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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Finanzen aufzuhelfen, d. h. um ihn eine Zeit lang dem teuren Garnisonleben zu entrücken: hierher, wo er, sozusagen, umsonst lebte und die Kommandozulage obenein bekam. Auch hatte er freie Wohnung im Schlosse und Verpflegung dank dem Interesse der Frau Herzogin, bei welcher seine Tante Hofdame war. Und in eine solche Null, solch’ aussichtsloses Nichts, sollte sich ein schönes Mädchen verliebt haben so ohne weiteres? Eine, die jedenfalls nicht, selbst nicht in dieser kleinen Stadt, von Männeraugen unbemerkt geblieben war in ihrer jungen Schönheit!

Ach was, Heinz, das ist ja Unsinn! Höchstens hat sie dir den – – ja Donnerwetter, es war auch frech – den leisen Kuß auf die schönen blonden Haare übelgenommen bei dem gestrigen Spaziergang. – Aber eigentlich war die Sache so natürlich und eigentlich hat sie es kaum merken können. – Warum auch ging sie so weit von ihm ab, an der Grenze des Weges? Warum blieb sie mit ihren Flechten an einem Ast hängen, so daß er sie befreien mußte, wobei dann diese Unthat vorfiel? Er erinnerte sich, daß sie nachher gestern abend kein Wort mehr zu ihm gesprochen hatte, daß er nicht wie sonst vor der Hausthür ihrer väterlichen Wohnung aufgefordert wurde: „Kommen Sie mit hinein, Heinz.“ – – Und nun heute? Freilich konnte sie nicht wissen, daß er um diese Zeit hier malen würde; sie hatte nur sehen wollen, wie weit er mit den Bildern sei, zu denen er da unten in der Wohnstube ihrer Eltern eine Skizze von ihr gemacht hatte. – Dann war sie doch hereingekommen auf seine Bitte, aber erst, nachdem sie versucht hatte, fortzulaufen. – –

Ja freilich, sie war anders gewesen heute. – „Ach Himmel, und das – das wäre ja zum Schreien!“ sagte er laut. „Sie sollte es nur wissen, das liebe Tierchen, was ich in meinem Leben schon alles geliebt, begehrt und erstrebt habe, um es dann aufgeben zu müssen, so daß ich allmählich eine Art Fertigkeit im Entsagen gewonnen habe. Zuerst die Schule, als Vater gestorben war und es hieß: Kadettencorps – durch Gnade des Herzogs – Schulgeld nicht mehr zu erzwingen – –! Dann mein Malergelüste, diese brotlose Kunst, wie Mutter jammerte, als ich sie fast kniefällig bat, mich in München studieren zu lassen! Ich wollte nichts von ihr als die fünfhundert Thaler, das fürstliche Erbe Onkel Davids. – Dann die Kriegsakademie – aber wovon sollte ich leben in Berlin während dieses Kommandos?

Ach, Aenne May, du kennst die Welt nicht, du weißt nicht, wie jammervoll sie ist für einen blutarmen Lieutenant! Aber es soll mir eine Warnung sein, ich bin kein schlechter Kerl, ich will deinen Frieden nicht trüben, will dich nicht unglücklich machen! Heute abend spiele ich den liebenswürdigen Schwerenöter gegen alle Welt, du wirst dich wundern, Aenne May! Ich will schon sorgen, daß du die Achseln zuckst und wieder lachst in ein paar Tagen und sagst: ‚Dummer Junge, der Heinz!‘ – Weinen darfst du nicht über mich, das soll nicht sein! Nein – ein Schuft bin ich nicht – –“ Er fuhr unter diesen Selbstvorwürfen und Gelöbnissen aus seinem Malerkostüm in die Uniform, wusch die Hände, stülpte den Helm auf und schlug den nämlichen Weg ein wie Aenne, d. h. er ging nach dem inneren Schloßhof, ließ die Hälfte seiner bewaffneten Macht, zehn Mann stark, antreten vor der Hauptwache, gab Parole aus und meldete sich dann zum Rapport bei Sr. Excellenz dem Kammerherrn. Als er über den teppichbelegten Korridor schritt nach dem Empfangszimmer, klang Aennes Stimme aus der nur angelehnten Flügelthür des Musiksaales:

„O du purpurner Glanz der sinkenden Sonne,
Wie zauberhaft webst du um Flur und Hain;
Wie färbst du mit lodernder Rosenwonne
Das blasse Antlitz der Liebsten mein!

Halt ein! Entzieh’ deine segnenden Gluten
Der heilig erschauernden Welt nicht gleich!
Vergebens – sie sinkt in die schimmernden Fluten ...
O Sonne, o Liebe, wie kalt ohne euch!“

Ein lebhafter Applaus folgte. Heinz blieb stehen. Ein glückliches Lächeln ging über seine Züge. Er machte einen Schritt nach dem Musiksaale zu. Dann aber raffte er sich zusammen. „Unsinn, Heinz! Ruhig Blut!“ murmelte er vor sich hin und setzte seinen Weg fort.

(Fortsetzung folgt.)


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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.
Liebeszauber.
Von Max Haushofer.

Der Hunger und die Liebe haben von Anbeginn das physische Leben des Menschen beherrscht, sie waren die mächtigsten treibenden Kräfte in dem großen vieltausendjährigen Kampfe um sein Dasein und um sein Glück. Aber während das Menschengeschlecht den Hunger begriff und klaren Verstandes mit allen Mitteln einer rastlos ringenden Erfindung bekämpfte, blieb ihm die Liebe rätselhaft bis auf den heutigen Tag. Rätselhaft blieb es ihm, wie sie entstehen und zu rasender Leidenschaft anwachsen konnte, rätselhaft, wie sie mit einem Blick und Hauch Himmelsseligkeit und nagende Verzweiflung zu wecken vermochte, rätselhaft, wie sie als zündender Funke ins Herz fällt und als still strahlende Flamme den Tod überdauert.

Darum begreift man, wie seit den ältesten Zeiten diese heiße lodernde herzbewältigende Macht mit den üppigsten Gebilden der Volksphantasie umrankt werden konnte. Der plötzliche Einbruch einer so gewaltigen sinnberückenden Macht in das Menschendasein mußte als etwas Uebernatürliches erscheinen. Und ebenso begreiflich muß es auch erscheinen, daß man seit den frühesten Zeiten schon bestrebt war, Gegenliebe, wenn sie nicht vorhanden oder zweifelhaft war, durch künstliche Mittel zu erwecken oder zu festigen; oder sie wiederzugewinnen, wenn sie verloren war. Was der Mensch an phantastischem Aberglauben leisten kann, mußte ja angeregt werden durch den stärksten aller Herzenstriebe, durch einen Trieb, der nicht bloß unreifen Jünglingen und Mädchen, sondern starken Männern und lebenserfahrenen Frauen den klaren Blick und Verstand zu trüben vermag.

So zeigt uns denn die Kulturgeschichte eine lange Reihe von abergläubischen Vorstellungen und Bräuchen, die mit der Liebe im Zusammenhange stehen. Kein Volk und kein Zeitalter hielt sich frei von diesen Gebilden heißer Phantasie, die uns manchmal anmuten wie die zarteste Herzenspoesie, manchmal erschrecken wie dämonische Mächte, manchmal auch mit tiefem Ekel erfüllen, wenn wir sehen, wie Heiliges und Abscheuliches in aberwitziger Weise vermengt werden. Denn was die Menschheit an Liebeszaubern ersonnen hat, grenzt bald an unheimlichen grausamen Teufelsdienst, bald an das flehende Gebet reiner Herzensgüte. Diese Liebeszauber sind die Verirrungen im Herzensroman des Menschengeschlechts.

Bei den alten Griechen wie bei den in ihrer Kultur mit den Griechen so innig verwandten Römern spielte der Liebeszauber eine sehr bedeutsame Rolle. Ein kleiner Vogel aus der Gattung der Spechte, der Wendehals oder Drehhals (griech. ῖυγξ, lat. Iynx torquilla oder verticilla genannt), mit schillerndem Halse und eigenartigen Bewegungen des Halses und Kopfes, galt für besonders zauberkräftig. Mädchen und Frauen, die einen geliebten Mann in ihre Nähe bannen wollten, banden einen solchen Vogel an ein vierspeichiges Rad, drehten dasselbe und sprachen Zaubersprüche dabei. Der gewöhnlichste dieser Zaubersprüche lautete: „Jynx, ziehe diesen Mann zu meinem Hause herbei!" Da man aber einen solchen Vogel nicht immer zur Hand hatte und der Liebeszauber doch sehr häufig ausgeübt werden mußte, erfand man einen Ersatz dafür: einen mit Purpurwolle umsponnenen Kreisel. Der Sage nach sollen ihn thessalische Zauberinnen zuerst gebraucht haben. Solche Kreisel, die auch in Lukians Gesprächen, sowie von Horaz, Properz und Ovid erwähnt werden, waren manchmal mit Gold und Amethysten verziert, manchmal bloß von Erz.

Das waren indes keineswegs die einzigen Zaubermittel. Die Liebenden selbst oder die von ihnen um ihre Hilfe angegangenen Zauberweiber kannten noch anderes. So insbesondere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_004.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)