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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 10.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


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Trotzige Herzen.
Roman von W. Heimburg.

  (9. Fortsetzung.)

Der andere Tag brach an, Heinz Kerkows Hochzeitstag.

Auf Aennes Gesicht lag etwas Ernstes, Entschlossenes – ihr Bruder Walther, der Student, sagte: so etwa, als ob sie statt der Toni „angekoppelt“ werden sollte. „Willst du mit?“ fragte er dann. „Wir fahren nachher mit Richard Meyer nach dem Jagdschlößchen, die Schlittenbahn soll herrlich sein.“

„Ach was,“ brummte Robert, der Lieutenant, dem es nicht paßte, brüderliche Rücksichten zu nehmen, „damit sie die Nase erfriert! Ich sage dir, Aenne, bleib’ daheim und geh’ brautschauen!“

Tante und Mutter sahen verstohlen zu Aenne hinüber. Der Bruder war nicht unterrichtet von dem Breitenfelser Stadtklatsch, sonst hätte er diese Aufforderung unterlassen. Aber Aenne erwiderte sehr ruhig: „Natürlich gehe ich in die Kirche – du doch auch, Mama, und Tante ebenfalls?“

Frau May wäre trotz allem und allem eher „gestorben“ als bei dieser Gelegenheit ferngeblieben; und wäre der Kerkow erwiesenermaßen ihr ärgster Feind gewesen, bei seiner Trauung hätte sie zugegen sein müssen. „Ich gehe schon deshalb hin, um all den Leuten die Mäuler zu stopfen, und daß du mit willst, ist vernünftig,“ sagte sie zu ihrer Tochter.

„Aber warum sollte ich denn nicht?“ fragte Aenne, das, was ihre Mutter meinte, absichtlich nicht verstehend. „Ich habe doch kein Verbrechen begangen?“ – Im sicheren Gefühl, daß nur Günther ihr Geheimnis kannte, dem sie es selbst anvertraut und bei dem es so geschützt und geborgen war wie in ihrer eigenen Brust, bewahrte sie ihre Selbstbeherrschung vollständig; ihre innerliche Verzagtheit, ihr altes bitteres Weh wurde von dem trotzigen Mädchenherzen im Zaum gehalten. Wenn Heinz Kerkow überhaupt noch den leisen Gedanken gehabt hätte, daß sie um seinetwillen litt, heute sollte, mußte dieser schwinden; dann würde ihr die trotzige verzweifelte Kraft nicht fehlen, die Eltern zu überreden, dem zuzustimmen, was sie vorhatte!

Das Kloster Arkadi auf Kreta.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_149.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)