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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

anfangs, nach dem Gasthof ins Klubzimmer – er saß bei Heini. Unermüdlich schnitzelte er Spielzeug zurecht für ihn, erzählte ihm Geschichten, und neulich hatte er die Idee gefaßt, er wollte den kleinen Kranken malen, inmitten der blühenden Büsche und junggrünen Blätter des Lenzes.

So lebte er dahin. Er wußte, daß seine Frau viel ausfuhr, er bekümmerte sich nicht darum. Er wußte, daß der Herzog im letzten Herbst gesagt hatte. „Der Kerkow ist total versimpelt, die Frau thut mir leid, die hat sich herausgemacht, ist ganz nett geworden. – Ja, der Herzog hatte recht, er war versimpelt, und Toni war aufgeblüht, er sah es ja auch, aber es machte keinen Eindruck auf ihn.

„Er ist verrückt,“ pflegte Frau Toni zur Tante Gruber zu sagen, „er ist ein Pedant! Mir könnt’s wahrhaftig auch lieber sein, ich wäre damals nicht ausgefahren, aber nun’s geschehen ist, kann ich’s doch nicht ändern, und wollte ich mir die Haare einzeln ausreißen! Und so dachte sie auch jetzt wieder, als sie in Begleitung einer der Arnsteinschen Komtessen in der spitzbogigen Pforte des Schloßhofes erschien, die auf die Terrasse führte. Die Komtesse hatte Besorgungen gemacht in der Stadt und war zu ihrer lieben Frau von Kerkow auf einen flüchtigen Besuch gekommen; sie brachte einen kleinen chinesischen Drachen an langem Faden mit für Heini. Toni, in einem Kleide aus zartblauem Leinen mit seidenen Aermeln derselben Farbe und breitem Spitzenkragen, war allerdings nicht zum Wiedererkennen gegen früher, wären nur die blassen kalten Augen nicht gewesen. Als sie Heinz erblickte, wurden sie noch kälter und härter.

Die Komtesse war ein liebenswürdiges Geschöpf, sie hatte ein Verständnis für das, was dieser Mann litt, der ihr einige Schritte entgegentrat. Sie nahm nach ein paar freundlichen Worten einen Stuhl ihm gegenüber und begann irgend eine Plauderei. Sie war mit Papa in Berlin gewesen, hatte eine Parade gesehen, und von dort war man nach Dresden gekommen, wo sie in Musik geschwelgt habe. „Und denken Sie sich, Herr von Kerkow, denke dir, liebe Toni – ihr erinnert euch gewiß noch der kleinen Aenne May, der Tochter von unserem alten Medizinalrat? Na, ja, die habe ich singen hören – großartig! Herrgott, die Dresdner waren ganz Mayverrückt! Natürlich interessierte es mich, das Nähere zu erfahren; ich las am andern Morgen im Hotel das Adreßbuch nach, machte mich auf die Sohlen und besuchte sie. – Ich stieg vier Treppen hoch in ein niedliches Mansardenquartier, ein ganz junges Dienstmädchen öffnete, doch leider war Fräulein May nicht zu Hause. Eine alte weißhaarige Frau aber erschien und lud mich ein, näherzutreten, und wie sie hörte, ich sei eine Landsmännin ihrer Nichte, flossen ihr Lippen und Augen über. So ein Glück – der Theaterintendant hatte sie vom Fleck weg für die Hofbühne haben wollen, aber sie will nur Konzertsängerin sein – denkt euch – solche Anerbietungen nach ihrem ersten öffentlichen Auftreten! Unmassen von Verpflichtungen ist die Aenne eingegangen, bis nach Petersburg hinauf, und doch hat sie zwei große Konzerte abgesagt, weil sie drüben in Brendenburg singen will zum Sängerfest. „Ich glaube,“ schaltete die Komtesse ein „es ist Ende des Monats.“

Die Eltern sollten sie doch auch ’mal hören, meinte die Tante, und die Lehrer vergötterten die Aenne; so eine herrliche volle Stimme, ein solch eiserner Fleiß, solch wahrhaftes Streben aber auch! Na, kurz, ich sage Ihnen, meine Herrschaften, ich schied ganz gerührt aus dem kleinen trauten Mansardenstübchen und dachte so bei mir, da hast du doch ’mal das Glück leibhaftig gesehen, ein Glück wie im Märchen – sie wachte auf und war berühmt!“

Heinz sah starr in die Ferne hinaus, die im leuchtenden Schimmer der untergehenden Sonne lag. „Wie im Märchen!“ sagte er zu sich. „Glück zu, kleine Aenne! Der eine so – die andere so!“

„Ich war vorhin in der Buchhandlung, um mir das Lied abzuholen, das ich neulich schon bestellte,“ fuhr die Komtesse fort. „Aenne May sang es im großen Konzert des Dresdner Gewerbehauses, aber der Mann kannte es nicht, hatte auch nichts erfahren können, im Druck sei es nicht erschienen; Kennen Sie es vielleicht zufällig, Herr von Kerkow? Ein paar Strophen sind mir noch gegenwärtig:

,0 du purpurner Glanz der sinkenden Sonne,
Wie zauberhaft webst du um Flur und Hain –’“

Er lächelte trübe. „Ich kenne es,“ sagte er leise.

„Auch das Gedicht war mir fremd. Von wem mag es sein?“ forschte nun die Komtesse.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete er. Er hätte um die Welt nicht eingestanden, daß er der Dichter war.

Doch vor seinen Augen stand wieder das Bild eines in Glut getauchten Sommerabends, er hingelagert ins Heidekraut auf der Lichtung und sie daneben, in das Rot und Violett der Ferne schauend, die Arme um die Knie geschlungen, die reinste Andacht in dem jungen, schönen Antlitz. – „Da!“ hatte er plötzlich gesagt und ihr ein rasch beschriebenes Blatt hingereicht, das er aus dem Notizbuch gerissen. Und sie hatte es gelesen. Er wußte nicht, war’s die Sonne, die ihre Wangen plötzlich so purpurn färbte, oder das rote, warme, verräterische Blut?

Und dann sang sie es nach ihrer Lieblingsmelodie, die sie einst selbst gefunden. Und die Sonne ging unter …

„Kann man in das Konzert gehen?“ fragte Toni mit ihrer klanglosen Stimme.

„Natürlich, Toni – wir werden alle da sein. Soll ich dir einen Platz bestellen neben uns? Oder gehst du mit deinem Manne?“

„Ich? Nein! Ich bedaure, ich nehme nicht teil“, sagte er, unartig kurz und bestimmt.

„Wie immer!“ erklärte Toni mit einem verständnisvollen Blick zur Komtesse, der soviel bedeutete: Da siehst du, welch’ ein Los mir beschieden! „Also, seien Sie so gut, liebste Feodora, und bitten Sie Ihre Mutter, daß sie sich einer schutzlosen Frau annimmt bei dieser Gelegenheit. Ich muß leider Ihre Güte so oft in Anspruch nehmen.“

Die Komtesse schwieg und sah forschend in die blassen Züge des Mannes und von da hernieder auf das Kind, und sie glaubte, ihn zu verstehen. „Adieu, Herr von Kerkow“, sagte sie mit besonders herzlicher Betonung und reichte ihm die Hand. „Mein Wagen wartet drunten vor dem Parkthor, und Sie werden denken, daß Ihr Jungelchen zu kurz kommt, wenn ich Sie noch lange vom Plaudern mit ihm abhalte. – Leb’ wohl, kleiner Heini, vergiß die Tante nicht! Was soll ich dir denn das nächste Mal mitbringen?“

Aber das Kind bewegte leise abwehrend den blonden Kopf. „Ich danke – nichts,“ sagte es.

„Recht höflich!“ lachte Toni auf, „das macht die Erziehung von Heinz. – Warum denn nicht, du kleiner Grobian? Hast du dich nicht gefreut über das schöne Spielzeug dort?“

Der kleine Kranke gab den Blick der ärgerlichen Mama groß und verwundert zurück. „Das bunte Papierding“, sagte er, „das kann fliegen und sieht so fröhlich aus, und ich bin doch ein lebendiger Junge und – kann’s nicht. Ich mag’s nicht sehen.“

Toni drehte sich achselzuckend um, sie verstand nicht die furchtbare Bitterkeit und Schärfe, die aus den Worten sprach.

Um den Mund der Komtesse zuckte es wie verhaltenes Weinen, sie nickte noch einmal hinüber zu Heinz, der mit tiefer Verbeugung Abschied nahm, dann ging sie neben Toni über die Terrasse und verschwand hinter den Jasminbüschen. Heinz aber bog sich hernieder und strich über die bleiche Stirn des Kleinen. „Nicht bitter werden, Liebling, nicht bitter werden,“ murmelte er kaum verständlich. „Und wir haben uns doch lieb, was?“

„Ja, Papa!“ antwortete der kleine Kranke.

Und Heinz schob nun vorsichtig das Wägelchen der Spitzbogenpforte zu, die auf den Schloßhof führte, und bis vor das Portal des jenseitigen Flügels, hob dort das gelähmte Körperchen behutsam aus den Kissen und trug es in die Wohnung hinauf.

An der Schloßwache stand der seit einigen Wochen herkommandierte Lieutenant und sah sich alles mit an. Dann schlenderte er langsam über den Platz, betrat die Terrasse, die Heinz eben verlassen hatte, wandte sich rechts und ging in den Herzogingarten hinunter, setzte sich in eine fast dunkle Aristolochienlaube, lehnte sich zurück und wartete auf irgend etwas. „Hol’s der Teufel, man kommt vor Langerweile auf dergleichen“ murmelte er. Er war ein hübscher Mensch mit einem geistlosen Durchschnittsgesicht und stattlicher Figur, augenblicklich aber entschieden schlechter Laune. Plötzlich verzog sich das Gesicht zu einem süßlichen Lächeln. „Aha!“ sagte er halblaut.

Ein eiliger, kurzer Frauenschritt erklang, das Rauschen eines

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_187.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)