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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)


bestellt, wie man es uns oft vorsagt. Nicht nur im Rausche der Schlacht, im feierlichen, majestätischen Ernst des Krieges zeigt sich der Mann, sondern auch in jener Liebe und stillen Pflichttreue, die ihr Leben hingiebt für die Brüder!

Ich habe einmal am Tage nach einem Dammbruch, wenige Schritte vom Bahnkörper entfernt, mitten zwischen zusammengeschwemmten Gräsern und Getreidehalmen einen schwarzen Punkt gesehen. Es war der Kopf des ertrunkenen Wächters, der über das Wasser emporragte. Auch dieser hätte seinem Geschicke entgehen können, wenn er an irgend etwas anderes gedacht hätte als an den im nächtlichen Dunkel herannahenden Zug. Die Dammbruchstelle, deren jenseitigen Rand er noch glücklich erreichte, erweiterte sich aber unter seinen Füßen und er versank in der hereinrauschenden Flut, während der Zug vor ihm hielt …

In einem Abenteuer ganz besonderer Art zeigte sich bei Gelegenheit des Laibacher Erdhebens ein Bahnwächter des höchsten Lobes würdig. Er stand um Mitternacht, den von Triest nach Wien fahrenden Eilzug zu erwarten, vor seinem Haus, als ein Erdstoß die vordere Seite desselben zertrümmerte und auf den Bahnkörper hinwarf. Ohne sich weiter um seine Kinder zu bekümmern, welche heulend durch die Hinterthür sich auf das freie Feld hinaus in die dunkle Nacht flüchteten, waren seine Gedanken nur bei dem Zuge, der herannahte. Doch - welch Entsetzen! Er hatte, wie es die Wächter gewohnt sind, seine Laterne neben das Geleise gestellt. Jetzt lag sie infolge des Erdstoßes unter einem Schutthaufen. Er konnte also kein Haltesignal geben. Erreichte der Zug die Trümmer, so war derselbe mit all seinen Insassen verloren! In äußerster Angst lief er deshalb in der Richtung gegen Franzdorf hin dem Hause des nächsten Wächters zu. Er erreichte dieses gerade noch rechtzeitig, daß dieser mit seiner Laterne das Zeichen zum Halten geben konnte. Dann stürzte er erschöpft zusammen. Alle die Menschenleben im Zug wären ohne seine Aufopferung wahrscheinlich vernichtet gewesen.

Derartige Züge todesmutigen Heldentums einfacher Bahnwächter ließen sich noch viele erzählen, nicht nur aus den Alpenländern, sondern von überallher. Um aber diese Betrachtung heiter ausklingen zu lassen, will ich noch einer kleinen „romantischen Bahnwächtergeschichte“ Erwähnung thun, die sich vor längerer Zeit abspielte.

Der Herausgeber eines Lokalblattes war infolge einer Wette auf den Scherz eines Bekannten eingegangen, der ihm eine kleine Erzählung unter dem Titel „Kaiser Josef der Zweite und die Bahnwächterstochter“ lieferte. Die Erzählung wurde abgedruckt, und keinem der Leser fiel es ein, sich bei der Redaktion zu erkundigen, auf welche Weise dieser menschenfreundliche Monarch, welcher das Zeitliche im Jahre 1790 segnete, in eine solche Geschichte verwickelt werden konnte!

Niemand wunderte sich über die Zurückdatierung dieser Art von „Romantik des Bahnwächterlebens“, welche dem Verfasser sogar viel warme Anerkennung und den Wunsch nach einer Fortsetzung eintrug. Darauf mußte er nun allerdings - so schmeichelhaft die Sache auch für ihn war – verzichten!


Die Hansebrüder.
Roman von Ernst Muellenbach (Ernst Lenbach).

(4. Fortsetzung.)

9.

Als der Großvater die Großmutter nahm, hatte man in der Umgebung der Industriestadt stellenweise noch Reben gebaut und war bei ihrem saueren Safte, wie weiland Kurfürst Joachim bei der Kreszenz vom Berliner Kreuzberg, „oftmals sehr fröhlich gewest“; die Enkel bauten Rüben und tranken starkes Bier und Schnaps, und Hans Bardolf, obwohl er von Geburt ein Mainfranke und Landsmann des berühmten Steinweins war, that es auch, denn etwas muß der Mensch haben, zumal wenn er fleißig ist.

An Fleiß ließ es Hans Bardolf nicht fehlen. Er begrüßte jeden Auftrag zu Privat- und Nachhilfestunden während seiner freien Zeit als ein Geschenk Gottes, und wenn er abends müde nach Hause gekommen war, sein Kind geküßt und sein einfaches Abendbrot gegessen hatte, saß er noch spät bis in die Nacht, arbeitete an Uebersetzungen antiker Schriftsteller und sah Korrekturbogen gelehrter Werke durch. Es war eine sauere und trockene Arbeit, sie wurde von den Verlegern kärglich und gleichsam nach dem Quadratmeter bezahlt, aber er war froh, daß er auch sie gefunden hatte, denn sie half ihm wieder ein wenig, sich zum zweitenmal schuldenfrei zu machen und die winzigen Posten in dem Sparkassenbuch, das er seinem Kinde am ersten Geburtstag gekauft und selbst während der letzten Krankheit Emiliens nicht angetastet hatte, allmonatlich um eine Kleinigkeit zu mehren.

Aber mehr und mehr plagten ihn Gesundheitsstörungen, die dem kraftvollen, kraftbewußten Manne etwas Neues und Unheimliches waren. Zuerst im Frühsommer, nach einer garstig verregneten Wanderung mit anschließender Kneiperei in einem Bauernwirtshaus, hatte er es verspürt und auf „Rheumatismus“ angesprochen. Es war geschwunden und wiedergekommen, dann schien es sich auf die Eingeweide zu werfen – er mußte sich wohl „den Magen verstimmt“ haben. Eine Zeit lang bekämpfte er die Störung mit Hausmitteln, wie sie jeder Deutsche von akademischer Bildung kennt, Opiumbitter und andere als heilsam gerühmte Tränkchen von stark alkoholischer Mischung. Nun aber, gerade in den Ferien, die er so fleißig auszunutzen gehofft hatte, wurden auch edlere Teile rebellisch, starke Kopfschmerzen mit einer wunderlichen Mattigkeit verbunden, traten auf, das Gesicht brannte und vor allem wurden die sonst so scharfen Augen trübe und unsicher, vielleicht waren sie vom allzulangen Arbeiten bei Licht unwillig geworden. Er entschloß sich endlich, einmal den Augenarzt zu fragen. Die Untersuchung dauerte lange. Als Bardolf wieder aus dem Hause des Augenarztes trat, sah er sehr verstört aus. Er ging nach dem ferienstillen Institut und schlug in dem großen Konversationslexikon, welches der Hauptmann als Grundstock der Lehrbibliothek angeschafft hatte, gewisse Artikel nach, die er lange und ernst durchstudierte. Dann ging er zu dem Geheimen Sanitätsrat Dr. Leuxenberg, der erst vor kurzem als Direktor an das große Krankenhaus der Stadt berufen war. Von dessen Haus ging er langsam und gesenkten Hauptes vor die Stadt, auf den Friedhof, und dort, vor einem mit Blumen geschmückten Hügel, im trüben Scheine des einbrechenden Herbstabends, weinte er die bittersten Thränen seines Lebens. Es war ganz still rings um ihn, ab und zu flatterte ein dürres Blatt vom Baume, und keine andere irdische Kreatur als ein paar kleine Vögel im Gezweig sahen es, wie hier ein Mensch mit Gott rang.

Die gute Luise freute sich anfangs sehr, als sie sah, wie sorgfältig ihr Herr die Arznei gebrauchte und die zurückgezogene Lebensweise beobachtete, die ihm – wie er sagte – der berühmte Arzt gegen seine Erkältung verordnet hatte, auch schien es ihr, als ob es mit dem „Fluß aus den Augen“, wie sie es nannte, wirklich besser werde. Allmählich aber wurde sie mißtrauisch. Das ganze Wesen ihres sonst so guten Herrn war so wunderlich verändert, es war etwas Unstetes in ihn gekommen. Halbe Stunden lang saß er unthätig, vor sich hinbrütend, um dann wieder die Arbeit mit einem fieberhaften Eifer aufzunehmen. Und kein fröhliches Lachen mehr, nichts von der jugendlichen Leichtherzigkeit, die ihm sonst auch in geldärmster Zeit nie ganz ausgegangen war! Was sie aber am meisten beunruhigte, das war die neuartige, fast trübselige Zärtlichkeit, mit der er Grete betrachtete und liebkoste. Sie sah es vierzehn Tage lang mit wachsender Besorgnis an. Der Herr Hauptmann war verreist, sonst hätte sie diesem ihr Leid geklagt. Eines Abends aber wurde es ihr zu arg. Der Herr Doktor saß vor seinem Schreibtisch, auf dem inmitten eines kunstvoll gezogenen Epheustockes im dunklen Rahmen die Photographie der seligen Frau stand. Luise hatte das Kleine hereingebracht, damit es dem Vater den Gutenachtkuß gebe, und Gretel hatte dabei wie gewöhnlich auch der lieben Mama ein Kußhändchen zugeworfen. Als sich Luise dann mit ihr zum Gehen wandte, gewahrte sie zufällig einen so schmerzlichen, todwehen Ausdruck auf dem Antlitz ihres Herrn, daß sie vor Schrecken das Kind fast fallen ließ und als sie nachher zurückkehrte, saß er noch immer stumm und leidend vor dem Schreibtisch, seine Augen, auf das Bild gewandt, waren voll Thränen, und sein Körper bebte. Sie sagte nichts, aber in derselben Nacht setzte sie sich hin und verfaßte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_080.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)