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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

bekannten Stimme seinen Namen nennen. Er blickte auf und sah Bardolf vor sich stehen.

Wie ein fröhlicher Wanderer sah der Redakteur nicht aus. Sein Hut war zerknittert und regennaß, sein Sommerüberzieher – Hans Ritter kannte ihn noch von den Zeiten des Hansebundes her – abgetragen und verschossen. Das Gesicht war eingefallen, und es ging ein Duft von ihm aus nach schlechten, im Regen gerauchten Cigarre und stärkeren Sachen.

„Das ist ein schlechtes Reisewetter,“ sagte er mit einem gezwungenen Lachen, „zumal wenn man mit dem Bummelzug fährt. Ich bin vor einer Stunde angekommen und habe hier auf dich gewartet.“

„Vor einer Stunde!“ wiederholte Hans Ritter betroffen. „Aber Mensch, warum hast du dich denn nicht wenigstens in die Wirtschaft gesetzt?“

„Hm,“ machte Bardolf verlegen, „ich mochte da nicht gerne mit Mohr zusammentreffen – weißt du, ich wollte etwas mit dir besprechen, und –“

„Mohr ißt nicht mehr mit mir zusammen,“ antwortete Ritter. „Du erinnerst dich wohl, daß er im Mai verzogen ist, Frau Klämmerlein hat es euch doch geschrieben? Seitdem speist er auch anderswo, mit ein paar älteren Kollegen von sich. Er ist ja neuerdings bedeutend gestiegen. Also komm nur mit und iß vor allen Dingen etwas, du siehst ja zum Erbarmen aus! Es ist doch nichts mit – mit deiner Frau und dem Kinde vorgefallen?“

Sie waren unterdes im Speisehause angelangt. Der Saal war jetzt, während der Studentenferien, fast ganz leer. Sie setzten sich an ein Ecktischchen. Der Kellner brachte Bier, Bardolf leerte sein Glas auf einen Zug.

„Ach,“ sagte er aufseufzend, „das thut gut! Scheußlicher Durst! – Nein, vorgefallen ist eigentlich nichts. Es ist gottlob jetzt alles wieder wohl. Aber es war eine schwere Zeit. Na, ich muß es dir denn wohl erzählen. Laß nur so lange noch den Kerl mit der Suppe wegbleiben.“

Und nun erzählte er mit gedämpfter Stimme von Emiliens Leiden. Im Frühjahr hatte es angefangen – „nur so eine Erkältung,“ meinte sie. Dann war es immer schlimmer geworden. Der Arzt hatte darauf bestanden, daß sie wenigstens auf ein paar Monate aus der Stadt müsse, in einen ländlichen Kurort. Von dort her hatte sie ihre Briefe für die Großmutter geschrieben und durch Bardolf aus der Stadt abschicken lassen. Sie wollte es so, damit die alte Frau sich nicht unnütz beunruhigte.

Nun verstand Haus Ritter auch die Stellen, die ihm in diesen Briefen aufgefallen waren.

„Ja, das kannst du mir glauben,“ sagte Bardolf, „nie zuvor habe ich diesen Engel so kennengelernt wie während ihres Leidens, und ich glaubte doch, ihr liebes, tapferes Herz zu kennen! Nun, wie gesagt, die Kur hat geholfen, der Arzt sagt es ganz bestimmt, natürlich in acht nehmen muß sie sich noch immer. Aber nun kommt das gemeinste! Du kannst dir denken, daß das Geld gekostet hat, sie hatte ja auch das Kind und das Mädchen mit, ich habe derweil als Junggeselle gelebt. Sieh mal, Ritter, ich will mich nicht besser machen als ich bin, aber ich habe mich eingeschränkt, soviel ich konnte, doch was hilft das alles? Es ist so manches unbezahlt geblieben, weil sie doch immer voran gehen muß, und nun kommen die Leute und mahnen – ich weiß mir keinen Rat mehr! Ich habe sie darüber zu täuschen gesucht, solange sie fort war, aber jetzt geht das ja nicht mehr, sie nimmt doch selbst die Mahnbriefe an, während ich auf meinem Bureau bin, und muß sich mit den Leuten herumärgern, wie kann sie da gesund bleiben? Wir haben vertröstet und uns abgemüht, aber wir wissen nicht, woher wir’s nehmen sollen und nun …“ er stockte eine Weile und flüsterte dann mit gesenktem Blick. „seit vorgestern kleben die blauen Siegel an ihrem Klavier … Sieh ’mal, Ritter, ich will dir’s gestehen, damals, als ich mich verlobte, habe ich einen Augenblick gedacht, dich um die Aussteuer anzupumpen. Aber ich sagte mir, das wäre lumpig. Für unser Glück durfte ich dich nicht berauben, und sie hätte es auch nicht gelitten, wir hätten eben warten müssen, wer weiß wie lange, wenn die Großmutter nicht auf deine Verwendung mit ihrem Spargroschen herausgerückt wäre. Den durfte wir nehmen, Emilie hätte es ja doch geerbt. Aber nun – willst du mir aus dem Elend helfen? – Es kommt dir ungelegen, das sehe ich, Emilie wollte es auch nicht zugeben, aber ich weiß sonst keinen Menschen. Wenn du nicht willst oder –“

„Das ist es nicht,“ sagte Hans Ritter. Er sah sehr blaß aus, und seine Stimme klang, wie es ihm in großer Erregung eigen war, heiser. „Was ich kann, das thue ich. Dazu bedarf es ja gar keiner Rede! Aber weißt du, ich … ich habe in diesem Jahre etwas sehr aushausig gelebt … und … wie viel macht es denn alles in allem? Ich meine, damit alles gedeckt wird?“

Bardolf zögerte einige Augenblicke. „Du wirst erschrecken“ sagte er, „aber … ich habe gestern mit Emilie einen genauen Ueberschlag gemacht … es sind an die neunhundert Mark!“

Ritter stieß einen großen Seufzer der Erleichterung aus. „Das kann ich noch,“ sagte er. „Wir wollen es abrunden auf tausend. Aber ich kann sie dir erst morgen mitgeben. – Du bleibst doch hier? – Aber um Gottes willen, rege dich doch nicht so auf!“

Die Mahnung war begründet, denn der Kellner starrte bereits von fern mit offenem Munde her. Er hatte wohl noch nicht oft einen starken bärtigen Mann in einem Atem lachen und schluchzen gesehen.

Aber das Kindergemüt dieses Mannes war wie ein Gummiball. Sobald es sich von der pressenden Last befreit fühlte, dehnte es sich wieder rund und fröhlich empor. Auf dem Wege zur Post, wohin sie sogleich gingen, um an Frau Emilie zu telegraphieren, erörterte er noch sehr ernsthaft die Bedingungen und war untröstlich, daß sich Ritter weigerte, vier Prozent Zinsen zu nehmen, wenigstens in die Ausstellung eines Schuldscheins mußte Ritter zuletzt einwilligen. Aus dem Rückwege erzählte er bereits lustige Geschichten und schilderte die Verhältnisse seiner Redaktionsstellung jetzt ganz offen, mit einem gewissen Galgenhumor. „Uebrigens gedenke ich in einem halben Jahre von der Gesellschaft los zu sein,“ sagte er. „Ich trete gewissermaßen wieder in den Schuldienst zurück, es hat sich mir da eine glänzende Gelegenheit geboten. Ich habe in dem Kurort einen Hauptmann außer Dienst wiedergetroffen – Kriegskamerad von Anno Siebzig, weißt du, der spätestens zu Ostern gerade in unserer Stadt einen großartigen Auftakt zur wissenschaftlichen Vorbildung für den Offiziersdienst eröffnen will. Im Prinzip bin ich schon einig mit ihm. Das Fixum wird allein so viel betragen wie mein jetziges Gehalt, und dann bietet sich da natürlich noch eine Menge Gelegenheit zu Privatstunden!“

Nachher, bei Frau Klämmerlein, war er unerschöpflich in heiteren Geschichten von seiner Kleinen, die alte Dame segnete den Zufall, der den Gatten ihrer Enkelin so unvermutet in journalistischen Geschäften – wie er sagte – hierher geführt hatte. Am Abend freundete er sich mit dem jungen Arzte an, der jetzt das von Mohr verlassene „Lübeck“ beherrschte, und es wurde ein kleines Hausfest, in welchem noch einmal etwas von dem Geiste der alten „Hansetage“ aufzuleben schien. Denn er war einer von jenen Kindermenschen, die, so lange es ihnen halbwegs gut geht, auf alle guten Leute unbezwinglich heiter anregend wirken.

Doktor Hans Mohr gehörte nicht mehr zu diesen guten Leuten. Er hatte sich am Abend nach dem Häuschen der Frau Klämmerlein aufgemacht, um doch ehrenhalber wieder einmal vorzusprechen, auch wollte er Hans Ritter wegen eines philosophischen Werkes um Rat angehen, welches er zu besprechen übernommen hatte, ohne es zu verstehen. Da hörte er Bardolfs Stimme und sah den hohen Schatten hinter der weißen Gardine. Leise wandte er sich um und verließ den Garten wieder. Denn Fräulein Beate weilte seit kurzem wieder in der Universitätsstadt, und er kannte sie jetzt genau genug, um zu wissen, daß sie Emilies Gatten ebenso haßte wie Emilie selbst und den Umgang mit ihm nicht als empfehlend ansehen würde. Und dann schämte er sich doch auch ein wenig.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_051.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)