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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Sie nickte hastig ein paarmal mit dem blassen verzerrten Gesicht. „Ja!“

„Aenne, und du fühltest das schon lange?“ Er war zurückgetreten, unwillkürlich hatte er den Hut vom Kopfe gerissen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

„Schon immer, ja,“ sprach sie weiter, „ja, gleich von vornherein. – Aber ich wollte doch – weil – das ist ja gleich. Nun will ich nicht mehr, und wenn du darauf bestehst, dann – ja – aber was danach kommt, das trage du auch! Du kannst’s durchsetzen, ja, aber thu’s nicht – thu’s nicht – ich bitte dich, es wird schrecklich, es – –“

Sie sank plötzlich in die Knie; mit ihrer Kraft war es vorbei. Er bückte sich und hob sie empor. „Warum drohst du mir?“ fragte er leise, „was denkst du von mir? Hast du vergessen, was ich dir einst sagte?“

Nicht weit von der Eiche, auf einem schmalen Weg, der in den Wald führte, stand eine Bank, er trug sie dorthin, sie war ihrer zitternden Glieder kaum Herr. Und wie schon einmal hob er sie auf seinen Schoß und hielt ihren Kopf an seiner Brust.

„Nun sage mir alles“, bat er, „du kannst mir vertrauen. Ich habe dich ja groß werden sehen und bin dir ja sonst nicht fremd.“

„Sei nicht so gut zu mir!“ schrie sie auf, „ich kann es doch nicht, was du willst – gieb mich frei – lass’ mich –!“

„Du bist frei, Aenne,“ sagte er und ließ den Arm sinken, „und wenn du mir dein Vertrauen nicht schenken kannst, dann will ich ohne Fragen mein Geschick hinnehmen. Komm, steh auf!“

Aber sie vermochte nicht, sich zu erheben, unter den schmerzdurchzitterten Worten des Mannes war sie in ein wildes Schluchzen ausgebrochen. „Verzeih! Verzeih! Verzeih!“ wiederholte sie in diesem Paroxysmus von Verzweiflung und Reue – „frage mich nicht, ich bin so schlecht, so schlecht!“

„Nein, Aenne, du bist nicht schlecht, du liebst mich nur nicht! Hast es vielleicht geglaubt, mich zu lieben – damals, als du ,Ja!’ sagtest auf meine Bitte, und hast dich geirrt. Du bist noch so jung, und ich muß mir Vorwürfe machen, daß ich die Hand nach dir ausstreckte. Weine nicht, armes Kind, du bist nicht schlecht!“

Sie hörte auf zu schluchzen. Ihr Kopf lag an seiner Schulter und er streichelte ihr Haar und etwas wie süße wohlige Erschlaffung überkam sie nach all dem Jammer. Ein grenzenloses Vertrauen zu diesem guten selbstlosen Menschen mit dem edlen schlichten Wesen, den sie so unerhört gekränkt hatte, schmolz ihren Trotz, schmolz ihre Kälte, ihre Verschlossenheit, sie fühlte den Drang, ihm alles zu gestehen, ihr ganzes Herz zu entlasten. „Ich will es dir sagen,“ flüsterte sie kindlich in sein Ohr. „Sieh, ich war trotzig, war krank im Herzen – ich hatte ihn so lieb, und wie er die andere nahm, da wollt’ ich ihm zeigen, daß“ – sie stockte, sie fühlte sich plötzlich auf den Füßen stehen, an den Schultern gepackt und geschüttelt von der Hand eines Rasenden.

Gespielt mit mir – mit mir? – du! du!“ stieß er hervor. Dann ließ er sie jählings los, daß sie taumelnd zu Boden sank, und dort blieb sie auf den Knien liegen und starrte von Entsetzen gelähmt zu dem Manne hinüber.

Er war auf die Bank zurückgesunken. Die Hände ineinander verschlungen, in vorgebeugter Haltung saß er da und sah zu Boden. Aenne wußte nicht, wie viele Minuten. Endlich stand er auf, nahm den Hut aus dem Schnee. „Komm!“ sagte er mühsam, „hier kannst du nicht bleiben.“

„Hermann!“ schrie sie und rutschte auf den Knien zu ihm hinüber. „So hatte ich es ja nicht gemeint! Daran hatte ich nicht gedacht!“

„Steh auf,“ unterbrach er sie, „ich bin dir ja dank schuldig, daß du den Mut noch gefunden hast mich aufzuklären, den Mut der Verzweiflung in der letzten Stunde!“ Er half ihr, sich emporzurichten. „Du machst’s mir leicht, das Scheiden! Komm, die Eltern werden dich vermissen.“

„Die Eltern!“ stammelte sie. „Die Mutter!“

„Hast Angst, vor sie zu treten mit deinem Geständnis?“ fragte er bitter, ohne sie anzusehen. „Nun – – dann werde ich dir das abnehmen. Fürchte nichts, ich verrate nichts von dem – dem andern, werde ihnen nur sagen, daß es uns beiden nach reiflicher Ueberlegung ratsam scheine, zu scheiden – daran müssen sie sich genügen lassen!“

Sie waren nach raschem Wandern jetzt auf den Schloßplatz getreten und angesichts der erleuchteten Fenster ihres Elternhauses überkam es Aenne wie ein Fieberschauer, da ihr das Unerhörte ihres Benehmens diesem Manne gegenüber klar wurde. Sie blieb vor ihm stehen und hob die gefalteten Hände empor – er ging vorüber, als sähe er ihr Gebaren nicht.

„Willst du mir nie verzeihen?“ rief sie und erfaßte den Aermel seines Jagdrockes mit zitternden, krampfhaften Fingern, „du weißt ja nicht, was ich gelitten!“

Sein Fuß stockte noch einen Augenblick, der Aermel entglitt ihrer Hand. Er schritt die Stufen hinauf, öffnete die Hausthür und trat zur Seite, um sie einzulassen „Leb’ wohl, Aenne,“ sagte er ernst, indes sie an ihm vorübereilte in stürmischer Hast, kaum wissend, wie sie durch den Flur kam und die Treppe empor.

Als die Rätin aus der Stube ihres Mannes schaute, um zu sehen, wer eingetreten sei, erblickte sie im schwachen Schein des Flurlämpchens nur den Oberförster, der regungslos dastand, den Hut auf dem Kopfe, die Hände im Jagdmuff, und zu der Treppe hinüber starrte.

„Herrgott – du bist es, Günther? Hast du Aenne nicht gesehen?“ rief sie. „Ums Himmels willen, es ist ihr doch kein Unglück geschehen?“

Da wandte er sich schwerfällig um, nahm den Hut vom Kopfe mit einer müden Bewegung und sagte: „Ich habe sie gesehen und gesprochen, sie ist eben nach oben gegangen. – Und jetzt möchte ich mit Ihnen reden, Frau Rat, und mit Ihrem Manne.“

Sie schwieg betroffen von seinem Aussehen, seiner Stimme, und bedeutete ihn durch eine Handbewegung, einzutreten.

„May“, sagte sie gepreßt ins Zimmer hinein, „Günther hat uns etwas mitzuteilen.“

(Fortsetzung folgt.)


Goethes „Schöne Mailänderin“.
(Mit dem Bildnis auf Seite 101.)

Durch den Eifer und das Finderglück eines für Goethe begeisterten Italieners ist soeben die Galerie der Mädchen und Frauen, die auf Goethes Herz und Dichtung Einfluß gewannen, um ein interessantes reizvolles Bildnis vermehrt worden. Und zwar zeigt uns das von Angelika Kauffmann stammende Gemälde die Züge eines Weibes, dessen Leben, ja dessen Name bis in unsere Tage in völliges Dunkel gehüllt blieb, während es doch von allen Italienerinnen, die den für Italien so eingenommenen Dichter entzückten, die einzige war, die eine tiefe, ernste Neigung in ihm geweckt hat. Ohne ihren Namen zu nennen, hat Goethe später seine Beziehungen zu dem schönen Mädchen in dem Buche „Italien“ aus der Erinnerung dargestellt, und wie er sie dabei kurz als die „schöne Mailänderin“ bezeichnete, so ist sie als die „schöne Mailänderin“ unsterblich geworden. Da gelangten vor einigen Jahren zwei Goetheforscher, der Italiener Carletta und der Deutsche Adolf Stern, fast gleichzeitig zu der Feststellung, daß die von Goethe gefeierte – Maddalena Riggi geheißen habe. Und diese erste Entdeckung führte Carletta in Rom zu der zweiten, welche die Leser der „Gartenlaube“ heute in die Lage versetzt, die „schöne Mailänderin“, wenn auch etwas älter als der Dichter sie sah, im Bilde kennenzulernen. Darüber, wie er zu dem Funde gelangte, hat er im Januarheft der „Vita Italiana“ das Nähere mitgeteilt.

Goethe hatte bereits ein Jahr lang in allen Gegenden Italiens seine heiße Sehnsucht nach der Heimat seiner Kunstideale befriedigt, als er im Oktober 1787 während eines Landaufenthalts in der Umgebung von Rom die Bekanntschaft von Signorina Riggi machte. Eine arbeitsreiche Zeit lag hinter ihm. Neben dem unermüdlichen Studium der herrlichen Kunstschätze Italiens war die klassische Neugestaltung seiner „Iphigenie“, seines „Egmont“ einhergegangen, hatte er im Wetteifer mit den in Rom ansässigen deutschen Malern, vor allem mit der ihm tiefsympathischen Malerin Angelika Kaufmann, die als Gattin des Malers Zucchi seit langem in Rom lebte, die Ausbildung seines Talents zur Malerei sich angelegen sein lassen. Dabei quälten ihn Zweifel, ob die Malerei nicht sein eigentlicher Beruf sei. Als er eines schönen Herbsttags der Einladung des ihm befreundeten englischen Kunsthändlers Jenkins folgte, dessen Villeggiatur in Castel Gandolfo zu teilen, weitete eine fröhliche Ferienstimmung sein Herz. Wie er berichtet, hatte er sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_107.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)