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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

flachen Dächern der rosa, gelb oder lachsfarbig getünchten Häuser. Prächtige Teppiche hängen aus den Fenstern und von den Balkonen.

Schon naht der Zug!

Kamelreiter.

Voraus, wie allerorten bei solchen Gelegenheiten, Pöbel, Straßenbuben. Eine Schwadron eingeborener Reiter, einzeln oder zu zweien auf ihren Kamelen hockend, sehnige, martialische Hindus, die wohl fähig wären, ihren Nisam vom englischen Joche zu befreien, wenn ihre Bewaffnung auf der Höhe der Zeit stände. Doch moderne Waffen in Indien einzuführen, ist streng verboten, ist geradezu unmöglich. Und dort oben auf den Hügeln im Rücken der Stadt stehen die Batterien, die endlosen Zeltreihen des englischen Heerlagers bei Sikandarabad! Ist auch die Stadt Haidarabad von englischen Soldaten entblößt, in demselben Augenblick, in dem der Signalwimpel an dem Mast im Burghof des englischen Residenten emporflattern und hinaufmelden würde, daß der Nisam seine Vasallenstellung vergessen und den Versuch gemacht habe, den Herrn in seinem Lande zu spielen – in demselben Augenblicke wäre er selbst mit seinem Palast, seiner Residenz mit ihren 400 000 Einwohnern in Atome zerschmettert. Mit der größten Liebenswürdigkeit wird der Nisam zu Zeiten eingeladen, sich auf dem Schießplatz die Wirkung der Granaten zu betrachten, welche in den Schanzen von Sikandarabad zu Tausenden lagern. Er begnügt sich weislich mit dem Schein von Macht, der sein öffentliches Auftreten zumal an Festtagen wie dem heutigen, umgiebt.

Vortrag einer indischen Sängerin.

Dort naht er, der Nisam, schneeweiß gekleidet, Diamanten im Turban, in höchsteigner Person, auf dem Rücken eines außergewöhnlich riesigen Elefanten. Vor ihm her läuft sein Stolz, seine ägyptische Leibwache. Wie Söhne der Hölle gebärden sich diese Araber an dem heutigen Tage! Gräßlich, markdurchdringend tönt ihr schrilles Pfeifen, das wüste, wilde, unregelmäßige Stoßen und Trommeln auf ihren kupfernen Kesselpauken, das kreischende, fauchende Anrufen Alis und seiner Söhne aus den rauhen Kehlen dieser opiumtollen Gesellen. Mit dem plumpen Kolben ihrer vorsündflutlichen, zwei Metern langen Gewehre stoßen und hauen sie in die Massen des Volkes, den unaufhaltsam vorwärts schreitenden plumpen Tieren den Weg zu bahnen. Elefant folgt auf Elefant, nicht weniger als 300 stehen ja in den weiten Höfen des Nisams mit angepflockten Füßen, dieses Festtages gewärtig.

Und jetzt schwankt der Mittelpunkt all des Festjubels daher, die grünseidene Fahne des Propheten. Wo sie sich zeigt, steigt das Toben zum Wahnsinn da krachen die Schüsse aus den uralten Steinschloßflinten, welche die Araber unablässig aus ihren schneckenförmigen Pulverhörnern aufs neue laden, da sausen Raketen und Schwärmer in das blendende Tageslicht. Nichts vernimmt man von dem lauten Singsang der öffentlichen Tänzerinnen, die in dichter Schar den Fahnenelefanten umgaukeln, eine Verspottung der brahminischen Tempelbajaderen, der Deva-Dafis.

Unmöglich ist es, einzelne Laute aus dem wild brandenden Meer von Tönen zu verstehen, dessen Grundaccorde die von all diesen Tausenden unaufhörlich hervorgestöhnten, geschrieenen, geblökten oder erschöpft hingezischten Namen der gefeierten Märtyrer sind. Weherufe der Gequetschten, Zertretenen, mit Stentorstimmen gebrüllte Befehle, denen die entfesselten Horden den Gehorsam versagen, blöde Fisteltöne wahnsinniger Fakire – dazu das Geklirr der Waffen, das Rasseln des Elefantenschmuckes, das Geklimper der Ringe um Beine und Arme, in Nasen und Ohren der Tänzerinnen, die mißtönende Musik – fürwahr, es ist ein Getöse, ganz dazu angethan, die durch reichlichen Opiumgenuß genugsam erhitzten Gemüter der Stadtbewohner zum Rasen zu bringen. Blindlings rennen sie durch die Gassen, im Festgewand, mit Flitterkram und Goldpapier geputzt, in der einen Hand einen Säbel, in der andern einen Knüttel, schreiend und gestikulierend. Klüglich hält sich alles daheim, was anderen Glaubens ist als diese fanatischen Scharen.

Bis tief in die Nacht währt das blendende geräuschvolle Treiben, das die Armen ihr Elend, die Kranken ihre Schmerzen vergessen läßt, denn selbst aus den Hospitälern klingt beim Vorbeiziehen der Prozession der heisere Anruf Hassans und Husseins, ja

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_190.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)