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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Trotzige Herzen.
Roman von W. Heimburg.

 (10. Fortsetzung.)

In dem Salon der Frau von Gruber gab es nach Beendigung der Hochzeitsfeier eine Scene. Die alte Dame war von Hedwigs Eröffnung, bei dem Oberförster da drunten, unter ihren, der Frau von Gruber, Augen und in allernächster Nähe des Bruders, als Hausfräulein einzutreten, aufs höchste erbittert.

„Auf keinen Fall gebe ich das zu,“ sagte sie, nachdem sie einige sanfte, ihrer Würde entsprechende Vorstellungen gemacht hatte, und trat mit dem Fuße auf, da sie wohl einsah, daß sie mit Güte nicht durchdrang.

„Aber, Tante, ich bin doch mein eigner Herr,“ antwortete Hedwig von Kerkow, nunmehr auch erbittert.

„Spiele du diesen eignen Herrn, wo du willst, hier aber nicht, ich verbitte es mir!“ rief die alte Dame, von ihrem Sessel aufspringend und mit ihrer moiré-antique-Schleppe durch das Zimmer rauschend – sie war noch in festlicher Toilette. „Hörst du, ich verbiete es dir!“

„Tante,“ war die bestimmte Antwort, „wenn Heinz damit einverstanden ist, so kannst du doch wahrhaftig – –“

„Heinz kann nicht Ja dazu gesagt haben, das glaube ich dir nicht!“

„Liebe Tante, dazu kann ich dich nicht zwingen – jedenfalls ist es so, ich lüge nie.“

„Was soll Ihre Durchlaucht denken, wenn sie erfährt, daß die Schwester höchstihres Hofmarschalls – Wirtschafterin bei dem Oberförster Günther geworden ist?“

„Ich halte Durchlaucht für eine sehr vorurteilsfreie Dame.“

„Für eine Frau mit enormem Feingefühl, wäre richtiger.“

„Aber, was geht sie denn meine Existenz an? Barmherzigkeit!“ rief das Mädchen verzweifelt.

„Du hättest bleiben sollen, wo du warst, bei deiner Porzellanmalerei.

„Aber ich fühle, daß das unmöglich ist – sie hätte mich tot gemacht, diese liebeleere, trostlose Einsamkeit und ich weiß, für Heinz ist es eine große Beruhigung, mich in der Nähe zu wissen.“

„Heinz ist ein – – –“ Frau von Gruber verschluckte das Wort – „wenn er so naiv ist, das in Ordnung zu finden! Und was wird Toni dazu sagen?“

„Was geht mich Toni an?“ rief Hedwig. „Ich will nichts von ihr und sie nichts von mir! Ich werde weder dir noch ihr jemals mit meiner Gegenwart lästig fallen, und wenn ich Heinz einmal sehen will, so hat er ja sein eignes Zimmer. Und wenn ich ihn auch wochenlang nicht sehen kann, ich habe doch wenigstens das Bewußtsein: einer, der dir nahe steht, weilt in deiner Nähe, und wenn du ’mal ganz verzweifelt bist, dann hat er doch vielleicht ein paar freundliche Worte für dich übrig – ich meine, das kann mir doch wahrhaftig nicht verargt werden!“

„Von Stolz und Standesbewußtsein besitzest du keine Spur!“ rief Frau von Gruber, sie unterbrechend.

„Ach Gott, in meiner Lage – das verlernt man, kam es leise von Hedwigs Lippen, und sie lachte kurz auf, während sich ihre Augen mit Thränen füllten.

„Das ist sehr schlimm! In allen Lagen soll man sich seiner Abkunft bewußt bleiben.“

„Das gedenke ich zu thun, Tante. Uebrigens, Ottilie war ja auch in einer Stellung wie die, die ich bei Günther inne haben werde.“

„Da war eine Frau im Hause!“

„Ach so!“ Hedwig lächelte wieder, es war ein trübes Lächeln, und sie warf einen Blick zu dem Spiegel hinüber auf ihr bleiches, verweintes Gesicht, ihre überschlanke Gestalt. „Darf ich morgen früh dir noch Adieu sagen, Tante?“ fragte sie dann, als ob es nicht der Mühe wert sei, auf den Einwurf zu antworten:

„Wenn du darauf bestehst, diesen Plan auszuführen – lieber nicht,“ lautete die kurze Erwiderung.

Hede Kerkow war noch in dem einfachen weißen Kaschmirkleide, das sie zu der Festlichkeit getragen, die ihr zur Pein geworden war durch ihre Länge und die höfische Etikette. Sie kannte niemand und niemand hatte von ihr Notiz genommen außer den zwei Tischherren, dem Superintendenten und einem alten Onkel Ribbeneck. Letzterer war völlig taub, und der Superintendent unterhielt sich fast nur mit der Dame zu seiner Rechten. Als Heinz sich mit seiner jungen Frau zurückgezogen hatte, war es ihr gewesen, als sei die Sonne untergegangen. Dann hatte sie gehofft, noch ein trauliches Plauderstündchen bei Tante Gruber zu verleben, mit der sie über ihre Zukunft ausführlich sprechen wollte – da kam der Sturm, die völlige Ungnade.

„Wenn du so heulst, Tante, dann kann ich ja heute abend noch-“ – fügte sie hinzu.

„Genier’ dich nicht!“ klang es aus der Kaminecke, hart, verletzend.

Hede Kerkow drehte sich auf den Hacken um. „Adieu, Tante!“

Sie erhielt keine Antwort. In ihrem Zimmer warf sie voller Hast eine Menge Sachen durcheinander in den Reisekorb und verschloß ihn, dann lief sie durch den Schnee nach der Oberförsterei.

Günther war nicht daheim, er ahnte nichts von dem Ereignis, das sich während seiner Abwesenheit in seinem Hause vollzog. Er war in der Dämmerung mit Sr. Hoheit nach Harterode hinaufgefahren. Der Herzog wollte die schneehelle Mondnacht auf dem Anstand verbringen, um einen Fuchs zu schießen, ein Vergnügen, das er sich jedes Jahr einmal zu leisten pflegte, aber bevor noch der Mond kam, waren wieder dichte Schneewolken emporgezogen und hatten, dem Barometer zum Trotz, unseres Herrgotts Nachtlampe umschleiert. So hatte er den Plan aufgeben müssen und sehr schlecht gelaunt die Rückfahrt befohlen

Im Schlosse angelangt, trat der Adjutant seinem Herrn mit einer leise gesprochenen Meldung entgegen. Günther stand, seiner Entlassung gewärtig, etwas zur Seite, der Herzog verabschiedete ihn kurz und begab sich eilig, begleitet von dem Adjutanten, quer über den Schloßhof nach dem von der alten Herzogin bewohnten Flügel. Günther hörte noch, wie er fragte. „Ist May bei ihr? Am Ausgange des Schlosses begegnete er dem Rentmeister, der aus seiner Dienstwohnung neben der Oberförsterei herausgehastet war.

„Wissen Sie, wie es steht, Herr Oberförster?“ fragte der Mann ängstlich.

„Ich komme eben von Harterode zurück, weiß gar nichts – ist etwas passiert?“

„Die Herzogin soll der Schlag gerührt haben.“

„Ich weiß, wie gesagt, nichts – hoffentlich bewahrheitet sich die traurige Kunde nicht,“ sagte Günther und dann trennten sie sich mit einem Gruß. „Lieber Gott“ sprach er vor sich hin, „bei ihrem Alter – wär’s ein Wunder?“ Und er stieg langsam hinab zu seinem Heim.

Auf dem Schloßplatz lag frischer köstlicher Schnee wie eine eben erst gebreitete Decke, nur eine einzige Spur lief quer darüber, die Füße hatten den Pfad verschmäht, der an den Seiten mit Hilfe des Schneepflugs hergerichtet war – mitten durch den tiefen Schnee war man gelaufen, direkt zur Oberförsterei. Fast gedankenlos blieb er stehen vor der Treppe, die zu seiner Hausthür emporführte, und starrte die schmalen, zierlichen Stapfen eines Frauenfußes an, als betrachtete er droben im Walde die Spuren des Wildes in einer Neue. Sehr klein mußten sie sein, diese Füßchen zierlich gestellt, kaum aufgesetzt, so flüchtig und leicht – und diese Spuren führten in sein Haus?

Allein – was ging ihn das an? Wer da gegangen, ihm hatte der Besuch gewiß nicht gegolten! Er fühlte sich müde und einsam, er fror am Herzen und er fürchtete sich vor dem öden Heim, vor dem Lärm der tobenden, schlecht beaufsichtigten Kinder, die, seit Fräulein Stübken sein Haus verlassen hatte, wie die wilde Jagd dort hausten. Das alte, sonst so brave Mädchen verstand nicht, mit ihnen fertig zu werden, und er sollte strafen, beschwichtigen! Und der Tisch war so liederlich hergerichtet, die Speisen schlecht bereitet – er konnte so nicht essen, er flüchtete sich verzweifelnd in sein Zimmer und nahm die Arbeit vor, seine Berichte und Rechnungen – um zu vergessen! Aber das Kältegefühl und die Einsamkeit waren meist stärker als die Lust zur Arbeit. Er stand während dieser trüben Gedanken noch immer da,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_166.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)