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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Und doch giebt es auch da ein Moment, das uns auf die richtige Spur bringen kann. Vor einer beträchtlichen Reihe von Jahren – die Radfahrersache stand damals noch in den Kinderschuhen – sagte mir ein bedächtiger alter Herr, den ich aber als guten Beobachter kannte. „Passen Sie auf, das Velociped wird sich die Welt erobern!“ „Warum?“ „Mir ist da etwas Eigentümliches aufgefallen. Allen jungen Leuten, die mir von ihrer Radfahrerei erzählen, leuchten die Augen, während sie das thun. Eine Sache, die ihre Anhänger so beglückt, die muß ihren Weg machen.“

Der alte Herr hat recht behalten. Das Fahrrad hat sich die Welt erobert. Die Zahl seiner Anhänger steigt von Tag zu Tag, eine großartige Industrie hat sich entwickelt. In Wien allein giebt es trotz polizeilicher Einschränkung und Behinderung – die ganze innere Stadt ist dem Fahrrad verboten – schon gegen zweihundertundfünfzig Radfahrervereine. Seither habe ich mich unzähligemal der Beobachtung des bedächtigen alten Herrn der „leuchtenden Augen“ erinnert. Ich habe sie gesehen beim Radfahrer, der durch das Land fliegt, und bei dem, der als Sieger auf der Bahn über das Zielband fährt, ich habe sie aber auch gesehen bei dem Fechter, dem es glückte, seinen Partner abzuführen, und beim Bergsteiger, der einen trotzigen Gipfel bezwungen und der dann von dessen stolzer Höhe den Blick hinaussandte in die wundervolle, prangende Gotteswelt, und ich habe sie leuchten sehen bei allen im Gefühle froher Befriedigung, die sich der aus eigener Kraft vollbrachten Leistung freuten! Und doch sind es gerade die leuchtenden Augen, die uns hier den Weg weisen können. Man beobachte nur weiter! So hell und so strahlend blitzen die Augen doch nirgends wieder wie auf dem Eise. Darf man nach den leuchtenden Augen schätzen – und wir meinen, man darf es – dann giebt es auf der Welt wohl keinen schöneren Sport als den Wintersport. Man sehe sich doch eine Gesellschaft beim Schlittschuhlaufen auf dem Eise an, Männlein und Weiblein – wie da die Augen leuchten! Das sind frohe, glückliche und gesunde Menschen, es sind auch schöne Menschen, denn Frohsinn und Gesundheit sind an sich schon mehr als halbe Schönheit. Die Gesetze der Schwere scheinen aufgehoben, ein rhythtmisches Schweben, Wiegen, Reigen, eine Anmut der Bewegung, wie sie die schwerstbezahlte Ballerina auf der Bühne im Leben nicht zustande bringen wird! Der Sieg über die Materie ist vollständig und der Triumph der eigenen Kraft und Geschicklichkeit größer als sonst bei einer Uebung. Man hat nicht nur die sonst auch vorhandenen technischen Schwierigkeiten überwunden, auch die elementare Macht des grimmen Winters wird besiegt. Kalt ist’s, bitter kalt, die Menschheit friert bis in die Knochen – nicht wahr ist’s, Frühling ist es! Dem Eisläufer ist es wohl und warm, er verlacht den grimmigen Winter.

Das Hockeyspielen auf dem Eise.

Die leuchtenden Augen verkünden also doch die Wahrheit: der schönste Sport ist der Wintersport. Denn nicht nur beim Schlittschuhlauf, sondern bei allen körperlichen Uebungen und Spielen in Eis und Schnee zeigen sich dieselben kennzeichnenden Erscheinungen, die wir oben angedeutet haben. Daß das deutsche Volk eine besondere Vorliebe für die winterlichen Unterhaltungen im Freien hegt, ist nach alledem auch leicht erklärlich. Der Winter liefert die Zurüstungen, Schnee und Eis, reichlich und kostenfrei. Arm und reich brauchen nur zuzulangen, um sich zu vergnügen. Und daß das deutsche Volk den andern auch da mit gutem Beispiel vorangeht, ist eigentlich nur selbstverständlich; die Franzosen haben keinen ordentlichen Winter und die Engländer erst recht nicht.

Weil nun der Wintersport ein so schöner und dabei so wenig kostspieliger ist, konnte er ein so wahrhaft volkstümlicher werden. Es giebt winterliche Spiele, die in den betreffenden Gegenden seit Jahrhunderten im Schwang sind, und die auch dem Forscher ein ethnographisches Interesse bieten wie alle sonstigen volkstümlichen Sitten und Gebräuche. Bemerkenswert dabei ist, daß gerade die volkstümlichsten der Uebungen, die Bauernspiele, eine sehr tüchtige und korrekte sportliche Grundlage haben. Sie könnten ohne weiteres auch von Sportsleuten geübt werden, und es will uns gar nicht unwahrscheinlich bedünken, daß so ein Bauernspiel eines schönen Tages plötzlich zur Mode und dann auch von den städtischen Gesellschaftskreisen mit Passion gepflegt werden wird. Zum Teil ist das sogar schon der Fall.

Das „Eisschießen“, das wir bereits früher (Jahrgang 1892, Nr. 6 [WS 1]) geschildert haben und von dem uns der Künstler auf S. 44 ein anschauliches Bildchen liefert, wird seit unvordenklichen Zeiten schon namentlich in den österreichischen Alpenländern mit großem Eifer betrieben. Vorbedingung ist eine große, glatte Eisfläche, und da ein Fluß selten so glatt friert wie der Spiegel eines Sees, so ist es nur natürlich, daß das Spiel vorwiegend in den Gegenden an den Seen heimisch ist.

Der deutsche Bauer läßt sich mitunter von der Freude am Spiel zu weit hinreißen. Es werden da oft beim sonntäglichen Kegelschieben Summen in Umsatz gebracht, gewonnen und verloren über welche der sparsame städtische Kleinbürger die Hände überm Kopfe zusammenschlagen würde, wenn er zufällig dabei sein sollte, und die aufs Spiel zu setzen er sich gewiß nicht getrauen würde. So geht es auch beim „Eisschießen“ oft um hohe Einsätze, und wir heben das hier deshalb besonders hervor, weil

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bezogen auf das Wochenheft; bei Wikisource ist es das „Halb(monats)heft“ Nr. 3
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_045.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2019)