Seite:Die Gartenlaube (1897) 058.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Na, Tante, dann schieß’ los,“ sagte er mit einem Anflug seines alten Humors, „was giebt’s?“

„Du wirst dich wundern, Heinz,“ klang die Stimme der Hofdame aus der Dunkelheit und ganz gepreßt zu ihm herüber. „Ich wollte dich vorbereiten, du hättest sonst eine allzu große Ueberraschung gehabt – es bereiten sich große Dinge vor –“

„Ist’s um Toni?“

„Ja und nein – also kurz gesagt. Ihre Durchlaucht ist untröstlich, Toni hergeben zu sollen; sie behauptet, Toni sei die einzige, die so deutlich und scharf accentuiere beim Vorlesen, daß sie jedes Wort, trotz der vorgeschrittenen Taubheit, verstehen könne, und da – –“ die Sprecherin machte eine Pause.

„Da wünscht Hochdieselbe, die Verlobung rückgängig gemacht zu sehen?“ fragte er und wunderte sich, daß es wie ein Aufatmen über ihn kam.

„I Gott bewahre! Wie kannst du nur bei der frommen gemütstiefen Fürstin einen solch sträflichen Egoismus voraussetzen? Nein, im Gegenteil, sie wünscht, daß ihr je eher je lieber heiratet, aber – daß ihr in ihrer Nähe, in Breitenfels bleibt.“

„Da wünscht eben Ihre Durchlaucht etwas Unmögliches,“ antwortete er trocken. „Oder – soll ich Kommandant von Breitenfels werden? Eine Charge, die ganz neu geschaffen werden müßte und – in Anbetracht des bedeutenden hier garnisonierenden Truppenteils – –“

„Laß doch den Spott, Heinz! Den Rock müßtest du natürlich ausziehen siehst du, aber, bitte – keine Ironie! Uns fehlt schon seit langer Zeit der Hofmarschall, der laut Bestimmung der Hofhaltung Ihrer Durchlaucht zukommt. Auf dem Papier ist er auch stets geführt, nur daß Excellenz die kleine unbedeutende Funktion neben seinem Kammerherrndienst noch übernommen hatte. Der gute Axleben ist nun aber so decrepit geworden, daß man ihm das wohl nicht länger zumuten kann, und so kam Ihre Durchlaucht auf die Idee –“

„Ihre Durchlaucht kam darauf?“

„Nun ja – das heißt, ich hatte vorher mit Toni darüber geredet.“

„Ach so!“

„Kurz und gut, Heinz, dein Glück wäre doch gemacht, wenn du zugreifen wolltest! Denke dir – den Titel Hofmarschall, eine Wohnung im Schloß, Equipage, alle Jahre so und so lange Urlaub. – Gott, das Gehalt ist ja so enorm nicht, aber immer noch besser als eine Lieutenantsgage!“

„Und meine Braut ist natürlich entzückt von der Idee!“ „Das kannst du doch denken! Durchlaucht hat ihr versprochen, jedes Jahr ein paar Wochen in der Residenz zu verleben, ihr begleitet sie natürlich, ihr könnt dort ein allerliebstes Haus machen. Ich habe Toni zugesagt, dir die Sache praktisch zu unterbreiten, und sie hofft, daß du ihr diesen ersten Wunsch erfüllen werdest. Heinz, ich will dir gestehen, wir sind so entzückt von diesem Plane, daß –“

„Ich bin gar nicht davon entzückt,“ unterbrach er sie schroff, „und denke nicht im entferntesten daran, meinen Dienst zu quittieren! Ich liebe meinen Beruf mit einem guten Teil ehrlicher Begeisterung, und nur der Notwendigkeit gehorchend, würde ich ihn verlassen haben, das heißt – du verstehst mich – wenn mir die Mittel, weiter zu dienen, eines Tages gefehlt hätten, es war ja nahe daran! Diese Notwendigkeit ist aber durch meine Verlobung mit Toni Ribbeneck geschwunden, so bleibe ich!“

„Du – du bleibst?“ Diese Worte voll maßlosesten Erstaunens trafen jetzt sein Ohr.

„Ich bleibe,“ wiederholte er, „und wenn meine Braut mich liebt, was ich ja eigentlich kaum zu hoffen wage, so geht sie mit mir dorthin, wohin mich mein Beruf führt.“

„Aber du rasest gegen dich selbst, mein lieber Heinz!“

„Mitnichten! Ich brauche frische frohe Arbeit so notwendig wie die Luft, die ich atme, ich passe den Teufel! zu solchem Beruf, ich bin ein Soldat und keine Hofschranze!“

„Herrgott – frische frohe Arbeit, sagst du! Die wirst du ausgiebig haben bei deinen Pirschgängen.“

„Die Befriedigung einer Passion ist keine Thätigkeit, wie man sie nötig hat für seine Gemütsruhe – ich möchte nicht leben ohne Pflichten.“

„Du hast doch deren in deiner Stellung!“ rief sie gereizt. „Welch pedantische Auffassung, Heinz!“

„Die Pflichten eines Hofmarschalls in Breitenfels,“ sagte er leise, „ausgezeichnet, Tante, und worin bestehen sie? Im Whistspielen, im Aufstellen der Gästelisten für eure illustren Theeabende und im Honneurmachen bei denselben. Nimm’s nicht übel, Tante, die Gräfin Arnstein sowohl wie die Frau Hofprediger gelangen auch, ohne daß ich ihnen meinen Arm am Eingang der fürstlichen Gemächer anbiete, zu dem Sessel der Durchlauchtigsten – eure Idee ist eine Kateridee!“

„Aber – wenn sich Toni darauf kapriziert, wenn sie –“

„Dann muß sie sich eben einen andern suchen, der mit ihr zugleich den Hofmarschall übernimmt,“ unterbrach er brüsk und hatte ein riesig erleichterndes Gefühl in sich. Er mußte es darauf ankommen lassen, duckte er sich in dieser Angelegenheit, so war seine Autorität ihr gegenüber für alle Zeiten untergraben! Sie durfte doch nicht denken, weil sie ein paar Kröten besaß, daß der Mann, den sie sich damit gekauft hatte, ihr Spielzeug sei? Lieber – das Schlimmste!

„Und wenn Toni,“ scholl es wieder aus der dunklen Ecke des Wagens, „wenn sie ihre Freiheit thatsächlich deiner Tyrannei und Engherzigkeit vorzieht, wie dann?“

„Liebe Tante, du scheinst überhört zu haben, was ich eben sagte.“

„Hast du das große Los gewonnen oder hinterließ deine Mutter unerwartet ein Vermögen?“ stieß die Baronin zitternd hervor.

„Keins von beiden, ich bin mir der jammervollen Lage meiner pekuniären Schwierigkeiten vollständig bewußt.“

„Nun, dann verstehe ich dich nicht.“ Und sie setzte sich so ostentativ zurück, als wollte sie sagen. Mache was du willst, mit dir ist nicht zu reden!

„Es thut mir bitter leid, Tante Christiane.“

„Ich ersuche dich, wenigstens heute abend nicht mehr die Sache zum Austrag zu bringen. gehe in dein Zimmer, ohne Toni zu begrüßen, und ich werde versuchen, dich glaubhaft bei ihr zu entschuldigen. Sie erwartet dich in meinem Salon zum Thee, und du hast wahrscheinlich Kopfweh oder dergleichen – sie muß es gelten lassen.“

„Ich habe keine Kopfschmerze und fürchte mich nicht vor Auseinandersetzungen – je eher, je besser!“

„Nun denn, meinetwegen!“ Die Baronin wickelte sich nach diesen Worten in ihren Pelz und würdigte ihren Neffen keines Wortes weiter. Der Wagen kroch langsam bergan, dann huschte der Schein der ersten Petroleumlaterne der Residenz durch die Fenster des Coupes und Heinz schaute hinaus. Oben angelangt, setzten sich die Pferde wieder in Trab. Der junge Offizier sah Licht schimmern durch die Läden des Mayschen Hauses, beim Oberförster war alles dunkel – natürlich saß er bei der Braut!

Heinz biß sich auf die Lippen, daß es schmerzte. Der hätte ebensogut eine Kindermagd heiraten können, weiter suchte er doch nichts, und diese reizende kluge süße Aenne vergräbt sich in solche Prosa! Und er, er sollte hier bleiben und das mit ansehen, wie der plumpe Gesell ihr den Staub von den Schmetterlingsflügeln streift und sie in eine häßliche Puppe zurückverwandelt, die dumpf hinleben muß in dem ewigen Einerlei seines mit Kindergeschrei erfüllten Hauses? Nie – nie!

Nun hielt der Wagen vor dem Eingang des Schlosses und die Baronin verließ, von Heinz unterstützt, das Gefährt. Mit einem sehr kühlen Kopfnicken verabschiedete sie denselben im Treppenhause des zweiten Stockes, und er stieg die dritte Treppe empor, um sein Zimmer aufzusuchen an dessen Schwelle ihn der Bursche empfing. Es war behaglich warm in dem riesenhaften, ziemlich schmucklose Raum, und auf dem Tische brodelte der kleine Alfenidkessel neben der Arrakflasche und dem Punschglas.

„Briefe gekommen?“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

Er trat an den Tisch und betrachtete ein großes graues Couvert, das in ungelenken Schriftzügen seine Adresse trug. Es hatte ihn, dem Vermerk nach, zuerst in seiner Garnison gesucht und war dann hierher nachgesendet worden. Aus Berlin? Was mochte das sein? – „Ich danke, Scholze,“ sagte er dann, „ich gehe nachher noch zur Frau Baronin hinunter, mache den Waffenrock zurecht! Dann warf er sich in einen der mit grün und weiß gestreiftem Kattun bezogenen Fauteuils nahe der Lampe und erbrach das Schreiben.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_058.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)