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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Grab“, das den wahrhaft Gläubigen verkündet, daß Einer aus dem Hause dessen, der es errichtet, abgefallen vom Glauben und geistig gestorben ist für das Volk des Herrn.

Nach einigem Bedenken hatte Hans Ritter das Manuskript wirklich an den Doktor Julius Alexander Stein abgesandt, er hatte sich gelobt, nun weiter nicht daran zu denken, und wie jeder junge Autor hatte er unablässig daran gedacht, mit einer Spannung, die erst nach Ablauf der vierten Wartewoche allmählich in eine dumpfe Ergebenheit überging. Und nun, da die Ergebenheit schon längst zur Gewißheit des Mißgeschicks geworden war, hatte ihm dieser reizende Geldbriefträger heute die Antwort gebracht. „Mit Vergnügen acceptiert … Honorar beiliegend … weiteren Anerbieten stets mit Interesse entgegen sehend. etc.“ Das Honorar betrug den dritten Teil seines Jahresgehalts von der Bibliothek aber das war es ja nicht allein, es war vor allem sein erstes Honorar, und nur wer einmal ein erstes Honorar empfangen hat, wird ermessen können, mit welchem inneren Beben Hans Ritter diese blauen Scheine befühlte und betrachtete – als ob sie von Rafael persönlich gemalt und ihm gewidmet wären! In dieser Stimmung hätte ihn selbst eine schriftliche Liebeserklärung von Fräulein Beate nicht zu erschüttern vermocht, wie viel weniger die gedruckte Anzeige von ihrer Vermählung!

An den Doktor Hans Bardolf gelangte nicht einmal eine solche gedruckte Karte, und das lag daran, daß sich Hans Mohr verrechnet hatte, als er mit Beate und ihrer Mutter zusammen zwei Tage vor der Hochzeit die Liste der Adressaten anstellte. „Hier, dies sind die Bekannten, denen ich die Anzeige schicken muß“, sagte er, „es sind zweiundfünfzig, bitte, mein Engel, willst du nicht einmal nachzählen?“ Der Engel nahm die Liste und zählte sehr sorgfältig, mit dem Bleistift in der Hand, dann sagte er mit einem reizenden Lächeln. „Du hast Dich verzählt, liebster Hans, es sind nur einundfünfzig“. Der liebste Hans sah noch einmal nach, und da war ein Name ganz fein mit einem spitzen, harten Bleistift durchgestrichen. „Ach ja,“ sagte er, „ich habe mich verzählt. Es sind wirklich nur einundfünfzig.“

So erfuhr der Doktor Hans Bardolf die große Neuigkeit erst einige Tage später, in der Nachschrift zu einem Briefe Hans Ritters, den ihm die kleine Grete sehr sorgsam und selbstbewußt überreichte, als sie am Nachmittag mit Luise, Kinderwagen, Puppen und sonstigem Zubehör vor der Veranda im Garten des Seedorfschen „Instituts“ anrückte, denn das war jetzt ihr gewöhnlicher Spielpark, und sie wußte unter Anleitung Luisens und Karl von Seedorfs schon recht geschickt herumzustolzieren, während die Väter auf der Veranda Kaffee tranken und ihre Cigarren rauchten. Auch der Hauptmann von Seedorf lernte den Inhalt des Briefes einschließlich der Nachschrift kennen und hielt mit seiner Meinung nicht zurück. „Wissen Sie, lieber Doktor,“ sagte er, „ich will natürlich gegen Ihren ehemaligen Freund gar nichts gesagt haben – na, und Sie haben ja auch im Grunde nichts mit ihm gehabt, wenn ich klar sehe, so ist er von Ihnen und dem Doktor Ritter so ganz sachte abgerückt, wie ein Marodeur oder meinethalben auch ein Maroder, der sich unterwegs auf dem Marsch so still ins Kornfeld drückt, aber das muß ich sagen, wenn alle Ehen im Himmel geschlossen werden, dann muß er da oben schlecht angeschrieben stehen, denn ohne triftigen Grund straft einen der Herrgott nicht mit so einer Frau! Sie kennen sie ja wohl nur aus den Erzählungen Ihrer lieben seligen Frau, und die hätte ja selbst dem Teufel möglichst viel Gutes nachgesagt, aber meine Selige war von etwas minder sanftem Gemüt, und die kannte das Fräulein schon länger, denn sie hat ja mit ihr zwei Jahre lang zusammen in der Schule gesessen, in den obersten Klassen, wo die Häkchen schon zu Haken werden. Dieses angenehme Wesen hat alles, nur kein Gemüt und keine Ehrlichkeit. – Na, ich bin gespannt, was da für eine Rasse herauskommt! Obzwar man das nie verschwören soll, denn es ist kurios, wie unser Herrgott manchmal mit dem Erbschaftsgesetz umspringt. Da sehen Sie sich einmal meinen Jungen an! Ich hab’ gut, ihm eine Soldatenmütze aufsetzen und die braunen Haare rund kurz scheren, deshalb sieht er sich doch nicht einmal um, wenn eine Militärmusik vorbeizieht, aber einen Ameisenhaufen zu besehen oder ein krankes Kaninchen zu pflegen, dafür läßt er sein Leben, und mit Ihrem kleinen weißen Mädel spielt er wie eine Bonne. Na, ich werd’ denn wohl sehen müssen, wie er sich weiter macht, meinethalben mag er dann Arzt werden oder Bauer, denn das sind doch noch die zwei gescheitesten Berufe, wenn einer keinen Grips fürs Militärische hat. – Ich wollte nur, die Bengels, die man uns ins Haus schickt, hätten etwas Grips dafür, fuhr er seufzend fort. „Uebrigens, lieber Doktor, ich habe mir heute einen Ueberschlag gemacht, weil ich doch morgen aufs Land gehe – wir haben doch besser abgeschnitten als ich dachte, und wenn wir im nächsten Halbjahr nur fünf mehr kriegen, dann habe ich zu Ostern sogar einen baren Ueberschuß, vorausgesetzt, daß ich einige laufende Rechnungen aufs nächste Jahr hinübernehme.“

Doktor Hans Bardolf war zu wenig Finanzmensch und in diesem Augenblick angesichts seines blühenden, lachenden Kindes auch zu ausschließlich glücklicher Vater, als daß ihm ein Zweifel gegen das Seedorfsche Budgetsystem gekommen wäre, und so konnte er mit ganz reinem Gewissen die Einladung des Hauptmanns annehmen, „daraufhin nach dem Abendbrot einmal ausnahmsweise ein paar Flaschen zu trinken.“ Aus den paar Flaschen wurden vier, sie tranken auf den Doktor Hans Ritter, sie tranken mit feuchten Augen auf ihre Kinder, die nun längst friedlich in ihren Bettchen schlummerten, und zuletzt brachte der Hauptmann sogar in perlendem Champagner höchst ernsthaft die Gesundheit der „würdigen alten Herrschaften“, des Herrn Professor Bernstein und der Frau Margarete Klämmerlein, aus. Der Champagner war aber, wie er vorher ausdrücklich erklärt hatte, keine Verschwendung, denn er war ihm von einem durchgebrannten Zögling an Zahlungsstatt geschickt worden und „kostete also keinen Pfennig“.

(Fortsetzung folgt.)


Franz Schubert.
Zum Ehrentag eines Unsterblichen.
Mit dem Porträt S. 53 und Abbildungen von L. Janda S. 66 und 67.

Am 31. Januar 1897 feiert man in allen deutschen Landen den hundertsten Geburtstag eines Heiligen der Tonkunst, Franz Schuberts. Es gewährt eine besondere Genugthuung, gerade diesen Mann so allgemein gefeiert zu sehen, dessen Leben ein fortgesetzter Kampf mit Drangsalen war. Wie viel leichter würde es dem Frühgeschiedenen geworden sein, Sorge und Not zu ertragen, hätte er in seiner Naivität und Bescheidenheit ahnen können, daß man ihn als Schöpfer unvergänglicher Musikwerke immerdar aufs innigste verehren werde. Vor allem sind es seine Lieder, mit welchen er sich unserem Volke ins Herz gesungen hat, weil in denselben überaus reizvolle Melodien und Ursprünglichkeit der Tongedanken oft mit der Einfachheit des Volksliedes verbunden sind. Gerade diese künstlerische Schlichtheit, die sich mit zauberhafter Gewalt in die Seele unseres Volkes hineingeschmeichelt hat, ist ein Lichtmal der Genialität Schuberts.

Wie die Quelle aus der Erde hervorbricht, weil sie nicht anders kann, so entströmten seiner glänzenden Begabung die Tongedanken, und zwar in einer Fülle, Neuheit und Unmittelbarkeit, an welcher sich so manche Tonsetzer der Gegenwart erbauen könnten, die durch verblüffende Dissonanzen, durch unruhige Sprünge aus einer Tonart in die andere, durch Absonderlichkeiten in der Instrumentation sowie durch den Mangel an geschlossenen Melodien den Beweis erbringen wollen, daß sie etwas ganz Besonderes bedeuten, während das gequält Neue und erzwungen Originelle in ihren Kompositionen doch nur ein Beweis des Mangels an wahrlich schöpferischer Kraft ist.

Franz Schubert wurde als Sohn eines Schullehrers zu Wien in dem Hause (IX. Nußdorferstraße Nr. 54) geboren, welches unsere Abbildung vorführt. Er sah in seiner Jugend wenig „Bratentage“, der Besitz einer Semmel und der Genuß einiger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_064.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)