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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Die Hochmoore bilden fast ausschließlich den Schauplatz der sogenannten Moorausbrüche. Das Gemeinsame dieser Erscheinungen ist nach den Forschungen von Dr. Klinge folgendes: Zunächst zeigt sich ein blasenförmiges Auftreiben des Moores und während des Ausbruches finden mehrfach Detonationen, von Bodenerschütterungen begleitet, statt. Die eigentliche Eruption wird eingeleitet durch plötzliches Bersten der hochgespannten, verfilzten Moordecke, worauf dünnflüssige bis breiartige Schlammwasser heraustreten und sich in die Umgebung ergießen. Nach dem Ausbruch findet schnelles Erstarren der Schlammwasser statt und das Moor sinkt an der Ausbruchsstelle zusammen, an welcher dann meist eine trichterförmige Vertiefung entsteht. Senft sieht die Ursache dieser gelegentlichen Ausbrüche in der Lage der Hochmoore selbst. „Findet sich,“ sagt er, „ein Hochmoor auf schiefer Unterlage, so kann dadurch, besonders in recht nassen Jahren Veranlassung zu einem Ausbruch gegeben werden. Frischer, noch in seiner Bildungsstätte lagernder Torf besitzt ein außerordentlich starkes Wasseraufsaugungsvermögen, so daß er unter geeigneten Umständen bis zum doppelten seines ursprünglichen Umfanges aufzuquellen vermag. Wenn ihm nun in nassen Jahren, nachdem er einmal vollgesaugt ist, noch mehr Wasser zugeführt wird, so muß seine Masse infolgedessen, ähnlich einem in Gärung befindlichen Mehlteige, so stark aufgetrieben werden, daß sie ihre Lagerstätte überschreitet, aufplatzt und sich nun in wildem, schwarzschlammigen Strome über das umliegende Land ergießt.“

Mit dieser Erklärung stimmen die beim Moorausbruche bei Killarney jüngst beobachteten Erscheinungen überein. Auch dort ist das Moor nach starken Regengüssen geplatzt und der schwarze Schlammstrom ergoß sich in einer Mächtigkeit von 30 Fuß die Hügel hinab, alles verschlingend oder vor sich herschiebend, bis auf eine englische Meile Entfernung von der ursprünglichen Ausbruchstelle.

Man darf also nicht, wie vielfach in den Tagesblättern geschehen ist, von einem „wandernden Moore“ sprechen, sondern nur von einem geplatzten Moore oder einem Moorausbruch. Merkwürdig ist unter Annahme der von Senft gegebenen Erklärung, daß Moorausbrüche so überaus selten vorkommen, während man doch erwarten sollte, daß sie in der regenreichen Jahreszeit häufiger einträten. Diese Seltenheit hat in der That Zweifel an der Richtigkeit dieser sonst sehr einleuchtenden Erklärung hervorgerufen, und manche Forscher sind geneigt, die Moorausbrüche auf Gasansammlungen und Explosion derselben zurückzuführen. Daß solche Gasansammlungen tatsächlich unter der oberflächlichen Bedeckung der Moore stattfinden, haben wir bereits kennengelernt, von heftigen Explosionen derselben, welche zu Ausbruchkatastrophen führten, weiß man aber nichts. Der oben erwähnte Botaniker Klinge hält daher beide Erklärungen für nicht zutreffend und meint, Moorausbrüche könnten nur durch ganz ungewöhnliche Ereignisse veranlaßt werden. Als solche bezeichnet er Erderschütterungen und Erdstürze zusammen mit plötzlichen unterirdischen Wasserergüssen in das Moor. Diese Flüssigkeitsmassen, sagt er, zertrümmern den Torf mechanisch, vermischen sich mit ihm, verflüssigen ihn und brechen mit ihm aus. Die meisten Ausbrüche von Mooren kommen in Irland vor, weil dieses zum großen Teil auf Kalkgebirge liegt. In keiner anderen Gebirgsart sind aber Erdstürze so häufig als in dieser, in welcher durch Auswaschung große Höhlen mit gewaltigen Wassermassen entstehen. Nach solchen Erdstürzen müssen aber die unter hohem Druck stehenden Wasser emporsteigen, das Moor durchsetzen und zum Abfließen bringen. Einen Beweis dafür, daß eine mechanische Zertrümmerung der Torfmassen und keine Auflösung und Verflüssigung derselben stattfindet, sieht Klinge in der Thatsache, daß man fortgeschwemmte Torfschollen weit von ihrem Entstehungsorte antrifft, und zwar rühren diese Torfstücke von den obersten Moorschichten her. Ueber die Ursache der Moorausbrüche sind also die Forscher zur Zeit noch nicht einig und von den mitgeteilten Erklärungen hat jede etwas für sich, ohne daß von allen Erscheinungen dadurch Rechenschaft gegeben würde.


Der Marienplatz in München zu Ende des 15. Jahrhunderts.

(Zu dem Bilde S. 136 und 137.)

Der alte „Schrännen“ – wie früher der Marienplatz zu München hieß – hat sich zwar im Laufe der Jahrhunderte nicht so stark verändert, daß man ihn nicht auf den ersten Blick erkennen würde, aber was sich auf ihm vor vierhundert Jahren an einem schönen Morgen abspielte, davon werden doch wenig Passanten, welche heute dort auf die Pferdebahn warten, einen rechten Begriff haben. Deshalb ist es sehr interessant, das nach den alten Stadtbüchern hergestellte Weigandsche Bild des damaligen Münchener Marktplatzes zu betrachten, welcher noch in ganz anderem Sinne als heute Stadtcentrum und Schauplatz alles irgendwie Sehenswürdigen war. Feste und Versammlungen, Turniere, Sonnenwendfeuer, Schäfflertanz und Metzgersprung fanden dort statt, aber auch Prangerstehen und Hinrichtung, so daß die guten Münchener oft genug etwas zu sehen hatten, das über das gewähnliche Markttreiben hinaus die Gemüter in Erregung setzte. Auch dieses war ohne Zweifel bunt genug. Die Bevölkerung der Stadt war wohl nicht groß, sie betrug im Jahre 1782 erst etwa 37800 Seelen. Immerhin mag ein schönes Gedränge auf dem Platz geherrscht haben, wenn Getreide-, Vieh- und Viktualienmarkt ihn und die angrenzenden Straßen füllten vor allem aber zur Zeit der zweimal im Jahre wiederkehrenden „Dult“ (Messe), die sich mit ihren Verkaufs- und Schaubuden weit in die Kaufingergasse hinein erstreckte.

Es gehörte die ganze Geduld der guten alten Zeit dazu, um das vergnüglich zu finden!

Denn der mäßig große Platz war ja nicht, wie heute, freigelegt, er trug, nahe dem „Lindwurmeck“ der Weinstraße (so genannt von einem furchtbaren Drachen, der sich hier einst niedergelassen und die Pest mitgebracht haben sollte), die uralte „Gollierkapelle“, welche seitwärts rechts auf unserm Bilde steht. Außerdem befanden sich abwärts davon gegen das Rathaus zu die verschiedenen, vom Maler als Mittelpunkt der Scene genommenen Bußanstalten welche zu betrachten das Volk in Haufen herbeiströmte. Da ist erstens der Pranger mit seiner Garnitur von alten und jungen Spitzbuben im unteren Gelaß, auf die niemand achtet, weil aller Augen von dem ergötzlichen Schauspiel der Plattform gefesselt sind: zwei böse Weiber, deren wütendes Gebelfer ohne alle Thätlichkeit verhallen muß. Es sind ja die erhitzten Köpfe und kratzlustigen Hände allzugut in der durchlöcherten Holzdiele befestigt!

Ferner steht da der in alten Schriften vielgenannte Hölzerne Esel, welchen besteigen mußte, und zwar verkehrt, wer durch Raufereien, leichtsinnige Streiche oder sonst durch Wort und That Aergernis gab, also etwa dasjenige verübte, was heute unter den Begriff des „groben Unfugs“ fällt. Eine auf dem Rücken angebrachte Schrift belehrte alle, welche lesen konnten, über die Gründe des unfreiwilligen Rittes. Hinter beiden Schandplätzen aber ragte der böseste von allen, der Galgen, empor, dessen finsterer Meister vom langen Richtschwert auch die „minderen Geschäfte“ des Stäupens und Prangerstellens zu versehen hatte. Die soliden Nerven damaliger Zeit nahmen keinen Anstoß an dem greulichen Schauspiel, welches sich hier jeweils den umwohnenden und aus dem Fenster schauenden Bürgern und ihren Frauen darbot.

Köpfen und Hängen waren gewöhnliche Sachen. Außergewöhnliches Interesse gewannen sie nur durch besondere Umstände, so z. B. im Jahre 1591, als ein italienischer Schwindler mit einem vergoldeten Strick gehängt wurde, weil er dem Herzog Wilhelm V. vorgelogen, er könne Gold machen. Daß er’s nicht konnte, hatte der Herzog zu seinem Schaden nur allzuwohl erfahren, zur größeren Vorsicht aber erschoß man doch hinterher auch noch des Gerichteten zwei große schwarze Hunde, denn die Möglichkeit, daß in ihnen höllische Dämonen steckten, schien doch bei alledem nicht ausgeschlossen!

Heute steht an der Stätte so vielen Schreckens die stets blumenumgebene Mariensäule mit dem Bild der Himmelskönigin, welche Kurfürst Maximilian als Dank für seinen Sieg am Weißen Berge 1620 errichten ließ. Den in Bayern so tief gewurzelten Marienkultus bezeichnet auch das auf unserm Bilde dem Lindwurmeck gerade gegenüber liegende Eckhaus der Rosengasse, wo das Bild der Gottesmutter mit der Bezeichnung. „Rosa mystica“ angebracht war. Der vor dem Hause befindliche Blumenmarkt eröffnete anmutig den Zug der hier beginnenden Rosengasse.

Im Rücken des Beschauers ist das alte Rathaus zu denken, dessen ursprünglich gotische Gestalt erst wieder vor einigen Jahrzehnten aus einer unglücklichen Zopfrestauration des Jahres 1778 hergestellt wurde.

Ueber all dies bunte Treiben, das uns durch das Weigandsche Bild vergegenwärtigt wird, schauen die Türme der Frauenkirche herab, der eine bereits vollendet, der andere im Bau. Ursprüglich, als München noch ein kleiner Flecken war, stand an ihrer Stelle eine bescheidene Marienkapelle, in welcher nachmals die Leiche Ludwigs des Bayern beigesetzt wurde. Später erweiterte man, dem Wachstum der Stadt entsprechend, den Bau, und 1468 legte Herzog Sigismund den Grundstein zur jetzigen Kirche, die dann langsam fortgebaut wurde, weniger durch Spenden der selbst stets geldbedürftigen Herzöge, als durch Beisteuern des frommen Volkes und ausgiebige, von den Päpsten bewilligte Ablaßgelder. Der Baumeister Jörg v. Halspach erlebte die Vollendung der Kirche nicht mehr. Erst nach seinem 1488 erfolgten Tode wurden die Türme ausgebaut und die runden Helme aufgesetzt, welche heute dem Münchener Stadtbild ein so eigenartiges, von allen andern verschiedenes Gepräge geben und den über die weite bayrische Ebene Herfahrenden schon von ferne verheißungsvoll grüßen. R. Artaria.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_140.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)