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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

und dem Kammerherrn. Heinz hatte sie nicht wieder erblickt, sie wußte nur, daß er sofort beurlaubt worden, daß er den Abschied eingereicht habe und sich mit unerhörtem Fleiß in seine neuen Pflichten einzuleben bemüht sei. Ihre Durchlaucht hatte das gnädig dem Medizinalrat anvertraut und auch, daß sie glaube, eine ganz vorzügliche Acquisition gemacht zu haben.

Es war, als ob sich alle die tobenden Wässer anschickten, ruhig und ehrbar in den Bahnen dahin zu fließen, die sie sich selbst gewählt hatten, als vernünftige Bächlein, die bestimmt waren, zu nützen und zu arbeiten, bis sie dereinst in dem großen Meere untertauchten.

Aenne erfuhr auch eines Tages, daß der dritte Weihnachtsfeiertag für die Hochzeit des Herrn Hofmarschalls ausersehen sei. Sie ertrug’s kaum, wenn von ihm die Rede war, aber sie nahm sich zusammen, nur erschien sie still, gedrückt und merkwürdig gleichmäßig. Die Mutter hielt das für die natürliche Folge des Brautstandes, dem Vater aber gefiel ihr Aussehen gar nicht. „Nervös“, sagte er, „sie wechselt zu oft die Farbe, und in ihren Augen flackert es, als hätte sie Fieber.“

Er verschrieb ihr Chinin und verordnete Spaziergänge.

„Nimm die Kinder mit, wenigstens die großen,“ schlug die Mutter vor, „es wird dich zerstreuen!“

In Aennes Herzen bäumte sich jäh etwas auf. Sie ertrug seit jenem Tage, wo der Junge und das Mädel nach Kinderart ihr ins Gesicht gerufen. „Du liebst uns ja gar nicht“, die kleinen Geschöpfe kaum noch, sie konnte sich zu keiner Liebkosung mehr aufraffen, sie fühlte sich erkannt von ihnen – Kinder sind größere Herzenskundige als man denkt – und so fiel die Antwort auf den Vorschlag der Mutter heftig ablehnend aus. Ob man ihr denn nicht noch die paar Wochen Freiheit gönnen wolle, fragte sie mit flackernden Augen, sie wünsche allein zu gehen, ganz allein, sogar ohne Tante Emilie!

Frau Rätin war sehr erschreckt ob dieses Ausbruches. „Herrgott, ja!“ sagte sie, „sei doch nur ruhig; an Kinder muß man sich erst gewöhnen ich weiß ja, aber was du gegen Tante Emilie jetzt hast, das ist mir unverständlich.“

„Na, laß sie doch nur, Schwägerin“ beruhigte diese, „wir beide wissen, wie wir dran sind miteinander – es wird auch wieder besser, gelt, mein Engelchen?“

Das „Engelchen“ antwortete aber nicht und ging allein spazieren im Schloßgarten, immer dieselben Wege, so ganz einsame und unbetretene, von denen sie wußte, daß sie niemand auf ihnen begegnen würde als höchstens einem der zahmen Rehe oder einem Arbeiter. Die todestraurige, spätherbstliche Natur, die so sehr ihrer Stimmung entsprach, schien sie zu beruhigen.

Auch heute war sie draußen. Von Unruhe gequält, hatte sie die Näherei auf den Tisch geworfen, müde, ihren Namen dutzendweise in die Taschentücher zu sticken die sie zur Aussteuer bekommen hatte. Hut und Mantel angethan und war ihrer Wege gegangen. Es war so um drei Uhr nachmittags eines trüben Novembertages, die Wolken drohten mit Schnee bei völlig windstiller köstlicher Luft. Der Parkweg, auf dem Aenne dahin schritt, führte bergan zu einem nicht mehr benutzten schloßartigen Lustbau, in dessen Räumen nur noch Gartengerätschaften und das Futter für das zahme Wild aufbewahrt wurden. Man hatte von dort eine reizende Aussicht über den großen Teich und die Baumpartien des Gartens bis zum Schloß hinüber, das sich von dieser Seite besonders stattlich darstellte. Hier oben, auf dem kleinen Platz vor dem „Luisenschlößchen“, stand sie still und betrachtete das liebliche Bild. Auf dem Turme wehte die Flagge des regierenden Herzogs, er gedachte in diesem Herbst lange zu bleiben, man sprach sogar davon, daß er das Weihnachtsfest hier verleben wolle. Wenn er abreiste – dann – das hatte ihr gestern abend Günther gesagt – dann war ihre Hochzeit.

„Es wird ja doch nichts daraus“, pflegte Tante Emilie zuweilen zu behaupten, und deshalb mied Aenne sie. Aus ähnlichem Grunde ging sie dem Fräulein Stübken aus dem Wege, die ihr immer mit einem so eigentümlich malitiös mitleidigen Lächeln entgegen trat, das sich zu mühsam beherrschtem Grinsen steigerte, wenn sie Aenne mit den Kindern zusammen sah, den Kindern, die der künftigen Mutter mit einer förmlich ostentativen Gleichgültigkeit begegneten und ebenso ostentativ jubelnd in Fräulein Stübkens Arme flüchteten.

Wieder stand sie da und grübelte. „Einen Ausweg, nur einen Ausweg!“ ohne die Lösung zu finden. Hinter ihr klangen jetzt Schritte, und als sich Aenne langsam umwandte, mit gerunzelter Stirn ob dieser Störung, erkannte sie in der eleganten Erscheinung, die auf sie zuschritt, die Diva des Breitenfelser Hoftheaters, Fräulein Jeannette Hochleitner eine schöne Blondine, sehr chic kostümiert und von jedermann im Städtchen gekannt, belobt und beklatscht.

„Gott sei Dank“, sagte diese mit klingender Stimme in unverkennbar österreichischem Dialekt, „endlich a menschlich’s Wesen! In dem Park kann ma ’s Gruseln lernen, an so a’m Tag! I bitt’, gnädig’s Fräul’n, erlauben ’s, in Ihrer Gesellschaft aus der Einsamkeit fortz’geh’n, denn i hab’ wirkli a sehr große Angst.“

„Sie fürchten sich?“ fragte Aenne, halb ungläubig, halb verlegen. „Aber hier ist’s völlig sicher und ich – ich habe meinen Spaziergang erst begonnen.“

„Ui jegerl! dös soll heiß’n – verschwind – i dank’ für di!“ lachte die Sängerin, „aber na, dös will i net! I bitt’ Euer Gnad’n, lass’n S’ mi hintendrein trotteln, i möcht’ a gern no a bisserl geh’n, und in der Windstille kann ma’s ohne Gefahr für die Kehl, und unsereins plauscht halt a gern a mal mit jungen Madeln. In dem Spuknest von Breitenfels, wo d’ Leut stumm z’ sein scheinen, verlernt man ja schließli ’s Reden!“ Und ohne Aennes Zusage abzuwarten, nahm sie ihre mit Seide gefütterten Röcke zusammen, um sie vor der Feuchtigkeit des Bodens zu schützen und schritt neben ihr, während sie weiter sprach.

„Gelten`s, Sie leben hier, gnä’ Fräul’n, ja? I’ seh’ S’ halt immer in der Loge von dem Herren Hofbeamten, da, wo der junge Dackel, der Sternitzki, seinen Platz hat. Sie kennen ihn doch, den Sternitzki, den Vorleser von Hoheit? I muß da immer naufschaun, denn, wissen S’, der Sternitzki sieht meinem Brüderl so ähnli, daß ’s rein zum Staunen is – mein gut’s Brüderl!“

„Sie sprechen österreichischen Dialekt, Fräulein Hochleitner, sind Sie aus Wien?“ fragte Aenne, um nicht ganz zu schweigen.

Das schöne Mädchen lachte. „Dös haben’S wirka raus g’fund’n? Na, dös ist schon a Kunst – ja, i bin aus Oesterreich. O, mein liebs Innsbruck, dös is a Stadt, da müssen S’ mal hinreisen! Wissen S’, dös ist so a Städterl für a Hochzeitsreisn – sagen S’ nur a mal Ihr’m Liebsten: Hör’, du muast mit mir nach Innsbruck, Schatzerl, oder i nehm’ di net, und dann –“

„Mein Bräutigam bekommt schwerlich Urlaub, und ich glaube auch nicht, daß eine Hochzeitsreise überhaupt in seinem Plane liegt“, sagte Aenne ruhig.

„Jesses Maria – Se san schon verlobt?“ rief die andere. „Du mein! I hab’ da nur so an Schlag ins Blaue nein ’than.So jung und wollen schon ’s Kreuzerl auf sich nehm’n?“ Sie schüttelte sich ordentlich. „Da hat Ihnen g’wiß das Mutterl zug’redt, fuhr sie fort „ja, so sind d’ Mütter. D’ meine hat’s a so mach’n woll’n mit mir, is a Aner daher komm’n wia i grad siebzehn war, und hat ihr vorg’redt von die schönen soliden Verhältnisse, in die i komm’n thät, und dös hat ihr ka Ruh’ net g’lass’n. Tag und Nacht hat s’ mir in die Ohr’n g’leg’n, und hat g’sagt ’Net wahr, Schani, du bist g’scheit, du thust ’n nehm’n! Denk’, du bist a arm’s Mad’l, ’s Vatterl kann d’r ka Geld hinter lass’n und der Fedor – das is mein Brüderl – der braucht a a ganz g’hörigs Stück in sei’m Wien bei die Student’n, und wer weiß, ob sich a Versorgung zum zweitenmal bietet. Net wahr, du nimmst ’n, Schani?“ „Aber i hab’ natürli net g’wollt und hab’ die Zung’n hinter ihm außerg’streckt, wie er gangen is, und hab’ g’sagt, er soll no a bissel wartn, i sei no z’ jung. Dann ist ’s Schreckliche kommen, mein arm’s Vatterl hat sich bei der Sektion einer Leich’ – er war Dokt’r – a Blutvergiftung –“

„Ihr Herr Vater war Arzt?“ fragte Aenne teilnehmend.

„Ja! Wundert’s Ihne gar, daß sein’ Tochter Opernsängerin worden is?“

„O nein,“ antwortete Aenne zögernd, „nur – mein Vater ist auch Arzt.“

„Da sind S’ wohl das Töchterl vom alten Medizinalrat May? Ja, na freili, jetzt erkenn’ i Sie auch ja, wissen S’, da müssen S’ mir das Patscherl geb’n, i hab’ ihn so gern, Ihr’n lieben Papa, er hat mir ja im vorigen Jahr so prachtvoll

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_086.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)