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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

ein paar kurze Worte von der Verstorbenen und von der unglücklichen Schwester, und ob diese in ihrem Zustand wohl die Nachricht zu begreifen vermöge. Und wieder ward es still. Endlich sagte Hedwig. „Gottlob – Heinz, daß die Mutter deine Verlobung noch erfahren hat, es war der letzte Lichtstrahl für sie!“

Er nickte.

„Wird Toni zum Begräbnis kommen, Heinz?“

„Ich weiß nicht. – ich hoffe es nicht.“

„Du hoffst es nicht?“

„Ich meine, ich glaube es nicht, sie ist noch im Dienst und –“

„Aber zum Begräbnis wird Durchlaucht sie doch ohne weiteres beurlauben?“

„Ja, aber ob sie noch rechtzeitig hier sein kann –“

„Hast du ihr denn nicht telegraphiert?“

„Nein!“

„Aber warum denn nicht?“

Er blieb die Antwort schuldig, und dann kam die Totenfrau.

Er konnte seine Braut hier nicht sehen, er wollte nicht – nur wenigstens hier nicht Komödie spielen, im Angesicht des Todes! Toni hatte übrigens gar nicht daran gedacht, zu kommen. Sie schickte einen Kranz aus Palmen, weißen Rosen und Frauenhaar, vermeldete, daß die Herzogin warmen Anteil nehme und daß Tante Gruber ihr erzählt habe, wie liebenswürdig und gut die Verstorbene gewesen und wie schade es sei, daß sie dieselbe nicht noch kennengelernt habe. Dann ein Gruß an die Schwester.

Heinz hatte gedacht, der Brief würde etwas darüber enthalten, daß Hedwig dereinst eine Zufluchtsstätte in seinem Hause finden sollte, er hätte so gern dem armen Mädel diesen Hoffnungsstrahl für die Zukunft bei der Rückkehr vom Kirchhofe in das öde verlassene Zimmer gebracht – aber nichts davon! Und das als Antwort auf den Brief, in dem er Hedwigs Lage geschildert – – –“

„Was meinst du, Heinz, fragte am Abend die Schwester, „kann ich es wagen, die Wohnung zu behalten bei meinen unsicheren Einnahmen? Wenn ich gesund bleibe und alle meine Schülerinnen behalte, so dürfte es vielleicht langen, um die lieben Räume nicht verlassen zu müssen. – Es würde mir so schrecklich schwer werden, hier hinauszugehen, Heinz,“ fügte sie wie entschuldigend hinzu und sah ihn an mit den vom Weinen rotgeränderten bittenden Augen, als erwartete sie eine Aufmunterung von ihm.

„Freilich, Hede,“ antwortete er, „auf alle Fälle und selbst, wenn dir eine Schülerin absagt oder Krankheit dich hindert! Aengstige dich nur nicht, ich werde schon sorgen – auch für Ottilie – plage dich darum nicht –“

„Ach, Heinz, wenn ich dich nicht hätte!“ Sie ging hinüber zu ihm, legte den Kopf an seine Wange und begann wieder leise zu schluchzen.

„Kind, du nimmst es zu schwer. Tausend Mädel haben noch weniger als du, nicht einmal ein Talent, wie es dir so nett weiter hilft – denk’ mal, wenn du nun nicht maltest, wenn du, wie Ottilie, unter fremden – –“

„Wir sind aber auch gar nicht erzogen, um dergleichen schwierige Lage so mir nichts dir nichts zu überwinden!“ stieß sie hervor. „So herausgerissen aus dem glänzenden Leben, bei Papas Tode dann nichts haben, gar nichts! Ja freilich – ein Justizrat mit glänzender Praxis kann leben wie ein Fürst, und wenn er dann fort muß und hat nichts gespart – –“

„Hedwig, weine nicht! Wir haben kein Recht, dem Toten Vorwürfe zu machen, und, nebenbei, es hülfe ja auch nichts.“

„Ich will ja nichts mehr sagen, Heinz, nur leid thut es mir, daß Mama nicht noch dein Glück erleben konnte. – – Hattet ihr schon von der Hochzeit gesprochen?“

„Ja!“ antwortete er kurz.

„Und wann sollte – –?“

„Weihnachten.“

„Auch jetzt noch?“

„Ja – ja – ich glaube, Toni will es auf jeden Fall.“

„Ich finde es auch richtig, Heinz, und Mama würde es ebenfalls wünschen, daß die Trauer um sie nicht zwischen euch trete. Ihr lebt zudem recht still für euch in dem kleinen Breitenfels.“

„Wir werden zunächst reisen, nach Tonis Wunsch.“

„Ach!“ Sie sah ihn an mit stiller Bewunderung. „Wie herrlich!“ – Welch ein Glück hatte der Heinz! O, wer auch einmal an eine Reise hätte denken dürfen gar eine Reise mit dem einzigen, den man liebt!

„Wohl nach Italien?“ fragte sie leise.

„Ja, Kind, ich glaube nach Neapel.“

„O, Heinz, wie fallen Geschwisterlose doch verschieden! Ottilie – und du!“ flüsterte sie. Sie weinte von neuem.

Er hatte nicht verstanden. „Und dann – ja dann, dann will ich arbeiten, um zu vergessen, daß ich –“

Er hielt inne. Wozu sollte er der armen gequälten Schwester anvertrauen daß es ihn schrecklicher denn Bettelbrot zu essen dünkte, von dem Gelde seiner Frau zu leben, Hede würde ihn nicht einmal verstehen. „Ich meine arbeiten, um die Kriegsakademie zu erreichen, das ist alles, was ich wünsche!“


Heinz bezahlte am andern Morgen bar die Kosten des Begräbnisses, kleine Posten, die noch ausstanden, die erste Rate der Pension in der Irrenanstalt und übergab seiner vor Dankbarkeit ganz gerührten Schwester außerdem einen Hundertmarkschein für die nächste Vierteljahrsmiete. Angesichts der ganz leeren Kasse seiner alten Mama hatte er an einen Geldverleiher seiner Garnison geschrieben und umgehend die geforderte Summe erhalten, rückzahlbar nach seiner Verheiratung. Er konnte doch schließlich der alten Frau kein Armenbegräbnis zu teil werden, kannte seine Schwester nicht dem Nichts gegenüber lassen, er mußte borgen, es gab keinen Ausweg!

Dann traten sie noch einmal an das Grab der Verstorbenen und drückten sich feuchten Auges die Hand, und dann stand das arme Mädel allein auf dem Perron und sah dem Schnellzuge nach, der ihren Heinz entführte – dem Glück entgegen, wie sie meinte. Eine Unmasse Grüße und ein winziges von ihr gemaltes Täßchen mit dem Kerkowschen Wappen hatte sie der unbekannten Schwägerin durch ihn gesandt.

Es war dunkel, als Heinz auf der Station ankam, von der aus er zu Wagen nach Breitenfels fahren mußte. Ein paar Schneeflocken taumelten in der Luft und schneidend kalt wehte der Wind von den Bergen herüber. Eine wunderliche Stimmung überkam ihn heute abend, als er nach dem Platz ging, wo der Wagen ihn erwartete. Er dachte beständig an ein rosiges Antlitz unter dichtem blonden Haar, das ihm lieb und vertraut entgegen lächeln würde bei der Heimkehr von dieser traurigen Reise, zu ihm sagen würde: ‚Heinz, mein armer Heinz!‘ – Nun hatte sich dieser Mund schon gewöhnt, „Hermann“ zu sagen, hatte das Küssen gelernt von eines anderen Mannes Lippen und seine Besitzerin hatte ihm kurz und bündig mitgeteilt, daß sie besagten Hermann schon lange im Herzen trage, daß mithin ihr ganzes holdes Wesen, die Thränen, die sie geweint, ihr Lächeln – nur Lüge und Verstellung gewesen waren, von A bis Z. Er konnte sich also beruhigen ihretwegen! Nun ja, oder es that ihm weh, weil er das reizende frische Geschöpf schier närrisch lieb gehabt – gehabt, natürlich! Er sagte das letzte halblaut vor sich hin, indem er mechanisch nach dem Gefährt ausspähte. Dort stand zwar ein solches, aber es war ein Hofwagen und er hatte doch einen simplen Einspänner bestellt bei dem einzigen Wagenverleiher in Breitenfels – ein solcher war nicht da. Was in aller Welt mochte nur passiert sein?

Da kam der Diener, der am Schlag gewartet, ihm entgegen und nahm ihm respektvoll grüßend die Handtasche ab. Er ließ es verdutzt geschehen – sollte Toni ihm entgegengefahren sein?

„Ist der Wagen für mich?“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

„Ist – ist er leer – ich meine, ist jemand gekommen?“

„Frau Baronin von Gruber.“

Er war mit ein paar großen Sprüngen an dem Schlag, den er hastig öffnete. „Du, Tante?“ rief er hinein. „Ja – was hat das zu bedeuten?“

„Steig nur ein, Heinz – eine Unterredung unter vier Augen, nichts weiter. Guten Abend, mein lieber Junge! Ich habe deiner viel gedacht, armes Kerlchen – gottlob, daß du das schwerste hinter dir hast!“

Der Bediente schloß die Thür des Coupées, sprang auf den Bock und der Wagen setzte sich in Bewegung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_055.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2018)