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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

gedeckt stand mit ein paar einfachen kalten Schüsseln. Tante Emilie kam dem Mädchen ganz nahe. „Der Große“ – das war der Lieutenant – „hat Schulden!“ wisperte sie.

Aenne erschrak: und sie war auch noch gekommen mit ihren Forderungen!

„Ich habe sonst immer ausgeholfen,“ flüsterte die alte, treue Seele weiter, „aber diesmal ging’s doch nicht; ich wußte ja bestimmt, daß du von hier fort wolltest, und hatte mir gleich vorgenommen – da gehst du mit, da hilfst du ihr, wenn sie dich auch gar nicht mehr lieb hat und gar nichts mehr von dir wissen wollte in der letzten Zeit!“

Sie konnte nicht weiter sprechen, denn des Mädchens Mund preßte sich fest auf ihre Lippen – eine wortlose Bitte um Verzeihung.

(Fortsetzung folgt.)




 Märzensonne.

Im Märzen, wenn es heimlich lenzt,
Da ist’s ein gutes Schreiten!
Der Himmel lacht, die Erde glänzt
In jungen Seligkeiten.

Es fließen durch die ganze Welt
Der Hoffnung gold’ne Wogen,
Schon ist vom Saatengrün das Feld
Sanftschimmernd überzogen.

Frau Sonne nickt dir zu vertraut:
„Wie steht es mit uns zweien?“
Dir ist es g’rad, als müßtest laut
Ins Blaue du juchheien.

Was du, des Winters übersatt,
An Leid hast tragen müssen –
Vorüber! – jedes grüne Blatt
Möchtest du küssen, küssen!

Das Auge blitzt, es wallt das Blut
In übermüt’ger Wonne –
Ach, keine Sonne kos’t so gut
Als wie die Märzensonne!
 F. Vochazer.




Ein Brief über W. Heimburg.
(Mit dem Bilde S. 153.)
Dresden, Februar 1897. 

 Meine liebe junge Freundin!

Als Sie Ihre Fragen über Wilhelmine Heimburgs Leben und Ergehen an mich richteten statt an die gefeierte Schriftstellerin selbst, war es Ihnen gewiß bekannt, wie sehr diese mit Briefen aus ihrem Leserkreis überschüttet wird - so sehr, daß es ihr, die nie gern einen Dank oder Gruß schuldig bleibt, doch unmöglich ist, sämtliche Zuschriften zu beantworten, die aus allen Gauen Deutschlands und Oesterreichs ihr zuströmen. Selten vergeht ein Tag, der nicht ein Zeichen der Liebe und Verehrung bringt, und zumal in der Weihnachtszeit hat der Postbote nicht wenig zu tragen an den Päckchen, die Spenden verschiedenster Art, oft von ihr ganz unbekannten Gebern, enthalten. Ob künstlerisch gestaltet oder von schlichtem Fleiß hergestellt, sind sie der Empfängerin alle gleich lieb als Beweis jenes sympathischen Bandes, das ihre Leser mit ihr verbindet.

Wie sehr W. Heimburg (ihr Familienname ist Bertha Behrens) auch im Ausland bekannt und geschätzt ist, geht aus den zahlreichen Uebersetzungen ihrer Schriften hervor. In fast allen europäische Sprachen sind ihre Romane und Novellen teils in Gesamt-, teils in Einzelausgaben erschienen, zuletzt im Czechischen. Diese Verbreitung spricht wohl am beredtesten dafür, daß diesen liebenswürdigen Erzählungen ein Zauber innewohnt, der allüberall sich unmittelbar die Herzen erobert. Und fragt man sich, worauf derselbe beruht, so staunt man über die Einfachheit der Mittel. Gerade die Schlichtheit, die anspruchslose Natürlichkeit ist es, die diesen Zauber ausübt. Die Tiefe des Empfindens, das zarte Verständnis für das Gefühlsleben, vereint mit einer glücklichen Beobachtungsgabe, verleihen ihren Büchern einen ungewöhnlichen Reiz. Ihre Schilderungen, zumal von Frauenschicksalen und alledem, was die Kraft des weiblichen Charakters ausmacht, der Treue, der Hingabe, der Aufopferung haben sie zu der heute wohl gelesensten Erzählerin am deutschen Familientisch gemacht. Wie fein sind in ihren Romanen und Novellen die Herzensfäden gesponnen! Und doch wie frei sind sie von übertriebener Empfindsamkeit, vor welcher die Verfasserin ein frischer Zug von Schalkhaftigkeit und Humor bewahrt! Gesund und natürlich sprudelt der Quell ihrer Erfindungsgabe und ebenso fließend und ungezwungen ist ihre Sprache, fern von effekthaschenden Stil- und Geschmacklosigkeiten, wie sie in neuester Zeit fast zur Mode werden. Die Wärme des Tons, die Unmittelbarkeit der Stimmung, die zumal manche ihrer Novellen zu wahren Kabinettstücken machen, zeigen W. Heimburg als eine Dichternatur, die auch dem feinfühligsten Leser viel zu geben versteht.

Doch, was erzähle ich Ihnen da! Alles dies ist schon oft und von berufenerer Feder gesagt worden. Wie soll man aber von W. Heimburg sprechen, ohne auf ihre Bücher einzugehen? Nicht nur, daß ihr Wesen sich in den Hauptvorzügen derselben fast durchsichtig spiegelt – nein, ihre schriftstellerische Arbeit macht auch den Hauptinhalt ihres Lebens aus. Aus ihr schöpft sie die beste Befriedigung. Das Talent, das eine gütige Fee ihr mitgegeben, ist der Sonnenstrahl, der ihr Dasein erhellt, vergoldet und beleuchtet. Ob sie in ländlicher Stille, wie früher in dem Giebelstübchen des Elternhauses, arbeitet oder wie jetzt in dem unruhigen Treiben der Großstadt, wo an Stelle des patriarchalischen Kachelofens ein moderner „Amerikaner“ Wärme verbreitet – überall trägt ihre Phantasie sie hinaus über die engen Grenzen des eigenen Lebens und läßt sie in Sinnen und Schaffen innerlich eine weite, reichbewegte Welt erleben.

Mit zagen Schritten betrat sie vor über zwanzig Jahren die Schriftstellerlaufbahn. Ihre erste Novelle „Melanie“ legte sie unter den Christbaum als Weihnachtsarbeit für ihren Vater. Dieser, selbst auf literarischem Gebiete thätig, so weit es sein zeitraubender ärztlicher Beruf

erlaubte, entdeckte mit sicherm Blick die Begabung seines Töchterchens, und trotz deren Bedenken sandte er das Manuskript an die Frauenzeitung „Victoria“. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und ebensowenig das Honorar. Fünfundsiebzig Mark selbsterworben! Der jungen Autorin, die eben mit der Notenmappe aus der Musikstunde heimkehrte, schien es ein Kapital! Die Frage, ob dasselbe zum Ankauf eines Schreibtisches verwendet werden solle oder lieber zu etwas prosaischerem, wurde eifrig erwogen, aber man entschloß sich für das erstere. Mit welchem Selbstvertrauen konnte man sich zu neuem Schaffen an den eigenen Schreibtisch niedersetzen, und in der That führte ein glücklicher Stern das junge Mädchen von den kleineren bald zu größeren Erfolgen. Trübe Schatten hatten sich auf ihr Leben gesenkt und die tieferen Saiten ihres Wesens erklingen lassen. Nach schwerem Leid war sie in längere Krankheit verfallen und in dem Geiste der Genesenden erwachten wie zum Trost die Gestalten des Buches, das bestimmt war, ihren Ruf dauernd zu begründen. Während ihren spätern Romanen selten oder nie Vorgänge aus der Wirklichkeit zu Grunde liegen, war es hier doch ein äußerer Anlaß, an den ihre schöpferische Phantasie anknüpfte. Sie erinnerte sich, wie ihre Blicke, aus dem bescheidenen Mädchenstübchen ins Freie schweifend, stets an dem Fenster gegenüber in der engen Straße haften geblieben waren. Dort wohnte ein altes Fräulein, das nur von Erinnerungen zu leben schien, denn nichts trat verschönend in ihr Leben als Gesang und Spiel, womit die Einsame sich die Zeit vertrieb. Zuweilen näherte sie sich dem Fenster und dann sah W. Heimburg in welke, müde Züge, durch ein reiches inneres Leben seltsam vergeistigt. Bald tauschten die Nachbarinnen einen gelegentlichen Gruß aus, und gewiß ahnte die ältere von den beiden nicht, daß ihre Begegnung in der jüngeren den Keim zu der ergreifenden Erzählung weckte, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_155.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2018)