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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

beläuft sich je nach den Glücksumständen und dem Geschick des Kapitäns auf 50 000 bis 80 000 Mark.

Im Sommer erstrecken sich die Reisen weiter nordwärts, bis nach der schottländischen, norwegischen und jütländischen Küste, ja seit einigen Jahren bis nach Island hinauf. Im Winter bleiben die Dampfer meist mehr in der Nähe. Ein tüchtiger Fischdampferkapitän muß den Zug der Fische, soweit dies möglich, kennen, er muß wissen, wo zu jeder Zeit voraussichtlich die ergiebigsten Fischgründe und die in der betreffenden Jahreszeit begehrtesten und am besten bezahlten Fische sich befinden. Ist der Dampfer nach oft tagelanger Fahrt auf solch einem Fischgrunde angelangt, so wird die Maschine auf halbe Kraft gestellt, die mächtigen, an 30 bis 40 Fuß langen Fischbäumen oder den praktischeren „Scheerbrettern“ befestigten Netze werden seitwärts über Bord bis auf den Meeresboden gelassen, und der Dampfer treibt langsam vorwärts. Oft genügen einige wenige Netzzüge, um den Dampfer mit einer wertvollen Ladung von mehreren hundert Centnern zu füllen, ebenso oft verläuft aber auch ein mehrtägiges Fischen fast ergebnislos. Die aus dem Netz geholten, an Deck in buntem Gewimmel zappelnden Fische werden sofort ausgeweidet, sortiert und dann in den Schiffsraum befördert, wo sie sorgsam in Eis verpackt werden. Ist die Fangreise beendet, d. h., ist die in Aussicht genommene Zeit verstrichen oder sind die zur Verfügung stehenden Räume gefüllt, so geht es mit Volldampf dem Heimatshafen oder dem Platze, wo man eine besonders gute Verwertung des Fangs erwarten darf, zu; denn auch bei allen Vorsichtsmaßregeln und zur Anwendung kommenden technischen Hilfsmitteln bleibt der Fisch eine leicht dem Verderben ausgesetzte Ware, und hier heißt es in des Wortes eigenster Bedeutung „Frische Fische, gute Fische“.

Versetzen wir uns auf einen den Hauptmärkten an der Weser zusteuernden Fischdampfer! Helgoland wird in kurzem Abstande passiert, 2 bis 3 Stunden darauf der Rothesandleuchtturm und dann die anderen weseraufwärts liegenden Leuchttürme, von denen jeder der Reihe nach an die telegraphische Centralstelle in Bremerhaven meldet. „Eingesegelt deutscher Fischdampfer.“ Der Schiffsmeldeapparat, eine bisher nur in Bremerhaven-Geestemünde praktisch eingeführte Erfindung auf telegraphischem Gebiete, giebt die Meldung sofort und gleichzeitig an alle Interessenten, welche Anschluß haben, weiter. Nach zweistündiger Fahrt weseraufwärts kommen die Türme Bremerhavens und Geestemündes in Sicht.

Nehmen wir an, der heimkehrende Fischdampfer lenke, wie es die Mehrzahl thut, seinen Bug dem neuen Geestemünder Fischereihafen zu. Durch die von zwei kilometerlangen Schutzdeichen flanierte, 120 m breite Hafeneinfahrt, deren Lage bei Nachtzeit ein Leuchtturm mit elektrischem Licht anzeigt, steuert das Schiff in das Hafenbassin. 1200 m ist es lang und 80 m breit. Es ist vorläufig nur an seiner der Weser zugewendeten Westseite dem Verkehr nutzbar gemacht, doch kann auch die Ostseite ohne technische Schwierigkeiten ausgebaut werden.

Den Brennpunkt des Verkehrs bildet die gewaltige Auktions- und Packhalle, ein zweistöckiger Fachwerkbau, welcher sich in einer Länge von nicht weniger als 450 m und einer Tiefe von 20 m dem westlichen Hafenufer entlang zieht. Die durch eine Längswand abgeschiedene vordere Hälfte bildet einen einzigen, nur Auktionszwecken dienenden Raum, während die hintere Hälfte und das obere Stockwerk, in 50 Unterabteilungen von je 9 m Front geschieden, von den Versandgeschäften benutzt wird, um die Fische zum Weiterversand zu verpacken. Hinter der Halle erstrecken sich in gleicher Länge die mächtigen, Hunderttausende von Centnern fassenden Eishäuser. Ein großes, zweistöckiges Restaurationsgebäude, in welchem auch die Postverwaltung ihre Diensträume für Post und Telegraphie, sowie ein Seemannsheim und ein Heuerbureau ihr Unterkommen gefunden, schließt sich südwärts an. Diesem Bau folgt die Güterspedition mit drei großen Laderampen, denen sich ein weitverzweigtes Schienennetz anschließt. Den Beschluß bilden das Hafenmeisterhaus und das Seemannsamt. So enthält der neue gewaltige Bau alles Rüstzeug, um ein ungehemmtes Pulsieren des mächtigen Lebens, welches sich dort abspielt, zu ermöglichen.

Kehren wir zu unserem Fischdampfer zurück! Kaum hat derselbe an die Hafenkoje gelegt, so wird sein Fang, in große Weidenkörbe verpackt, mit Zuhilfenahme von Dampfwinden in .die Halle befördert. Ein solcher etwa 1 Centner fassender „Korb“ bildet die Einheit bei Bemessung der Quantität des angebrachten Fanges. Eine Fangreise, bei der 150 bis 200 Körbe heimgebracht werden, gilt als mittelgut, besonders, wenn größere Mengen Edelfische (Seezungen, Steinbutt, Rotzungen usw.) oder vorwiegend große Exemplare der betreffenden Fischgattungen sich darunter befinden. Oft trifft der Dampfer aber, wenn er stürmisches Wetter gehabt oder ein ergiebiger Fischgrund nicht hat gefunden werden können, mit nur wenigen Centnern ein. Glückliche Reisen haben dagegen öfter auch schon Fänge von 400 bis 500 Körben gebracht. Einige Reisen nach den unerschöpflichen Fischgründen bei Island, die allerdings auch eine Reisedauer von 12 bis 16 Tagen bedingen, lieferten sogar bis zu 800 Körben. Dementsprechend schwanken natürlich auch die finanziellen Erträgnisse einer solchen Reise von wenigen, die Betriebsarten lange nicht deckenden hundert Mark bis zu mehreren tausend. Als bisher in dieser Richtung unerreicht gilt eine Reise während der katholischen Fastenzeit des Jahres 1894, welche bei einem Fang von etwa 500 Körben einen Ertrag von etwa 11000 Mark lieferte.

Im kaufmännischen Verkehr, der mit den von beeidigten Auktionatoren geleiteten Versteigerungen in der Halle beginnt, wird natürlich nicht nach „Körben“, sondern nach Pfunden oder vielmehr Centnern gerechnet. Frühmorgens, im Sommer um 5, im Winter um 6 Uhr, beginnt das geschäftige Leben und Treiben in der Auktionshalle. Die Fänge der Dampfer werden nach der Reihenfolge des Eintreffens derselben jeder für sich versteigert.

Langjährige Erfahrung der Auktionatoren und der Käufer ermöglichen es, daß sich diese Verkäufe in einer für den Laien erstaunlichen Schnelligkeit abspielen. Und das ist nötig, finden doch an verkehrsreicheren Tagen 10 bis 15 Auktionen statt, die in wenigen Stunden beendet sein müssen. Ist eine derselben vorbei, so erscheinen sofort Angestellte der Käufer mit großen eisernen Rollwagen, um die erstandenen Körbe eilends in die Packräume zu bringen, wo sie in oft fieberhaft beschleunigter Arbeit versandfertig gestellt werden. Wieder dienen große Weidenkörbe zur Aufnahme der Fische, in Stroh und Eis sorgsam verpackt, sind sie imstande, auch im Hochsommer an den eigens hierfür eingerichteten Eisenbahnwagen weite Reisen bis nach Süddeutschland und weiter landeinwärts durchzumachen, ohne an Güte zu verlieren. Ist einer der vielen Rollwagen mit Körben voll bepackt, so wird er, wieder im Geschwindschritt, in die Expeditionshalle abgeschoben, wo sein Inhalt in bereitstehende Eisenbahnwaggons verladen wird. Kurz vor Mittag entführt ein Kurierzug die erste Fischladung ins Binnenland, im Laufe des Nachmittags folgt ihm ein zweiter.

Und wie wird der Markt zur Unterbringung solch gewaltiger Massen erschlossen? Wahrlich, nicht mühelos! Intelligenz, zähe Ausdauer auch bei lange erfolglosem Bemühen und großer Aufwand von Geldmitteln sind nötig gewesen, um dem Seefisch den Weg ins Innere Deutschlands zu bahnen, und sie sind noch ständig nötig, um das Absatzgebiet zu behaupten und weiter auszudehnen. Zehntausende und abermals Zehntausende von Offertenkarten und Tausende von Offerttelegrammen fliegen allwöchentlich von den Centralstellen des Seefischversands in alle Welt hinaus. Es gehört ein gutes Kombinationstalent, viel Erfahrung und – viel Glück dazu, die den binnenländischen Kunden zu bestellenden Preise richtig zu treffen, denn diese müssen festgesetzt werden, ehe die Ware am Markt erscheint, ehe der Absender weiß, wie viel derselben, welcher Art und in welcher Qualität sie eintreffen wird. Das ist es, was den Seefischhandel zu einer Art Lotteriespiel macht, bei dem es auch manche Nieten giebt.

Welche Bedeutung die Hochseefischerei schon jetzt für unser volkswirtschaftliches Leben gewonnen hat, sei zum Schluß noch durch einige Zahlen erläutert. Der Gesamtumsatz in Seefischen an der Weser betrug im Jahre 1895 34 968 104 Pfund im Werte von 3 454 676 Mark, während derselbe an der Elbe, in Hamburg und Altona, sich auf 2 998 502 Mark belief. Den ersten kühnen, erfolgreichen Anlauf hat die deutsche Hochseefischerei im verflossenen Jahrzehnt gemacht, schreitet sie auf der betretenen Bahn in gleichen Maße weiter, dann wird der frische Seefisch in wenigen Jahren das sein, was zu werden er verdient, ein Volksnahrungsmittel für ganz Deutschland.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_094.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)