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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Lieber Gott,“ sagte letztere, „wenn doch deine Mutter etwas ruhiger wäre! Sie bringt sich ja ganz hin!“

„Es thut mir auch so leid,“ klagte Aenne, „aber – ich kann’s nicht ändern, Tante.“

Die alte Dame seufzte, dann ward’s wieder still. Nach einer Stunde ging draußen eine Stubenthür, die Damen verließen das Haus, sie sprachen bei der Verabschiedung alle miteinander, der Lärm drang bis in das stille Zimmer. Dann energische, kurze Schritte, die Hausfrau riß die Thüre auf, eine flackernde Röte lag unter den thränenfunkelnden Augen.

„Wenn ich den Schlag nicht kriege, dann soll’s mich wundern,“ sagte sie keuchend. „Ei Gott! Ei Gott! –“ Sie stieß eine Fußbank zur Seite und band ganz unmotivierterweise ihre Schürze ab, um sie gleich darauf wieder anzulegen.

„Weißt du, was sie sprechen in der Stadt?“ fragte sie, endlich vor Aenne stehen bleibend.

„Nein, Mama, es ist mir auch gleichgültig.“

„So? Mir aber nicht, wenn man erzählt, du habest dich auf den Kerkow gespitzt gehabt und aus purer Wut den andern nehmen wollen!“

Aenne sprang empor, alles Blut war aus ihrem Gesichte gewichen. „Ah!“ stieß sie hervor, „wer sagt das?“

„Wer? Ja, wer! Siehst du, das ist dir nun doch außerm Spaß! Nun stopfe ’mal die Lügenmäuler!“

Aenne saß schon wieder, sie antwortete nichts mehr.

„Ich habe den Damen meine Meinung wahrlich nicht vorenthalten, redete die Mutter weiter“, sie lügen ja den Himmel mit der Hölle zusammen! Wahrscheinlich habest du ein Vögelchen singen hören, daß da droben nicht alles mehr stimmt zwischen dem Brautpaar – erzählt man sich, und darum habest du den Bruch herbeigeführt mit Günther“ – „Herrgott!“ sie preßte die Handflächen gegen die Schläfen und gab dem unglücklichen Fußschemel einen Stoß in entgegengesetzter Richtung, daß er durch die halbe Stube flog.

Aenne erhob sich und schritt stumm hinaus. Sie wußte kein Wort von diesem Zerwürfnis, niemand hatte je zu ihr etwas davon erwähnt, sie dachte überhaupt nicht darüber nach. Aber daß ihr Geheimnis auch nur andeutungsweise bekannt war, das brannte sie wie Feuer. Eine Viertelstunde später pochte sie bei Fräulein Hochleitner an; natürlich wußte auch sie bereits von der Entlobung Aennes.

„Jesus Maria!“ rief diese, als sie das blasse Gesicht ihrer jungen Freundin sah. „Ist’s wahr?“

Aenne streckte ihr die Hand hin, der Goldreif fehlte. „Fragen Sie mich nicht weiter, ich kann nicht mehr davon sprechen,“ bat sie.

„Aber, Schatzerl, wo werd’ i! Sagen S’ mir nur, ist’s Ihna nun leichter ums Herz?“ „Ach, liebes Fräulein!“ flehte Aenne.

„Ja, und was fangen S’ denn nun an, wenn S’ net heiraten?“

„Lernen will ich – nach Berlin oder Dresden will ich, auf eine Musikschule!“

„Schauen S’ a’mal an! Und sind die Herren Eltern mit einverstanden?“

Aenne senkte den Kopf. „Ich weiß es nicht, noch sprach ich nicht mit ihnen darüber – ich bin noch so matt von gestern von alledem – – und der Sturm wird auch besser dann erst entfesselt, wenn die Brüder nach dem Fest wieder abgereist sind, die würden mich auch nicht verstehen, und es soll doch Friede sein am Friedensfest.“

„Sie meinen, die Eltern wer’n net gleich Ja und Amen sag’n?“

„O, lieber Himmel, nein! Aber, bestes Fräulein Hochleitner, ich kam mit einer Bitte her.“

„Schießen S’ los, mein arm’s Hascherl – wie sie blaß ausschaut – wenn’s in meiner Macht steht, will i ’s thun!“

„Darf ich Ihnen die Hochzeitskantate vorsingen?“

„Weiter nichts? Hab g’meint wunder was! Geh’n S’ her – da – vier Kraizerl sind’s – i markier’ jetzt das Orgelvorspiel, einundzwanzig Takt’ – so –“

Sie setzte sich ans Klavier und begann das Vorspiel. Aenne sang, verschleiert, mit halber Stimme, als quöllen ihr Thränen in der Kehle empor.

„Glauben Sie, daß ich wagen könnte, das zu singen vor Zuhörern?“ fragte sie dann.

„Aber warum denn net, wenn S’ richtig disponiert sind? Denn wissen S’, das muß sich anhör’n wie Glockengeläut und Engelstimmen, dös is mächtig, dös packt!“

„Natürlich! aber wenn ich mir Mühe gebe?“ „Ja, keine Frag’, freilich können S’ es singen!“ „Dann kommt meine Bitte, Fräulein Hochleitner.“ „Nun?“

„Sehen Sie,“ begann Aenne, „ich möchte gern, daß meine Eltern und Brüder mich einmal öffentlich singen hören, bevor ich ihnen eröffne, was ich vorhabe, und eine andere Gelegenheit wüßte ich in Ewigkeit nicht. Thun Sie mir den Gefallen, werden Sie kurz vor der Trauung der Ribbeneck – heiser, bitte, bitte, und dann lassen Sie mich für Sie eintreten!“

Fräulein Hochleitner machte eine Wendung auf dem Drehsessel und blickte das vor ihr stehende Mädchen mit unverhohlenem Staunen an. „Dös versteh i halt net“, sagte sie auf echt Wienerisch, „Sie wollen singen zum Kerkow seiner Hochzeit?“ Dann begann sie zu lachen. „O Sie Schlaukopferl, dös hätt’ i Ihn’n gar net zutraut! Wie S’ dös ausdacht hab’n, so fein! Aber dös is ka Sünd, da thu’ i mit! Um ein Viertel vor drei Uhr am dritten Feiertag pünktli auf d’ Minut’ werd’ i heiser, und a halb’ Stünderl später singen S’, dös heißt, wenn aus der ganzen Geschicht’ no was wird, denn kan halb’n Kreuzer geb’ i dafür.“

„Wie denn? Was soll denn das heißen?“ fragte Aenne gepreßt.

„Ja, haben S’ denn davon net g’hört? Dös weiß doch jed’s Kammerkatzerl drob’n im Schloß! ’ne arge Krempelei hat’s geb’n zwischen dem Paar, die Herzogin hat erst a Machtwort sprechen müss’n, daß ’s einigermaß’n wieder auf d’ Gleich kam, man sagt, wegen dem armen Hascherl, der Schwester von ihm, sei’s kommen, i glaub’, er hat’s gern woll’n in sein Haus nehm’n, das Wuzerl, das blasse! Aber die z’widere Person, die Braut hat’s net gewollt, hat förmli Wutkrämpf’ kriegt und hat g’sagt, er sollt’ wähl’n zwischen ihr und der Schwester, und da –“

„Und da?“ wiederholte Aenne.

„Hat sie halt ihr’n Willen durchg’setzt. Jesus Maria, ’s is a Kreuz und a Elend in der Welt mit die Männer, die sich immer als Herrn aufspielen und sich dann doch all’weil ducken.“

„Er wird sie eben sehr lieb haben,“ sagte Aenne tonlos.

Die Sängerin lachte, daß ihre blendend weißen tadellosen Zähne hinter den roten Lippen sichtbar wurden. „Lieb?“ rief sie „lieb? Sie heilige Unschuld, Sie! Jetzt sein S’ net bös, jetzt muß i lachen, dös glaubn S’ doch selber net. Na, also den Hochzeitspsalm woll’n S’ ihm sing’n? S’ is recht so! Aber machen S ’s brav, sonst schadt’s Ihn’n mehr, als es nutzt. – –“

Aenne fragte nicht mehr. Als sie nach Hause gekommen war, stellte sie sich ans Fenster und schaute zu dem Lichte hinauf, als könnte sie durch die Mauer hindurch, direkt in Heinz Kerkows Herz sehen. Ob es wahr ist? ob es wahr ist? fragte sie, ob er unglücklich ist, schon jetzt? Warum aber hatte er nicht den Mut, den sie gehabt, die Fessel zu durchreißen? Oder war das sein Mut, daß er festhielt an dem, was er gewollt?

Vielleicht – vielleicht war sie die Feige gewesen! Ja, ja, ihr hatte gegraut vor dem Leidensweg! Günther hatte ihn ihr ja selbst geschildert, ohne Liebe geht es nicht!

„Es geht nicht!“ murmelte sie zu dem Lichte hinauf, als wollte sie ihn warnen. „Im übrigen aber will ich zeigen, daß ich nicht feige bin, will mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich will nützen in der Welt, erfreuen aber ohne Zwang, ich will frei sein, ich will das Recht haben, zu trauern um eine verlorne Liebe, ohne daß die Trauer zur Sünde wird – ich will leben!“


Frau von Gruber war noch ganz krank von den Aufregungen der letzten vierzehn Tage. Nicht allein, daß sie sich mit der Beschaffung der Aussteuer und der Toiletten für die Braut neben dem Dienst bei Ihrer Durchlaucht, der sie mehr als je in Anspruch nahm, schachmatt gemacht hatte, da mußte auch noch der schreckliche Tag kommen, der so viel lange

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_119.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)