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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„zeither bis zur trockenen Unhöflichkeit von den Frauen ferngehalten“, jetzt fand er sich bereit, in ungezwungenem Behagen an der harmlos heiteren Geselligkeit teilzunehmen, die sich in dem geräumigen Palazzo des Gastfreundes ihm darbot. Die Gegend, welche Castel Gandolfo beherrscht, ist eine der großartigsten und zugleich lieblichsten von ganz Italien. Das Städtchen liegt auf einer Anhöhe zwischen Albano und dem Albaner See, zu Füßen des dichtbewaldeten Monte Cavo, so daß der Blick ungehemmt über das weite Trümmergefild der Campagna schweifen kann. Der Dichter hatte sein Malgerät mit herausgebracht, bald aber fand er die Geselligkeit in dem Jenkins’schen Freundeskreise, zu dem auch Angelika zählte, so anziehend, daß er die vergeblichen Versuche bald aufgab, die hier waltende Schönheit der Natur sich als Maler zu eigen zu machen. Er that es als Dichter, und der ihm die Binde von den Augen nahm und ihn aufklärte über seinen Beruf, das war Amor, der heitere Gott, der von Anbeginn Goethes Lehrmeister in der Dichtkunst gewesen!

So hat er selbst die epochemachende Wandlung in dem prächtigen Gedicht dargestellt, das damals entstanden ist. „Amor als Landschaftsmaler.“ Er schildert darin sich selbst, auf einem Felsen sitzend und müßig in den Nebel starrend, der seinen Blicken die Landschaft verbirgt. Da tritt Amor zu ihm und schilt ihn ob seines Müßiggangs. Er müsse ihm zu Hilfe kommen und ihn ein hübsches Bildchen malen lehren. Dabei streckt er den rosenroten Zeigefinger in die Luft und beginnt zu malen – eine entzückende Landschaft mit blauen Bergen in der Ferne, mit grünen Hainen und blumigen Wiesen, und mitten auf einer derselben ein „allerliebstes Mädchen“,

„Wohlgebildet, zierlich angekleidet,
Frische Wangen unter braunen Haaren,
Und die Wangen waren von der Farbe
Wie das Fingerchen, das sie gebildet.“

Und nun bringt der Hauch des Gottes auch Leben in das Bild, die Wipfel der Bäume, die Wellen des Flusses beginnen sich zu kräuseln, das Mädchen erhebt sich und kommt auf ihn zu.

„Da nun alles, alles sich bewegte,
Bäume, Fluß und Blumen und der Schleier
Und der zarte Fuß der Allerschönsten,
Glaubt ihr wohl, ich sei auf meinem Felsen
Wie ein Felsen still und fest geblieben?“

Die „Allerschönste“, die sich so dem Dichter zum Genius der heiteren Anmut seiner Umgebung verkörperte, ihn wieder zum naiven Dichter machte, zugleich sein Herz zur Leidenschaft entflammend, stammte aus Mailand, lebte aber, verwaist, seit kurzem in Rom bei ihrem Bruder, der im Geschäft des Mr. Jenkins einen Vertrauensposten bekleidete. Als Goethe sie zuerst sah, war sie in Gesellschaft einer jungen Römerin, neben welcher ihr blonderer Schönheitstypus besonders hervortrat: „dunkelbraune Haare die Römerin, hellbraune die Mailänderin; jene braun von Gesichtsfarbe, diese klar, von zarter Haut, diese zugleich mit fast blauen Augen, jene mit braunen, die Römerin einigermaßen ernst, zurückhaltend, die Mailänderin von einem offenen, nicht sowohl ansprechenden als anfragenden Wesen.“ Mehr noch als ihre Schönheit übte die geistige Regsamkeit und Zutraulichkeit dieses Mädchens, das erst der Zufall, dann der eigene Wunsch gleich nach der ersten Begegnung wiederholt zu seiner Nachbarin machte, auf ihn einen bezwingenden Zauber aus. Schon war der Achtunddreißigjährige im Begriff, seiner Empfindung gegen sie offene Sprache zu leihen, da brachte ihn ein Zufall zur jähen Erkenntnis, daß er sich in die Braut eines andern verliebt hatte. Die Erschütterung seines Gemüts war so stark, daß er sogleich die Gesellschaft verließ und auch noch an den folgenden Tagen auf weiten Spaziergängen die Einsamkeit suchte.

Aber die Erinnerung an früher Erlebtes half ihm, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Sollte ihn in Rom nochmals das Schicksal treffen, das er in seinem „Werther“ einst hatte darstellen müssen, in dem Rom, das er aufgesucht, um sein von der Leidenschaft für Charlotte von Stein noch krankes Herz in einem nur der Kunst geweihten Leben gesunden zu lassen? Angelika Kauffmann ward die Vertraute dieser Herzenskämpfe, aus denen der Dichter bald genug als Sieger hervorging. Es gelang ihm, für den Verkehr mit Maddalena wieder den Ton der anfänglichen Harmlosigkeit zu finden, doch hat er bis zu seiner Abreise nach der Heimat nicht aufgehört, ihr den herzlichsten Anteil zu widmen. Als er später in Rom erfuhr, daß die Verlobung Maddalenas zurückgegangen und sie infolgedessen in schwere Krankheit verfallen sei, sandte er täglich zu ihrem Bruder, um seine Teilnahme zu bekunden. Es war ihm vergönnt, einen guten Ausgang dieser Krisis zu erleben. Und als er schweren Herzens schließlich von Rom aufbrach, war sie es, die ihm noch einmal als guter Genius des geliebten Landes entgegentrat und ihm den Abschied durch ihre reinen Sinnes dargebrachten Segenswünsche verklärte! Ein halbes Jahr später konnte ihm die treue Angelika die Anzeige von Maddalenas glücklicher Verheiratung mit dem jungen Valpato, dem Besitzer einer Porzellanfabrik in Rom, machen, an dessen Seite die schöne Mailänderin in glücklicher Ehe eine treue Römerin wurde.

Als Signora Valpato hat Angelika Kauffmann sie dann gemalt. Die Züge des reizenden Angesichts machen uns den Eindruck begreiflich, den das Mädchen auf unsern großen Dichter in naiver Unbefangenheit ausgeübt hat, nicht minder das poetische Bild, das dieser von ihr als „Schüler Amors“ in Castel Gandolfo entworfen!

Joh. Proelß.


Washington.
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
In Wort und Bild geschildert von Rudolf Cronau.

Das Weiße Haus und das Jackson-Denkmal.

Unter den Großstädten der Erde ist Washington, die politische Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Nordamerika, unstreitig eine der eigenartigsten. Ihr Ursprung läßt sich nicht, wie derjenige der meisten Städte, auf Handelsinteressen zurückführen, die da oder dort die Anlage größerer Ansiedlungen wünschenswert scheinen ließen; auch ist sie nicht wie mancher andere Platz zu Zwecken der Landesverteidigung gebaut worden, und ebensowenig zählt sie zu der Gruppe solcher Städte, die aus irgend einem Grunde religiöse Bedeutung erlangten. Washington wurde einfach auf Bestellung, und zwar zu Zwecken der Regierung der Vereinigten Staaten, gebaut.

Dies trug sich folgendermaßen zu:

Nachdem im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts die dreizehn englischen Kolonien der Ostküste Nordamerikas sich von der englischen Herrschaft losgerissen und einen selbständigen Staatenbund aufgerichtet hatten, führte die Regierung desselben die ersten zehn Jahre hindurch ein unstetes Dasein. Man hatte sich noch nicht entschieden, wo der Sitz der Bundesregierung sein solle; bald tagte der aus Abgeordneten aller Staaten bestehende Kongreß in New York, bald in Philadelphia, Baltimore, Trenton oder Annapolis. In Philadelphia ereignete es sich im Jahre 1783, daß ein Pöbelhaufen eines Tages in die Sitzungsräume des Kongresses drang und die Mitglieder desselben verjagte. Die Thatsache, daß die Behörden der Stadt keine Anstalten trafen, um den Kongreß gegen derartige Vorkommnisse zu schützen, rief das Verlangen wach, daß derselbe einen Zusammenkunftsort besitzen möge, über den ihm allein die Verfügung und Gerichtsbarkeit zustehe. Dieser Gedanke fand allgemein Zustimmung und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_108.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)