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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

ein wächsernes Püppchen, das den Geliebten vorstellte und unter Beschwörungen dreimal um einen Altar getragen ward. Mitunter wurden auch solche Püppchen aus Flachs oder aus Thon gefertigt – ein Gebrauch, der in Italien im vorigen Jahrhundert noch ziemlich verbreitet gewesen sein dürfte.

Gern verwendete man bei den Liebeszaubern auch irgend ein Stückchen von der Kleidung des Geliebten, im Wahne, daß solche Sachen mit seiner Persönlichkeit noch in einer gewissen Fernwirkung verbinden seien.

Hochbedeutsam erscheint der Liebeszauber in der Volksphantasie der germanischen Stämme. Die germanische Sagenwelt kennt schaffenden und zerstörenden Liebeszauber; der erste weckte die Liebe, letzterer ließ sie vergessen. Zaubermittel für den schaffenden wie für den zerstörenden Liebeszauber gab es mancherlei. Obenan aber standen die Liebestränke. Solch einen Trank reichte Chrimhild dem Sigurd, worauf er die Brunhilde vergaß. Auch Gudrun konnte ihren Sigurd nicht vergessen und Atli zum Gemahl wählen, ehe sie nicht einen magischen Trank erhalten hatte, der sie die Treue verlieren ließ. Oefter wiederholt sich die Sage, daß Walküren und elbische Weiber den Helden ihre Trinkhörner mit solchen zaubrischen Tränken reichen, auf daß sie alles vergessen und bei ihnen bleiben.

Bei dem tiefwurzelnden Sinn für Treue, der dem germanischen Volkscharakter eigen ist, konnten die germanischen Völker jede Untreue in der Liebe und Ehe nur begreiflich finden, wenn sie durch etwas Uebernatürliches, durch ein Zauberwerk begründet ward. Die Treue mußte erst künstlich in Vergessenheit gebracht werden, ehe sie gebrochen werden konnte. Dabei vermeidet auch die ältere Volksphantasie manches Abgeschmackte, ja Widerwärtige und Grausige, das späterhin in diesen Gegenstand hereinspielt.

Seine reichste poetische Darstellung findet der Liebeszauber in den Schicksalen des Helden Tristan und seiner Geliebten, der schönen Isolde. Ursprünglich ist es eine bretonische Sage, aus welcher das Liebesdrama von Tristan und Isolde in die französische, englische, skandinavische und deutsche Dichtung überging. Isolde war eine irische Königstochter, welche Tristan für seinen Oheim, den König Marke von Cornwall, warb und zu Schiff nach England führte. Durch einen Zaubertrank, den die Verkettung des Geschicks die beiden trinken läßt, erwacht in ihnen rasende Leidenschaft füreinander, so daß der edle Tristan seiner Vasallentreue vergessen muß und mit Isolde den alten König täuscht. Auch eine Trennung der Liebenden, selbst Tristans Vermählung mit einer anderen Königstochter, die ebenfalls Isolde heißt, sind nicht imstande, die unheilvolle Leidenschaft der beiden zu ertöten. Tristan kehrt zu seiner ersten Isolde zurück, wird aber bei einem Ritterabenteuer tödlich verwundet; Isolde, welche ein Mittel zu seiner Rettung in Händen hat, kommt zu spät und stirbt an Tristans Leiche. Und der Liebestrank in ihnen ist so stark, daß die Sträucher über ihrem gemeinsamen Grabe zu einem einzigen untrennbaren Busche verwachsen. Bekanntlich liegt die Sage von diesem Zaubertranke Gottfrieds von Straßburg herrlichem Gedichte und Richard Wagners machtvollem Musikdrama zu Grunde, welch letzterem die Scene entnommen ist, die das Bild auf Seite 5 darstellt und die auf Seite 20 näher geschildert ist.

Außer den Liebestränken finden wir bei den germanischen Völkern auch noch manchen Liebeszauber, der dem althellenischen verwandt ist. So jene schon erwähnten Wachspuppen. Eine solche Wachspuppe, „Atzmann“ genannt, konnte benutzt werden, um eine ferne Person zur Liebe zu zwingen oder ihr Böses anzuthun. Je nachdem hängte man den Atzmann in die Luft, ins Wasser, ans Feuer; oder man durchstach ihn mit Nadeln. Auch lautet der Spruch eines fahrenden Schülers (Grimm, Mythologie).

Mit wunderlichen Sachen
Ler ich sie denne machen
Von Wahs einen Kobolt,
Wil sie daz er ir werde holt,
Und teufez (tauch es) in den Brunnen
Und leg in an die Sunnen.

Einzelne Vorkommnisse aber, die von dem allgemeinen durch viele Jahrhunderte die Vorstellungen beherrschenden Glauben an Liebeszauber Zeugnis geben, gehören der Geschichte an; und mit ihnen wollen wir uns eingehender befassen.

Ein geschichtlich beglaubigtes Ereignis, in welches der Liebeszauber hereinspielt, betrifft den Erzherzog und nachmaligen Kaiser Matthias. Herzog Wilhelm V. von Bayern besaß eine Tochter, Magdalena, die aus Gründen der Staatskunst entweder an Kaiser Rudolf II. oder an dessen vermutlichen Nachfolger, den Erzherzog Matthias, verheiratet werden sollte. Vor der Vermählung seiner Tochter mit Matthias aber wurde Herzog Wilhelm durch vertraute Briefe gewarnt. Denn Matthias stand in einem Liebesverhältnis mit einer gewissen Susanne Wachter. Nach einer Nachricht sollte dieselbe dem Erzherzog in einer Feige einen Liebeszauber zu schlucken gegeben haben. Außerdem brannte in einem gewissen Kloster ein mit Zauberei zugerichtetes Licht, und so lange dasselbe brannte, konnte Matthias nicht von seiner Liebe zu Susanne lassen. Wenn aber der Abt jenes Klosters und die anderen in das Geheimnis eingeweihten Personen stürben, könne jenes Licht überhaupt nicht mehr ausgelöscht werden und dann bliebe der Erzherzog bis zu seinem Tode an Susanne – übrigens eine gewöhnliche, seiner nicht würdige Person – gefesselt. So lauteten die Nachrichten über Matthias, der während der Heiratsverhandlungen König von Ungarn geworden war. Dazu gesellten sich Zweifel über seine kirchliche Politik. Die Heirat kam nicht zustande. Die bayrische Prinzessin, eine edle und reine Fürstentochter, von deren Liebenswürdigkeit noch ein aus jener Zeit vorhandener Brief an ihren Vater ein rührendes Zeugnis ablegt[1], sollte die Krone des Reiches nicht tragen. Matthias heiratete erst nach Rudolfs II. Tode, als er selber Oberhaupt des Deutschen Reiches geworden war, eine österreichische Erzherzogin, mit welcher er dann ein recht glückliches Familienleben geführt haben soll. Magdalena starb, nachdem sie kaum des Lebens Mitte erreicht hatte, als Pfalzgräfin von Neuburg, im Jahre 1628.

Der Hexenglaube, jener unselige Wahn, welcher Jahrhunderte hindurch das Gemütsleben der Kulturwelt belastete und unzählige von unschuldigen Opfern zu Kerkernot, Folter und qualvollem Tode brachte, ließ erklärlicherweise auch die Vorstellungen von Liebeszaubern aufs üppigste erblühen. Aber diese Vorstellungen richteten sich meist einseitig nach einer dunklen unheimlichen Seite hin: nach der Idee der Teufelsbuhlschaft, die in zahllosen Hexenprozessen eine so wichtige Rolle spielt. Das sei hier nur gestreift. Wie aber auch rein menschliche Liebesleidenschaft mit dem finsteren Aberglauben, den man in alle Schicksale und Zustände seine schwarzen Fäden hereinspinnen ließ, verwoben ward, zeigen noch ein paar andere Fälle. So tiefgewurzelt war der Aberglaube, daß man sich jedes Ereignis, das nicht ganz klar und selbstverständlich schien, durch Zauberei erklärte und daß auch die scharfsichtigsten Menschen den nüchternen Verstand völlig verloren, wenn sie nur von Zauberei hörten.

Unter der Herrschaft des glänzendsten Despoten Frankreichs, Ludwigs XIV., lebte zu Paris eine Frau, Catharine Monvoisin, gewöhnlich nur la Voisin genannt – eine der berüchtigtsten Schwarzkünstlerinnen, welche die Kulturgeschichte kennt. Zu dieser Voisin kam, was in Paris abergläubisch und verliebt zugleich war. Sie betrieb die Hexerei in großartigem Maßstabe, hatte eine glänzende Klientel und verdiente ungeheure Summen. Wahrsagerei war das harmloseste, was sie trieb; viel schlimmere Künste enthüllte der Prozeß, der ihr gemacht ward, nachdem sie jahrelang die scheußlichsten Greuel und Giftmorde verübt hatte. War eine Frau in Sorge, daß ihr Geliebter in seiner Leidenschaft erkalte, so wandte sie sich an die Voisin. Diese war, wenigstens in der ersten Zeit ihrer Thätigkeit, klug genug, sich nicht selber mit Hexerei zu beschäftigen, sondern brachte ihre Kunden nur mit anderen Schwarzkünstlern zusammen, die dann den eigentlichen Zauber vollbrachten. Ein solcher Schwarzkünstler war Lesage, dessen Zaubermittel in einer Wachspuppe bestand, welche den Geliebten der Klientin vorstellen sollte und ins Feuer geworfen ward, unter Beschwörungsformeln, die der Schwarzkünstler dazu sprach.

Dieses entsetzliche Weib ward im Jahre 1680 vor einen besonderen Gerichtshof, die „chambre ardente“ („glühende Kammer“) gebracht. Der Folter unterworfen, gestand die Voisin eine Unzahl von Greuelthaten und ward am 20. Februar 1680 lebendig verbrannt. Man entledigte sich der Verbrecherin so rasch, um ihren Mund für immer zu verschließen. Denn sie wußte Dinge, die dem allmächtigen Ludwig, wenn sie ans Tageslicht

  1. Mitgeteilt in Stieve, Wittelsbacher Briefe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_006.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)