Fortsetzung.)


16.

Die letzten, schräg fallenden Strahlen der Sonne lassen die goldenen Inschriften der Denkmäler, die den Friedhof schmücken, hell aufleuchten und erhöhen die Farbenpracht der zahllosen Blüten, welche diesen Thränenacker in einen Blumengarten verwandeln.

Ein köstlicher Augustabend ist’s – kein Lüftchen rührt sich, Reseda und Levkojen erfüllen die Luft mit schier berauschendem Duft und das Summen der Insekten ist fast der einzige Ton, der in diesen Frieden dringt.

An einem Grabe, das, eingeschlossen von einem grünumrankten Gitter, etwas abseits von den breiten Wegen liegt, ist Lisbeth eben beschäftigt, die abgeblühten Pflanzen herauszunehmen und durch frische zu ersetzen, die neue Blumen versprechen. Sie arbeitet schon längere Zeit dort, hat das Unkraut ausgejätet, die Erde gelockert; nun sputet sie sich, denn die Sonne sinkt und mahnt zur Heimkehr. Von ihrer Beschäftigung ganz in Anspruch genommen, achtet sie auf die Vorübergehenden nicht und bemerkt auch den Herrn nicht, der langsam den Weg bis zu diesem Platze zurückgelegt hat und sich nun, den Hut von dem vollen, blonden Haare nehmend, ans Gitter lehnt. Sein Schatten fällt über den sonnenbeschienenen Platz und läßt Lisbeth aufsehen, und ihr schon von der Arbeit erhitztes Antlitz errötet noch tiefer bei seinem Anblick.

„Welche Ueberraschung!“ sagt sie, indem sie sich von den Knieen erhebt, „seien Sie gegrüßt, Arnold! Wie kommen Sie hierher? Sie wurden noch lange nicht erwartet.“ Und damit öffnet sie die Thür des Gitters und reicht ihm die nun von der feuchten Erde gesäuberte Hand mit herzlichem Lächeln hin.

Er tritt ein, beugt sich, indem er mit der Rechten den Rasen berührt, einen Augenblick über den Hügel und nimmt dann auf dem Bänkchen Platz.

„Mein Urlaub,“ begann er, „sollte erst Mitte nächsten Monats anfangen, aber ich hatte Gelegenheit, durch einen Tausch mit einem Kollegen diesem noch einen Gefallen zu thun, also reiste ich natürlich sobald als möglich ab und vor einer Stunde bin ich hier angekommen. Acht Monate sind es her, daß ich fortging, eine lange Zeit!“

Sie nickte.

„Und was sagte denn das Liesel?“ fragte sie mit erwartungsvollem Stolz in den Mienen.

Er lächelte.

„Sie kreischte entsetzlich,“ antwortete er, „als ich sie von ihrem Stühlchen aufhob und küßte, und schrie immerfort: Tata Lisi, Tata Lisi! – und Mutter sagt, das sei ihr Hilferuf in allen Nöten.“

Lisbeth hatte die letzten Blumenstauden noch eilig in die Erde gedrückt, nun rieb sie die Hände ab, zog die Handschuhe an und ergriff das Körbchen.

„Ich sehe Sie heute noch,“ sagte sie freundlich, „denn ich möchte doch auch hören, was Sie uns von Ihrem Leben in Berlin zu erzählen haben. Aber jetzt will ich gehen, es ist selbstverständlich, daß Sie hier allein sein möchten.“

„Aber, Lisbeth,“ rief er lebhaft, indem er sich erhob, „wie können Sie das sagen! Wann sind wir einander je zuviel gewesen? – und hier doch ganz gewiß nicht! In meinen Gedanken und nach dem Herzen derer, die hier ruht, gehören wir drei immer zusammen. Lassen Sie uns noch ein wenig niedersetzen und dann gehen wir gemeinsam fort.“ –

Sie setzten sich nieder auf die schmale Bank nebeneinander und er blickte gedankenvoll vor sich hin.

„Wie oft haben wir früher uns als Kinder unter diesen alten Bäumen herumgetrieben! – Es ist eigentümlich,“ fuhr er nach kurzem Stillschweigen

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Die Bacchusecke im „Rosenkranz“ des Hamburger Ratskellers.
Nach einer Originalzeichnung von H. Haase.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0857.jpg&oldid=- (Version vom 13.10.2022)