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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

feindliche Kavallerie mehrmals vorwärts und zurück an ihm vorbeisprengte, glücklicherweise ohne ihn zu bemerken. Niemals aber hat er seinen Ehrennamen „Marschall Vorwärts“ sich in so glänzender Weise verdient wie in diesen Tagen; denn der Rückzug verwandelte sich aufs einmal in einen Angriffsmarsch, der zu einem glänzenden Siege führte. Napoleon hielt Blücher für geschlagen und ließ ihn, während er sich selbst gegen die Engländer wendete, durch den Marschall Grouchy nur schwach verfolgen. Doch Blücher hatte bei Wavre alle seine Truppen wieder gesammelt und im Einverständnis mit dem Schlachtendenker Gneisenau beschlossen, den Engländern, die ihn im Stich gelassen hatten, jetzt seinerseits zu Hilfe zu kommen. Das Bild von Rudolf Eichstädt führt uns diesen weltgeschichtlichen Marsch vor. Der alte Blücher, die Pfeife in der Hand, die ihm nur bei großen Krisen auszugehen pflegte, hat sein Pferd gewandt, um die marschierenden Truppen zur Eile anzuspornen – liegt doch das Geschick Europas in der Wagschale; und wie sollten die Truppen nicht dem befehlenden Wort eines Generals folgen, der sie so oft zum Siege geführt hat und jetzt auch die letzte Niederlage in einen Sieg zu verwandeln sucht! Mit Begeisterung, die Tschakos schwingend, jubeln sie ihm zu – auch die Verwundeten, die sich zahlreich im Zuge befinden. Und der Kriegs- und Siegsgenosse General Gneisenau dreht sich im Sattel um, voll freudigen Vertrauens auf das Gelingen des kühnen Plans – er weiß, daß, wenn die Soldaten ihren Blücher sehen, sie von Kampfesmut und Siegeshoffnung erfüllt werden! Und sein Vertrauen hatte ihn nicht getäuscht. Bald donnerten die preußischen Kanonen auf der Höhe von Frischermont zum Schreck der Franzosen. Noch einmal suchte Napoleon mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte die englischen Linien zu sprengen – vergeblich. So gelichtet dieselben waren, die preußische Heeresmacht war an ihre Seite gerückt und im Rücken der Franzosen das Dorf Planchenois von den Preußen erstürmt worden. In wilder Flucht suchten die Franzosen sich zu retten – es war die größte Niederlage, die der siegreiche Cäsar erlebt hatte. Der Marsch der Preußen von Ligny nach Belle-Alliance war eine ihrer größten und entscheidendsten Thaten im deutschen Befreiungskriege. †     

Auf ewig vereint. (Zu dem Bilde S. 5) Düster ragen Türme und Mauern der alten Burg Kareol über die Meerflut empor, und düster ist das Geschick, das sich auf dem Burghof vollzieht. Vom Schwerte Melots am Hofe König Markes tödlich verwundet, hat Held Tristan mit Hilfe seines treuen Kurwenal auf der Burg seiner Väter Zuflucht gefunden, und Isolde ist auf die Kunde davon übers Meer geeilt, um ihn zu pflegen und mit ihrer Heilkunst zu retten. Aber sie kam zu spät – der geliebte Held ist bereits dem Tode verfallen, und nachdem er die Wiedergewonnene noch einmal umarmt hat, sinkt er sterbend zurück. Zu spät kommt auch König Marke. Er ist der flüchtigen Isolde auf schnellem Schiffe gefolgt, nicht um sie zurückzuholen, sondern um ihren Bund mit Tristan zu segnen. Das Geheimnis des Liebestranks, dessen dämonischer Zaubermacht die beiden herrlichen Menschen erlagen, ist ihm inzwischen kund geworden; nun will er die tragische Schicksalsverkettung zu ihrem Heile lösen. Der Tod, dessen finsterer Schatten über die Burg hinstreift, ist jedoch mächtiger als sein Wille. Isolde erliegt dem Schmerz über den Verlust des Geliebten, sie stirbt mit Tristan, und beide finden im Tode die ersehnte Vereinigung und die Sühne für ihre Schuld. So hat Richard Wagner im letzten Akt seines Musikdramas das Ende der gewaltigen Herzenstragödie „Tristan und Isolde“ geschildert, und unser stimmungsvolles Bild stellt in allegorischer Verklärung den Höhepunkt dieses tragischen Vorgangs dar, der in dem Aufsatz „Liebeszauber“, siehe Seite 6, weitere Erklärung findet.

Ein Stelldichein.
Nach dem Gemälde von Marie Laux.


Dürer malt seine Frau. (Zu dem Bilde S. 17.) Eine der erfreulichen „Rettungen“, welche die neuere Geschichtsforschung allerhand „Verkannten“ hat zu Teil werden lassen, ist der vielverleumdeten Frau des edlen Meisters Albrecht Dürer zu gute gekommen. Die Legende hat sie zu einer zweiten Xanthippe gemacht, die ihrem hochstrebenden genialen Mann das Leben unsäglich verbittert habe. Den Gründen dafür fehlt jedoch die beweisende Kraft und vieles spricht dafür, daß sie dem Maler eine treuliebende Lebensgefährtin und vortreffliche Hausfrau gewesen ist. Und in jener Zeit, da der junge Dürer, von der „Wanderschaft“ heimgekehrt, sich in seiner Vaterstadt Nürnberg als Meister niederließ und in der anmutigen Jungfrau Agnes Frey die Tochter eines ansehnlichen und vermögenden Handwerksmeisters heiratete, hat er vollends an deren Seite Glücks die Fülle genossen. Als junger Ehemann schuf er den reizenden Kupferstich „Der Spaziergang“, auf dem er sich selbst in zärtlichem Gespräch mit seiner Eheliebsten lustwandelnd dargestellt haben soll. „Der auf der Landschaft ruhende Sonnenschein,“ sagt ein neuerer Biograph Albrecht Dürers von diesem Bilde, „scheint nur der Abglanz ihres eigenen Glückes zu sein.“ Von diesem Sonnenglanz einen Widerschein finden wir in W. v. Lindenschmits Bild, das in so liebenswürdiger Auffassung den Meister Dürer im Begriff zeigt, sein schmuckes Weibchen zu malen. Ihr selbst ist ein Attribut in die Hand gegeben, das auf ihren häuslichen Fleiß hinweist, während das schelmische Lächeln in ihren Zügen auf jenen harmlosen Frohsinn deutet, welcher der beste Lohn für ein treues Wirken in der Enge der Häuslichkeit ist. P.     

Ein festlicher Tag. (Zu unserer Kunstbeilage.) Der große Augenblick ist da: die junge Frau Herzogin hat sich auf dem bereit gestellten Lehnstuhl im Festsaal der höheren Töchterschule, deren „Protektorin“ sie ist, niedergelassen, um die Ansprache aus Kindermund entgegenzunehmen. Die achtjährige Lili, die geweckteste und beherzteste der „Kleinen“, steht vor ihr, das prachtvolle Rosenbouquet in Händen. Hundertmal hat sie der Klasse beteuert, daß sie sich nicht fürchte, auch kein kleines bißchen! ... Aber nun, wo diese gar nicht fürchterliche Herzogin in Person dasitzt und alle die vielen Damen und Herren ihre Blicke auf Lili richten: der Herr vom Hofe daneben mit dem glänzenden Stern auf der Brust und da hinten die Lehrer, der Herr Direktor mit dem strengen Gesicht und der Klassenlehrer, der schon anfängt, das kleine Fräulein bedenklich anzusehen, die alle sind schuld, daß Lilis flinkes Züngelchen zu stocken beginnt. Die Klasse fühlt mit ihr: besorgt und teilnahmsvoll richten sich die Blicke der Kleinen nach der Schwerbedrängten. Die hintere Reihe der angehenden Backfische steht der Kalamität schon kühler gegenüber mit dem spöttischen Ueberlegenheitslächeln ihres reizenden Alters. Sie ahnen nicht, die selbstbewußten „Großen“, wie herrlich sich die für Humor empfängliche Dame über diese Ansprache amüsiert und wie gut ihr die unschuldig besorgten Gesichtchen ringsum gefallen, die in ihrem Kamerädchen die Hauptperson der ganzen Festfeier sehen! Bn.     


☛      Hierzu Kunstbeilage I: „Ein festlicher Tag.“ Von W. Gause.

Inhalt: Trotzige Herzen. Roman von W. Heimburg. S. 1. – Susel. Bild. S. 1. – Tragödien und Komödien des Aberglaubens. Liebeszauber. Von Max Haushofer. S. 4. – Auf ewig vereint. Bild. S. 5. – Die Hansebrüder. Roman von Ernst Muellenbach (Ernst Lenbach). S. 8. – Die ersten Schlittschuhe. Bild. S. 9. – Blücher auf dem Marsch nach Belle-Alliance. Bild. S. 12 und 13. – Die Electricität im Hause. Von Franz Bendt. S. 14. Mit Abbildungen S. 14, 15, 16 und 18. – Dürer malt seine Frau. Bild. S. 17. – New Yorks Riesenhäuser. S. 18. Mit Abbildungen S. 18 und 19. – Blätter und Blüten: Zwischen Ligny und Belle-Alliance. S. 19. (Zu dem Bilde S. 12 und 13.) – Auf ewig vereint. S. 20. (Zu dem Bilde S. 5.) – Dürer malt seine Frau. S. 20. (Zu dem Bilde S. 17.) – Ein festlicher Tag. S. 20. (Zu unserer Kunstbeilage.) – Ein Stelldichein. Bild. S. 20.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_020.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)