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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Der Thee ist gefärbtes Wasser etc. Ich kaufe den armen Stiefkindern von meinem eigenen Gelde manchmal Brot. Was soll ich thun?“

Besagte Stelle steht seit Jahren in unserem „schwarzen Buch“, und ich habe der Dame bei einem Besuch hier ganz unverfroren erzählt, was ihre Erzieherinnen mir gesagt hätten, und daß wir niemand für sie hätten. Sie that sehr entrüstet, aber man hat schließlich nicht umsonst sechs Briefe in der Hand, die gegen eine Dame zeugen, und noch allerlei im Gedächtnis, das einem mündlich erzählt wurde. Ich war vor zwei Jahren gerade auf dem Bureau des Lettevereins, als besagte Lady S. sich wieder einmal brieflich dort meldete, und ich klärte die Sekretärin auf. Es ist nicht richtig gehandelt, wenn eine Lehrerin wirklich ohne ihre Schuld schlechte Erfahrungen in einer Stelle macht und dies dem Bureau verschweigt, von dem sie die Stelle hat. Wie sollte z. B. der Letteverein wissen, wie es um Lady S.s Stelle stand, wenn die beiden Damen, die er in ihrem Hause placierte, ihm nichts von ihren Erfahrungen dort mitteilten, dagegen bei mir sich über diese so vortreffliche Anstalt beschwerten, die sich einzig und allein in den Dienst der arbeitenden Welt gestellt hat und so unendlich viel Gutes schafft?

Allem diesen gegenüber habe ich nun dennoch zu sagen, daß tüchtige Lehrerinnen, die den rechten Weg einschlagen, gut hier fortkommen. Unser Verein besetzt durchschnittlich jährlich 200 Stellen in Schulen und Familien, und wir hören nicht oft Klagen, niemals aber von solchen Erlebnissen wie die oben geschilderten. Der Verein ist in den 20 Jahren als eine Anstalt bekannt geworden, in der nur zuverlässige Kräfte zu haben sind, die anständig bezahlt und ebenso anständig behandelt werden wollen. Leute, die ihre Erzieherin nur ausnützen und schlecht behandeln wollen, wenden sich nicht an uns.

Allerdings kommt es oft genug vor, daß wir Aufnahmegesuche abschlägig bescheiden müssen. Das geschieht jedesmal, wenn die Applikantin unter 20 Jahren ist, und ebenso, wenn keine genügende Vorbildung oder Erfahrung nachgewiesen werden kann. Wir bestehen nicht auf Prüfungszeugnissen. Nachweise über erfolgreiche Thätigkeit können dieselben ersetzen. Auch raten wir Handarbeits- oder Turnlehrerinnen entschieden von dem Herüberkommen ab, denn sie werden einfach vom Engländer nicht angestellt. Lehrerinnen, die zu ihrer Ausbildung nur kurze Zeit nach England kommen wollen, raten wir, ihre Zeit als Geld zu betrachten und sich, wenn ihre Mittel es irgendwie erlauben, als Studentinnen im St. Albans College, 19 Lansdown Crescent, London W., zu melden. Das College besteht seit 7 Jahren und ist schon von sehr vielen deutschen Lehrerinnen mit dem größten Erfolg besucht worden. Bei einigen Vorkenntnissen der englischen Sprache kann das Ziel schon in 6 Monaten erreicht werden.


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Alle Rechte vorbehalten.

Turandots Polterabend.

Erzählung von Hans Arnold. Mit Illustrationen von A. Mandlick.

     (Schluß.)

Käthe nahm allerlei vor, womit sie ihre Unruhe zu beschwichtigen suchte. Sie sah in Küche und Keller zum Rechten; sie stieg in ihre neue kleine Wohnung im ersten Stock hinauf, die sie sich so vergnüglich und so ganz nach eigenem Geschmack eingerichtet hatte; sie setzte sich an den zierlich eingelegten Nähtisch und versuchte es, sich die Vormittagsstunden auszumalen, in denen sie hier fleißig und emsig zu sticheln gedacht hatte – für wen?! Hübscher wäre es schon, für jemand zu arbeiten, der sich daran und darauf freute, was ihre flinken Hände zustande brachten!

Sie wandte den Blick zum Fenster und sah gedankenvoll ins Land hinaus – auf das friedliche Bildchen der kleinen Stadt, in deren Fenstern die niedersteigende Sonne ein rotglühendes Abendfeuer entfachte, und auf deren Kirchturmhahn sie blitzte. An dieser Aussicht hatte sie sich erfreuen wollen, aber wie viel hübscher würde es sein, wenn jemand – ein ganz bestimmter jemand – diese Straße entlang käme und sie ihn schon von fern sähe, wie er den breitrandigen Hut gegen sie schwenkte.

Sie trat unwillig vom Fenster zurück – wie frei hatte sie sich geglaubt und gefühlt, mit welcher überlegenen Ruhe ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollen, und mußte es nun erleben, daß über all die friedlichen, sonnigen Bilder, die sie in die Zukunft gemalt, der Wolkenschatten der Vergangenheit fuhr und sie unruhig machte!

Sie verließ eilig das kleine Paradies, das sie sich geschaffen, und schloß es so energisch hinter sich ab, als könnte sie die rebellischen Gedanken auch hinter Schloß und Riegel legen, die wie kleine Kobolde um sie her tanzten und ihr den klaren Sinn verwirrten, so daß sie sich selbst nicht mehr zu kennen glaubte.

Sie wollte sich die Zuversicht zu ihrem Lebensplan, der ihr so traurig unter den Händen zerbröckelte, bei denen wieder holen, denen sie ihn vor wenig Wochen wie eine Landkarte aufgezeichnet hatte – bei den guten Eltern, die ja nur den einen Wunsch kannten, sie glücklich zu wissen, und die es ja auch für ein Glück ansahen, daß sie ihr Geschick so selbständig in die Hand nahm. Denn wenn auch alles noch gut werden konnte – wenn der Freund ihr den Flüchtling wieder einfangen konnte: die Möglichkeit war ja doch immer vorhanden, daß sie ihn wirklich verloren hatte und daß sie seine Existenz aus dem Exempel ihres Lebens streichen mußte wie eine Zahl! Dann durften ihr doch nicht lauter Nullen übrig bleiben! Und so ging sie langsam, wie müde, in das Polterabendzimmer, wo alles schon festlich hergerichtet war und wo die beiden alten Leute friedlich beisammen saßen und mit halb wehmütiger Freude auf die schönen, geschmückten Räume sahen, in denen ihrem Kinde bald gehuldigt werden sollte.

Käthe schob sich zwischen die Eltern und faßte beider Hände. „Nun ist es so weit!“ sagte sie mit einer Heiterkeit, der die nassen Augen zu widersprechen drohten, „nun erlebt ihr es auch, daß euer Kind Polterabend feiert! Jetzt wünscht mir ’mal gerade so Glück, als wenn ich morgen wirklich eine ehrsame Hausfrau würde – nicht bloß eine von eigenen Gnaden. Gerade so!“ wiederholte sie dringlich und drückte die Hände der Eltern mit Leidenschaftlichkeit zwischen den ihren.

Die beiden Alten schwiegen erst eine ganze Weile – die Mutter strich ihrem schönen Kinde sanft über das Haar – dann sagte sie mit einigem Zögern: „Gerade so, Käthel, wie wenn Du einen braven Mann nähmst, können wir Dir nicht Glück wünschen – gewiß ebenso warm – ebenso von ganzem Herzen, geliebtes Kind – aber doch nicht mit der Zuversicht, die wir fühlen würden, wenn Du Dich entschlossen hättest, nach Deinen vielen ,Nein!‘ auch einmal ,Ja‘ zu sagen: wenn Du Dich nicht eigenwillig gegen jede Form gesträubt und gewehrt hättest, in der das Glück Dir entgegengebracht worden – vielleicht gar vorbeigegangen ist – wer kann’s wissen! Sieh,“ fuhr die alte Frau fort, als Käthe etwas entgegnen wollte, „wäre es so gekommen, wie es kommen mußte, hätte der liebe Gott Dir einen einsamen Weg bestimmt, dann würden wir uns über die heitere Entschlossenheit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 887. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0887.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)