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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Gartenwirtschaft „Zum Biersack“ in Währing bei Wien.      Das Geburtshaus Schuberts.

Aepfel gehörten zu den kühnsten Wünschen seiner Knabenzeit In einem Briefe an einen älteren Bruder bemerkte er: „Du weißt aus Erfahrung, daß man doch manchmal eine Semmel und ein paar Aepfel essen möchte, um so mehr, wenn man nach einem mittelmäßigen Mittagsmahle nach 8 1/2 Stunden erst ein armseliges Nachtmahl erwarten darf.“ Daran knüpfte der kleine Franz die Bitte, der Bruder möchte ihm doch monatlich ein paar Kreuzer zukommen lassen, „damit er in seiner Klause glücklich und zufrieden sein könne“. Wie rührend ist diese Sehnsucht nach „Glück“!

In der Jugend lebte Schubert von seiner Sopranstimme; er sang nämlich auf Kirchenchören und wohnte dafür in einem Konvikt, wo die Kost schmal bemessen war. Nach dem Verluste seiner Stimme entschloß er sich, Lehrer wie sein Vater zu werden. Er wurde richtig auch Schulgehilfe und weihte als solcher drei Jahre lang die Elementarschüler der Lichtenthaler Vorstadt in die Geheimnisse des Abc ein. Wenn seine Schüler über die Anfangsgründe alles Wissens stolperten, so wurde der lebhafte Franz jähzornig und handgreiflich. Zum Künstler geboren fand er in dem Lehrerberuf keine Genugthuung und suchte darum durch um so fleißigeres Komponieren innere Befriedigung sich zu verschaffen. Geregelten Unterricht im Generalbaß empfing er von Rucziszka und Salieri. Schon als dreizehnjähriger Knabe hatte Schubert mehr musikalische Einfälle als Notenpapier, welches in der Menge, die er brauchte, für ihn unerschwinglich war. Damals war es ein Mitschüler im Wiener Konvikt, der ihn mit Notenpapier versah, so daß das Komponieren jetzt flott von statten gehen konnte. Er schuf schon zu dieser Zeit Lieder, Messen, Sonaten, kleine Opern, ja selbst eine Symphonie, doch vernichtete er bald das Geschaffene wieder, weil es ihm nicht genügte. Waren es doch nur Kompositionsversuche „zur Uebung“.

Ein anderer Förderer Schuberts war ein Student, Namens Franz von Schober. Diesem imponierte die ungewöhnliche Begabung des jungen Tondichters, und als er ihn eines Tages besuchte, fand er ihn beim Korrigieren von Schulaufgaben. Der Student verschaffte nun dem in ein trauriges Joch gespannten Schulgenossen eine Freiwohnung und entriß ihn einer Thätigkeit, für die er nicht berufen war.

Der Weg zur Selbständigkeit ward Schubert so erschlossen. Wenn nur Frau Sorge nicht gewesen wäre, die ihm mit zäher Treue stets zur Seite ging! Schubert bewarb sich um mehrere Aemter, die ihm noch Muße zu künstlerischer Arbeit gelassen hätten, so auch mal eines in Laibach, welches ein Jahresgehalt von 450 Gulden abwarf. Er wurde jedoch trotz der Empfehlung des k. k. „Hofmusikgrafen Moritz Dietrichstein, des Intendanten der kaiserlichen Hofkapelle, abgewiesen. Kein Wunder, daß unter diesen Umständen der junge Musiker sich fast beständig in Geldverlegenheiten befand! Der Verfasser dieser Zeilen unterhielt sich vor einigen Jahren in München mit dem Generalmusikdirektor Franz Lachner über Schubert, mit welchem der Münchner Komponist von Jugendzeiten her befreundet war. Der musikalisch etwas reaktionär angehauchte Verfasser der Oper „Katharina Cornaro“ erzählte bei dieser Gelegenheit, daß ihm Schubert einmal bekümmert gesagt habe: „Was wird mit mir armem Musikanten in der Zukunft werden? Ich werde wohl im Alter, wie Goethes Harfner, betteln müssen!“

Zuweilen hatte Lachner selber für Schubert sich verwendet, und zwar bei Verlegern. Beide Komponisten waren große Naturfreunde und wollten eine Gebirgsreise miteinander unternehmen. Der Wille zum Reisen war also da, aber leider kein Geld. Da fragte Lachner den kleinen dicken Freund, welchen W. Chezy, unartig genug, einen „Talgklumpen“ genannt hatte, ob er denn nicht wieder einige frischkomponierte Lieder auf Lager habe. Schubert übergab ihm einen ganzen Strauß seiner herrlichen Lieder. Lachner eilte damit zu einem Verleger. „Schuberts Lieder gehen nicht!“ meinte dieser verdrießlich. Lachner wies aber auf die Vortrefflichkeit der mitgebrachten Lieder so eindringlich hin, daß der Verleger sich endlich dennoch entschloß, ein Honorar von 15 Gulden für die melodischen Herrlichkeiten Schuberts anzubieten. „Legen Sie noch 5 Gulden zu!“ bat Lachner. „Niemals!“ gab der Verleger mit der Härte eines Despoten zurück. Die beiden Freunde traten nun mit dem für sie ungewöhnlich großen Vermögen von 15 Gulden eine Reise ins Hochland an. Die Eindrücke und Stimmungen, die ihn auf diesem Ausflug beglückten, wußte Schubert sogleich in erquickende Töne umzusetzen. Ohne diesen innigen Verkehr mit der Natur hätte er seinen Liedern wohl auch nicht jene feinen tonmalerischen Accente geben können, durch welche sie so oft entzücken. So hat Schubert, um nur eines anzuführen, in seinem Liede „Die Forelle“ die rasche und zierliche Bewegung der Fische in schnell und graziös dahingleitenden Tonarabesken der Klavierbegleitung wunderbar geschildert. Einer ähnlich beredten Tonmalerei begegnet man in so manchem Lied der prächtigen Cyklen „Die schöne Müllerin“ und „Die Winterreise“, ich erinnere z. B. an „Die Post“, in deren rhythmischer Bewegtheit sich das Vibrieren der Liebeserwartung, die Bewegtheit der Empfindung, der Rhythmus des erregten Herzens treu spiegeln. Alles ist da in melodischen Wohlklang getaucht. Das Volkslied in Kunstverklärung!

Man bewundert bei Franz Schubert mit Recht die gesunde musikalische Urkraft und die Ursprünglichkeit in allen seinen Tonwerken. Nie hat er ein Anlehen bei anderen oder bei sich selbst gemacht. Es strömten ihm musikalische Gedanken mit derselben Leichtigkeit und Unmittelbarkeit zu, mit welcher man atmet.

Franz Schubert wird als Begründer der musikalische Romantik bezeichnet. Vielleicht mit Unrecht! Allerdings hat er Texte von Dichtern der romantischen Schule in Musik gesetzt. Allein mit vollem Grund könnte man Schubert einen Klassiker nennen, der Mustergültiges, Vorbildliches, Unvergängliches ebenso geschaffen hat wie Mozart und Beethoven. In seinen Liedern klingt nie eine krankhaft romantische Stimmung an, die Trauer spricht sich zwar in ergreifender Form, aber nie in weichlicher Empfindelei aus. Sie erhebt sich mitunter zu tragischem Pathos, winselt aber nie in romantischer Hilflosigkeit.

Arm zu sein, Entbehrungen zu erleiden und dabei lebend und schaffensfroh zu bleiben, ist ein seltener Charaktervorzug, und diesen besaß Schubert. Seine Freunde, Lustspieldichter Bauernfeld und der Maler Schwind, wußten viel darüber zu erzählen. Meist hatten zwei von ihnen kein Geld und der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_066.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)