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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

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Blätter und Blüten.

Kloster Arkadi auf Kreta. (Zu dem Bilde S. 149.) Eine gute Tagereise von der Hafenstadt Retimo entfernt, liegt inmitten der Berge, in einer herrlichen Landschaft, deren Hintergrund der schneegekrönte Ida bildet, das Kloster Arkadi. Vor mehr als 800 Jahren wurde es vom Kaiser Heraklius zu Ehren des heiligen Konstantin errichtet. Berühmt war die Bibliothek von Arkadi, in welcher wertvolle Schätze der Wissenschaft gesammelt waren, berühmter war es aber noch als Stätte der Nächstenliebe, in welcher Arme und Bedrängte stets schützende Obhut fanden. Alle Völker, die in früheren Zeiten auf Kreta Krieg führten, die Araber, die Sarazenen und Venetianer, verschonten das Kloster und ehrten seine Unverletzlichkeit, bis schließlich in einem der letzten Aufstände gegen die türkische Gewaltherrschaft auch diese stille Stätte zum Schauplatz eines tiefergreifenden Kampfes werden sollte.

Es war im Jahre 1866; Kreta stand wieder, wie gerade jetzt, in Aufruhr und die Türkei bändigte die Insel mit einem Aufgebot von nahezu 100000 Mann. Die Aufständischen der Umgegend hatten ihre Frauen und Kinder in das Kloster gebracht. Außer diesen 300 wehrlosen Personen befanden sich in Arkadi nur noch 15 verwundete griechische Freiwillige und etwa 150 Mönche. An der Spitze des Klosters stand damals der greise Igumenos Gabriel, der einst in jungen Jahren im griechischen Freiheitskrieg gegen den Feind seines Volkes gekämpft hatte.

Anfang November 1866 erschien vor Arkadi der türkische Heerführer Mustafa Pascha mit 15 000 Mann und 30 Kanonen. Er begegnete jedoch dem hartnäckigsten, heldenmütigsten Widerstand. Die aus Mönchen, Greisen und Frauen bestehende Besatzung hielt drei Tage und drei Nächte das Bombardement der Türken aus und schlug mehrere Sturmangriffe ab. Endlich aber wurde eine Bresche gelegt und der Kampf begann schon im Hofe des Klosters zu wüten. Da faßten die bedrängten Verteidiger den Entschluß, sich lieber in die Luft zu sprengen, als sich den Türken zu ergeben. Wie Elpis Melena in dem Werke „Erlebnisse und Beobachtungen auf Kreta“ berichtet, nahm der Igumenos Gabriel als Abt die Ehre für sich in Anspruch, selber Feuer an die Pulverkammer zu legen. Indem er die Umstehenden segnete, wies er die Frauen, die Kinder und noch lebenden Verwundeten, der Zahl nach 103 Personen, an, sich nach der entgegengesetzten Ecke des Klosters zurückzuziehen, dann erwartete er, das Kruzifix mit einer, eine brennende Kerze mit der anderen Hand fassend, ruhig die hereinbrechende Flut der Stürmenden. Eine furchtbare Explosion erfolgte – die Hälfte des Gebäudes flog in die Luft, unter den Trümmern Griechen und Ottomanen begrabend. So wurde das ehrwürdige Kloster in einen Schutthaufen verwandelt, aber in der Geschichte der griechischen Freiheitskämpfe wird sein Andenken fortleben und dem gleich heldenmütigen Untergange von Missolunghi im Jahre 1826 zur Seite stehen.*     

Deutschlands merkwürdige Bäume:
Die „Riesenschlangenkiefer“ bei Bendestorf in Hannover.
Nach der Natur gezeichnet von Herm. Stuhr.

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die „Riesenschlangenkiefer“ bei Bendestorf in Hannover. (Mit Abbildung.) Der „Armleuchterfichte“ bei Offenbach am Main, die wir in Nr. 45 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“ unsern Lesern in Bild und Wort vorgeführt haben, reihen wir heute eine merkwürdige Kiefer an. Sie wurde vor kurzem im Walde bei Bendestorf, einer kleinen Ortschaft unweit der Station Klecken[WS 1] an der Bremen-Harburger Bahn, entdeckt, und der Volksmund gab ihr bald den Beinamen „Riesenschlange“. In der That täuscht der schuppige, rotbraune, auf der Erde im grünen Moose liegende Stamm des Baumes den Anblick des Leibes einer Riesenschlange vor. Das Wurzelende, welches auf dem kleineren Bildchen in größerem Maßstab dargestellt ist, hat dabei entschieden die Gestalt eines Tierkopfes, dem man je nach der mehr oder weniger lebhaften Phantasie die Formen eines Molchkopfes oder gar Drachenhauptes zusprechen kann. Der mächtige Stamm hat bei der ersten Biegung einen Umfang von 1,06 m; seine Länge mißt von der Wurzel bis zu der Biegung 2,55 m und bis zum ersten Ast 5,30 m. Unser Holzschnitt ist die Wiedergabe einer an Ort und Stelle aufgenommenen Zeichnung. *      

Eine Versöhnung. (Zu dem Bilde S. 157.) In das schlichte Heim einer Fischerfamilie am Strande der Nordsee versetzt uns der Anblick des lebenswahren Bildes von J. Müller-Maßdorf. Sonniges Glück hatte hier einst jahrelang geherrscht, bis der heranwachsende Sohn im jugendlichen Leichtsinn auf Abwege geriet. In gerechtem Zorn hatte der Vater dem Rückfälligen das Haus verboten, da er seinen Versprechungen, sich zu bessern, keinen Glauben mehr schenkte. Das Mutterherz verzeiht leichter und die Mutterliebe giebt den Verirrten nimmer auf. So wendet sich die Mutter noch einmal an den tiefbetrübten Vater und sucht ihn zur Milde, zur Versöhnung umzustimmen. Sie findet in der schmucken braven Tochter, dem Liebling des Vaters, eine warmherzige Fürsprecherin – und fürwahr, die Liebe wird siegen, das lesen wir in dem Antlitz des Mannes, das neben dem Schmerz tiefe Rührung verrät. – Der Uebelthäter ist Zeuge dieser ergreifenden Familienscene und man sieht ihm an, daß sein Gewissen wach geworden ist. Hoffentlich wird er sich der Verzeihung und der Elternliebe würdig erweisen! *      

Der Landbriefträger im Spreewalde. (Zu dem Bilde S. 161.) Statt der Chausseen und Fußwege lauter Kanäle und Rinnsale – das ist es vor allem, was den Verkehr im wendischen Spreewalde so gar eigenartig macht. Auf dem Wasser, im geschmückten Boote, fährt man den kleinen Spreewaldbürger nach Lübbenau oder Burg zur Taufe, im Boot begiebt sich der Abcschütz nach der Schule, und auf den grünen, freundlichen Spreewellen läßt man sich zur Arbeit wie zur Freude tragen. Eines Tages hallen Trompetenstöße oder die weichen Töne des Dudelsackes über die stillen Wasserflächen; dem mit Musikern besetzten Kahne folgt ein blumenbehängtes, üppig aufgeputztes Fahrzeug, darin ein liebend junges Menschenpaar in die Kirche zur Trauung gleitet, und hinterher schaukeln die „Spreewaldkutschen“ der Hochzeitsgäste, Boot bei Boot. Weiter kommt ein Tag, wo Grabgesang über Wald und Wiese forttönt; in Kähnen geht es zum Gottesacker … Auf dem Wasser blickt der Spreewäldler zum erstenmal in die lachende Gotteswelt hinein, auf dem Wasser fährt er zur ewigen Ruhe.

Das schlanke Mädchen, dem der schalkhafte Postbote mit dem dicken Briefe eine so herzliche Morgenfreude bereitet, denkt mit keinem Gedanken daran, daß die leis bewegte Straße da unten sich auch zum Friedhofe wendet; sie sieht heute in ihr nur den Triumphweg, der geradeaus zum Altare führt, wo die Frage des Pfarrers ihr das freudige Ja entlocken wird. Annuschka hat wochenlang darauf gewartet, daß der Liebste, den sie zur Garde genommen haben, ihr von der großen Stadt Berlin und seinen Erlebnissen darin umständlichen Bericht geben würde. Nach langem Harren hat endlich die Schwarzäugige ihr Billetdoux vom unvergeßlichen Pionier, sie hält es sicher, sie hält es warm, und heute werden die Lustigkeit und das Singen im Blockhause nimmer aufhören. – Des in unserm Falle mit einigem Unrecht „Land“-Briefträger genannten Stephansjüngers Fahrt geht weiter die breite „Dorfstraße“ hinab: hier und da Abstecher in ein Sackgäßlein, dann, wenn jedem das Seine geworden ist, aus dem Klein-Venedig hinaus in den Erlenwald, dessen sonnendurchstrahltes Laub bis an die Erde hinunterklettert, hinaus in die Wiesenkanäle, zu den einsam gelegenen „Kaupen“, den Einzelansiedelungen, oft auch ins Herrenschloß. Unser Spreewaldbriefträger ist, selbst wenn Regen und Sturm ihm den Dienst erschweren, keineswegs schlimmer dran als seine Kollegen, die alleweil festen Erdboden unter sich haben; mit der Spreewaldstake rudert sich’s leicht – im Winter hilft, noch angenehmer, der Schlittschuh vorwärts! – und der wendische Bauer ist gastfrei, läßt den Boten zwar immer gute, doch nie böse Nachrichten entgelten. N.     


Inhalt: Trotzige Herzen. Roman von W. Heimburg (9. Fortsetzung). S. 149. – Das Kloster Arkadi auf Kreta. Bild. S. 149. – W. Heimburg in ihrem Arbeitszimmer. Bild. S. 153. – Märzensonne. Gedicht von F. Bochazer. Mit Illustration. S. 155. – Ein Brief über W. Heimburg. Von M. v. Locella. Zu dem Bilde S. 153. – Das Historische Museum der Völkerschlacht bei Leipzig. Von Max Hartung. S. 156. Mit Abbildungen S. 156, 158 und 159. – Eine Versöhnung. Bild. S. 157. – Jung Volk will allein sein. Ein Abenteuer aus der Zeit der Postkutschen. Von R. Waldmüller-Duboc. S. 160. Mit Abbildungen S. 160 und 163. – Landbriefträger im Spreewald. Bild. S. 161. – Blätter und Blüten: Kloster Arkadi auf Kreta. S. 164. (Zu dem Bilde S. 149.) – Deutschlands merkwürdige Bäume: Die „Riesenschlangenkiefer“ bei Bendestorf in Hannover. Mit Abbildung. S. 164. – Eine Versöhnung. S. 164. (Zu dem Bilde S. 157.) – Der Landbriefträger im Spreewalde. S. 164. (Zu dem Bilde S. 161.)



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. w:Bendestorf liegt im Landkreis Harburg.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_164.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)