Seite:Die Gartenlaube (1897) 148.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Das Neuberhaus zu Laubegast. (Mit Abbildung) In dem nahe bei Dresden gelegenen Laubegast ist vor kurzem ein kleines baufälliges Häuschen abgetragen worden, das die Bedeutung einer Sehenswürdigkeit hatte, das Neuberhaus, wie es unsere Abbildung zeigt. Die Inschrift: „Hier starb Caroline Neuber am 30. Nov. 1760“ war über der Thür auf einer Tafel zu lesen. An den Namen der „Neuberin“, deren Geburtstag sich am 9. März d. J. zum zweihundertstenmal erneut, knüpfen sich glanzvolle Erinnerungen der deutschen Theatergeschichte. Das große Reformwerk, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus dem Theater in Deutschland ein Institut nationaler Kunstpflege machte, befähigt, dem Genius Lessings, Schillers, Goethes würdig zu dienen, hatte in dem energischen Geist dieser bedeutenden Frau den erfolgreichsten Pionier. In einer Zeit, da – wie Schiller später klagte – keines Mediceers Güte der deutschen Kunst lächelte, da auf den deutschen Hoftheatern nur italienische Opern- und französische Schauspieltruppen gesehen wurden, die deutsche Volksbühne aber vom Possenreißer beherrscht war, gelang es der Neuberin, die ersten Schauspielkräfte der Nation zur Gestaltung von Aufführungen zusammenzufassen, welche der deutschen Bühnendichtung das Interesse der Gebildeten eroberten. Mit ihrer Truppe, in der sie auch als hervorragende Schauspielerin wirkte und für welche sie das Privileg von „churfürstlich sächsischen Hofkommödianten“ erwarb, trat sie in Leipzig in den Dienst der Bestrebungen Gottscheds, durch Anlehnung an die Muster des klassischen Dramas der Franzosen das deutsche Schauspiel der herrschenden Flachheit und Regellosigkeit zu entreißen. Aber auch Lessings junger Feuergeist, der wiederum gegen diese Nachahmung kämpfte, erhielt durch die Neuberin nachhaltige Förderung, seine Jugenddramen kamen durch sie zuerst auf die Bühne. Der Entartung des deutschen Volksstücks zur Hanswurstiade gebot sie anderseits ein gebieterisches Halt und durch die bekannte „Verbrennung des Hanswursts“ auf ihrer Bühne erklärte sie symbolisch, daß die von ihr gepflegte Kunst Höheres erstrebe, als das Publikum lachen zu machen.

Das Neuberhaus in Laubegast und das Portrait von Karoline Neuber.

Aber trotz des Beifalls und Erfolgs, den sie mit ihrer Truppe nicht nur in Leipzig und Dresden, sondern auch in vielen anderen deutschen Städten errang, war ihr Lebensweg dornenvoll, und es war ihr nicht vergönnt, die Saat reifen zu sehen, die sie ausgesät. Ihr Schicksal ist schon früher in der „Gartenlaube“ Gegenstand ausführlicher Darstellung gewesen. Am 9. März 1697 zu Reichenbach im sächsischen Vogtland als Tochter des Gerichtsinspektors Weißenborn geboren, hatte sie die Heimat preisgegeben, um ihrem Beruf zu folgen. Als Gattin des Schauspielers Neuber fand sie in diesem nur eine geringe Stütze bei der Durchführung ihres kühnen Unternehmens, zu welchem die eigene Kunstbegeisterung sie drängte. Der Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs und das Elend, das er heraufbeschwor, führten zur Auflösung ihrer Truppe. Das Bombardement von Dresden 1760 überraschte sie als trauernde Witwe, ohne Mittel und sichere Unterkunft. Krank und elend mußte sie fliehen; ihr Arzt, Dr. Loder, wollte sie bei einem Bekannten in Laubegast unterbringen. Doch fand sie in dessen Hause nicht die erwartete Aufnahme. Die Gastlichkeit eines Bauern, Georg Möhle, verschaffte ihr dann in den ihm gehörigen Häuschen am Elbufer das letzte Asyl. Hier fand die einstmals so Gefeierte nach schweren Leidenstagen einen einsamen Tod. Im nahen Leuben wurde sie beerdigt. Lange blieb ihr Grab unbeachtet, 1852 widmeten ihr dann Mitglieder des Dresdner Hoftheaters eine Gedächtnisfeier, deren Ertrag zur Ausschmückung des Grabes benutzt ward. Auch in Laubegast ward ihr ein Denkstein errichtet. Das rührendste Erinnerungszeichen aber, das „Neuberhaus“, ist nun geschwunden und hat der „Neuberterrasse“ Platz gemacht, auf welcher der Besitzer des benachbarten Gasthofs zur „Stadt Amsterdam“ die Gedenktafel, die sich über der Thür des Häuschens befand, angebracht hat. Man hat von dieser Terrasse eine prächtige Aussicht über die Elbe auf die Pillnitzer Höhen und die Sächsische Schweiz. G. S.–P.     

Gemsen im Hochgebirg. (Zu dem Bilde S. 145.) Wenn die ersten Frühlingslüfte wehen, verlassen die Rudel der Gemsen die tiefer gelegenen Wälder, in denen sie während der harten Winterszeit Unterschlupf gesucht haben, und steigen zu den baumkahlen Zinnen des Hochgebirgs empor. Dort oben wird der Schnee eher als im Thale durch den Wind weggefegt und an Felshängen erscheinen saftige Alpenkräuter. In dieser Felsenwelt sind die Gemsen in ihrem eigentlichen Element und können ihre Künste als geborene Bergsteiger bethätigen. Mit erstaunlicher, oft unbegreiflicher Geschicklichkeit verstehen sie an steilsten Hängen Auf- und Abstieg zu nehmen; gewagt erscheinen ihre Züge durch die Felskamine, tollkühn ihre Sprünge – und doch sind die Gemsen, mit den Gefahren des Hochgebirgs wohlvertraut, äußerst vorsichtige Tiere, die jede Gefahr rasch wahrnehmen und ihr geschickt aus dem Wege gehen. Freilich geschieht es manchmal, daß auch diese Kinder der Alpen überrascht werden, und manches Rudel ist schon unter dem Schnee- und Felsgeröll einer Lawine begraben worden. Einer solchen Gefahr war das Rudel Gemsen auf dem trefflichen Bilde J. Schmitzbergers ausgesetzt; es hat aber noch rechtzeitig hinter dem schützenden Felsabhang Rettung gefunden.

An der Lotsenbrücke bei Vlissingen. (Zu unserer Kunstbeilage.) Vlissingen, auf der Insel Walcheren an der Mündung der Westerschelde gelegen, ist in neuerer Zeit ein bedeutender Handelshafen geworden und bildet eine der wichtigsten Stationen für die Ueberfahrt nach England. Außerdem ist es eine Lotsenstation für Antwerpen, so daß in dem Hafen sich mehr als 250 belgische Lotsen aufzuhalten pflegen. Der durch seine Marinebilder wohlbekannte Maler H. Petersen-Angeln stellt auf seinem Bilde, das wir in unserer Kunstbeilage wiedergeben, die Lotsenbrücke dar mit dem Ausblick auf die stille, in Abenddämmerung gehüllte See. Die Sonne ist längst gesunken und der Mond, der hinter den Wolken hervorschaut, vermischt seine Strahlen mit dem letzten Wiederschein der Dämmerung. Diese Lichtreflexe breiten einen eigenartigen Zauber über die weite Wasserflut aus. Ueber dem flüssigen glitzernden Silber der Wellen gleiten wie schwere Schatten ein sich nähernder Dampfer und die segelbespannten Fischerbarken dahin. Wenn am lauen Sommerabend das unendliche, ewig bewegte Meer in nächtlichen Schlummer zu versinken scheint, dann wird auch der Mensch im Tiefinnersten ergriffen und unvergeßlich bleibt ihm der überwältigende Eindruck des stimmungsvollen Bildes, zu dem Himmel und Meer sich vor seinen Augen vereinen. *      


☛      Hierzu Kunstbeilage V: „An der Lotsenbrücke bei Vlissingen“. Von H. Petersen-Angeln.


Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge in Heft 9/1897]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_148.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)