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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

lieber Gott, ich wollte, die Hochzeit wäre vorbei, und das erste Ehejahr auch, bis sie sich ein bißchen eingelebt hätten miteinander! Manchmal, Emilie, manchmal es ist ja freilich Sünde – manchmal denke ich, sie wird nicht glücklich, so sonderbar ist sie jetzt.

Tante Emilie hatte auf den Lippen, zu sagen: Diese Gedanken kommen etwas spät, meine Beste! Wär’s mein Kind gewesen, ich hätte gesagt: Besinne dich einmal, du hast ja den Mann gar nicht lieb! Aber – heiraten, nur heiraten, weiter denkt ihr Mütter nichts! „Weißt du was?“ sagte sie dann laut, „ich hab’ Sehnsucht nach frischer Luft und die Korinthen da sind fertig, ich geh’ die Aenne im Park suchen. Im ganzen Schloßgarten ist kein Weg vom Schnee frei als eben der Mittelgang zur Terrasse empor, und dort läuft sie ja wohl auf und ab und wird leicht zu finden sein. Ich will sie ’mal so ein bißchen ausfragen, die närrische Marjell.“

„Du kannst lange suchen,“ grollte die Rätin, „seit der Herzog hier ist, geht der Schneepflug durch alle Wege.“

„I nä, laß mich nur machen, bin schon lange neugierig auf den Park im Schnee. Und damit erhob sich Tante Emilie und kam nach zehn Minuten, mit einem altmodischen, innen mit Hamster gefütterten Pelz und einer ebenso altmodischen Kapuze angethan, wieder herunter, nickte noch einmal in die Stube hinein und verließ dann das Haus.

Der alten Frau war nachgerade angst und bange um ihren Liebling. Das Mädchen benahm sich in ihren Augen wie eine – na – die nicht auf rechten Wegen geht. „Gott verzeih’ meine Dummheit“, murmelte sie vor sich hin „manchmal denk’ ich, sie trifft den Heinz Kerkow heimlich! Sie geht mit einer Ausdauer spazieren, die vollständig unbegreiflich ist, ebenso unbegreiflich wie das schroffe Ablehnen jeder Begleitung.“

Sie trippelte nun schon innerhalb des Schloßgartens auf dem weißen festen Schnee dahin, ganz leise schneite es weiter, und die winzigen Flocken legten sich wie ein zarter Hauch auf die schwarzseidene Kapuze und den Mantelkragen. Wie schön das war, wie weihnachtlich, und wieviel trauter konnte es noch sein, wenn auch im Hause alles so klar und rein wäre! Die Jungen würden zum Feste kommen, und unter dem Lichterbaume sollte ein Brautpaar stehen – aber das letztere hatte sich Tante Emilie anders gedacht! Die Aenne wurde alle Tage blasser und stiller, und dann wieder war es, als ob sie Reue über ihr Wesen empfände, und sie schwatzte und lachte wie eine, die nicht recht gescheit ist. Und dies ins Theater Gehen, jeden Abend, den Gott werden läßt, das heißt, so oft gespielt wird – – –

Sie war ein paarmal mitgegangen, die Tante Emilie, um zu sehen, ob Aenne des neugebackenen Hofmarschalls wegen hingehe, aber der war nur an einem der Abende erschienen, und da sah Aenne mit ein paar grenzenlos gleichmütigen Augen über ihn weg, und ebenso gleichgültig betrachtete sie seine Braut, das blasse hochmütige Ding, ihr ganzes Interesse gehörte der Vorstellung. Aber das könnte ja auch täuschen, dachte sie, und es kam Tante Emilie vor, als sei dieses Interesse an der Bühne fast zu groß, um natürlich zu sein, einmal war es ihr sogar, als ob Aenne jemand auf der Bühne leicht zunickte.

„Goldköpfchen, wen grüßt du denn da?“ hatte sie gefragt, aber die Antwort blieb Aenne schuldig.

Ach, liebe Zeit, das Kind war ja nur so unstet, so unglücklich, weil es den Kerkow immer in der Nähe wußte, weil’s nicht vergessen konnte, weil’s in seiner Verzweiflung dem Günther in die Arme gerannt war und nun sich graute vor dieser Ehe! Wäre nur erst die Hochzeit droben vorüber und das Paar nach Italien gereist! Aber Gott mochte wissen, was man bis dahin noch erleben würde! –

Die alte Dame blieb am Fuße des Schloßberges stehen, hinter einem kleinen, nun ganz verschneiten Pavillon, um sich an dieser zugfreien Stelle ein wenig zu verschnaufen. Sie hatte bis jetzt in dem weiten Garten nicht einen Menschen erblickt und war schon ganz entmutigt, da hörte sie Kinderstimmen hinter sich, und sich wendend, gewahrte sie Oberförsters Dreie, die Fräulein Stübken an die Luft führte. Der Kleinste saß im Kinderschlitten, der Junge auf der Pritsche und Mariechen zog das Gefährt, Fräulein Stübken endlich stapfte gravitätisch hinterher.

Tante Emilie trat hinter dem Pavillon hervor und begrüßte die Näherkommenden. „Ja, das ist aber ein Vergnügen für euch kleines Volk! Schönen guten Tag, liebes Fräuleinchen – sagen Sie, haben Sie nicht unsere Aenne gesehen? Sie geht hier irgendwo spazieren.“

Fräulein Stübken schlug den Schleier zurück von dem schäbigen Pelzbarettchen, unter dem ihr Gesicht gelblich mit blau-roten Wangen hervorlugte, tupfte sich mit dem Taschentuch die Thränen, die ihr die Kälte herausgepreßt, aus den Augen und sagte, Tante Emilie mit einem eigentümlichen Lächeln ansehend: „Da werden Sie wohl wo anders suchen müssen, Frau Schönberg; im Park ist Fräulein May nicht.“

„Aber – natürlich! Sie geht ja alle Tage her!“

„Ach ja, früher, aber nun schon lange nicht mehr. Sie geht jetzt jeden Tag in die Stadt hinunter, nach der Prinzeß Luisenstraße zu; wissen Sie die?“

„I nä, Fräuleinchen! – Was soll sie denn da?“

Fräulein Stübken trat, vor Kälte zitternd, von einem Fuß auf den anderen, und das Lächeln auf ihrem Gesicht, so ein recht boshaftes Lächeln, schien auch festgefroren. „Was sie da thut? Sie besucht eben das Fräulein Jeannette Hochleitner – ich denke mir, sie singen da miteinander, vielleicht üben sie etwas zur Weihnachtsüberraschung ein für den Herrn Oberförster.“

„Das könnte sein“, gab Tante Emilie schnell gefaßt zu, ob sich gleich innerlich in ihr alles vor Entsetzen empörte, „da werde ich mich hüten, sie zu stören.“

Fräulein Stübken lächelte noch mehr. „Geniert es Sie, Frau Schönberg, wenn wir Sie begleiten?“

Tante Emiliens Wohlwollen für die Hausdame des Oberförsters hatte sich plötzlich in einer Weise abgeschwächt, daß sie es kaum zu einem höflichen „Bitte schön“ brachte; das Lächeln und der Ton der Berichterstatterin hatten ihr in Aennes Seele weh gethan. Das erbitterte Mädchen an ihrer Seite merkte es und begann aus einer anderen Tonart zu sprechen.

„Ich habe schon immer kommen wollen, um Ihnen das zu erzählen, Frau Schönberg“, hub sie an, „die ganze Stadt klatscht davon, die Hochleitner ist doch kein Umgang für Fräulein May! So eine, die – na, ich darf nicht darüber reden! Die Silberschließerin von Ihrer Durchlaucht, die hat sie selbst gesehen droben im Schloß, wo das Theater längst geschlossen war. Ich habe nur immer geschwiegen, weil’s so gehässig aussieht, so als ob – na, mir kann’s ja egal sein, am ersten Januar gehe ich nach Berlin in eine andere Stellung! Aber, sehen Sie, ich bin drei Jahre beim Herrn Oberförster gewesen, und das Hauswesen und die Kinder sind mir ans Herz gewachsen, und da thut’s einem weh, wenn die Leute so reden. Wie ich von meiner Freundin, der Frau Sekretär Busse, höre – die wohnt nämlich auch in dem Hause, wo die Hochleitner gemietet hat, und sieht da alles ein- und ausgehen, die Lakaien des Herzogs mit Blumensträußen und die Kollegen und Kolleginnen vom Theater und so weiter –- wie ich höre, was die sagt. ,Du, Stübken, um Gottes willen, was hat denn nur Mays Aenne alle Tage zu der Hochleitner zu laufen?’ da habe ich Mund und Nase aufgesperrt, hab’s nicht glauben wollen und – dann hab’ ich’s selbst gesehen! War bei der Sekretärin eingekehrt nach dem Spazierengehen mit den Kindern, nur einen Augenblick, denn sie hat unsere Kinder so lieb; also ich sitze da am Fenster mit meiner Tasse Kaffee, die mir die Bussen eben gebracht hat, da sehe ich eine Gestalt herkommen. Hat sich einen dichten Schleier vor das Gesicht gebunden, als ob man Aenne May nicht auch so erkennen müßte – an ihrer Taille. Wer hat denn solche Figur in Breitenfels? Und obendrein der Marderbesatz, den ihr der Herr Oberförster auf das Tuchjäckchen hat nähen lassen! – Und es dauerte denn auch gar nicht lange, da kommt oben durch die Decke das Klavierspiel und das Singen, ganz reguläre Uebungen, und zuletzt ordentliche Lieder, und vergnügt sind sie dabei, alle Augenblick hat’s ein Lachen gegeben, und – sagen Sie selber, Frau Schönberg, es ist doch unpassend im höchsten Grade!“

Sie waren gerade auf dem Schloßplatz angelangt bei diesen Worten, da richtete sich die kleine Tante so hoch auf, daß Fräulein Stübken vor Schreck das Wort in der Kehle stecken blieb.

„Aenne thut nie etwas Unpassendes, verstehen Sie, liebes Fräulein? Und was Ihre Andeutungen über das Fräulein Hochleitner anbetrifft, so rate ich Ihnen, vorsichtiger damit zu sein und – machen Sie doch lieber den Mund zu, es ist Ostwind, der könnte Ihnen leicht eine Halsentzündung bringen. Guten Abend,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_102.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)